Redaktions-Revolte wider den Rechtsruck bei der Tageszeitung Die Welt

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Redaktions-Revolte wider den Rechtsruck bei der WELT

Anton Maegerle, Ersterscheinung Jüdische Rundschau (Schweiz)
v. 17. 3. 94, S. 11
https://www.nadir.org/nadir/periodika/antifa_nachrichten/an-94-08.txt

Über den künftigen Kurs der Tageszeitung DIE WELT (Jahresverlust:
70 Millionen Mark) ist in der Redaktion ein heftiger Streit entbrannt.
Den offenen Anlaß dazu lieferte der Autor und Filmregisseur Will Tremper.
Dieser besprach am 28. Februar in seiner Filmkritik "Indiana Jones im Ghetto von Krakau"
den Steven-Spielberg-Film "Schindlers Liste" und ernannte den SS-Reichsführer Heinrich Himmler zum wertfreien Zeitzeugen.
Trempers Aussagen wie "Die Räumung des Ghettos kann so blutrünstig nicht verlaufen sein"
oder die Krakauer Juden hätten "ihre Leidenszeit hier und da etwas dramatisiert"
brachten in der WELT-Redaktion das schwelende Pulverfaß zur Explosion.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen der neue Chef der "Geistigen Welt", Rainer Zitelmann,
und die beiden ehemaligen Mitarbeiter der "Welt am Sonntag",
der neue WELT- Ressortleiter Kultur, Heimo Schwilk,
und der neue WELT-Kultur-Chefreporter Ulrich Schacht.

Kopf der rechtskonservativen Verschwörung im Redaktionslager der WELT
ist Rainer Zitelmann (37), dem es innerhalb von wenigen Monaten gelungen ist,
führende revisionistische Historiker und Kritiker der "deutschen Westbindung"
wie Karlheinz Weißmann, Mitglied der "Deutschen Hochschulgilde",
um sich zu versammeln.
Vor seiner Tätigkeit bei der WELT war der Historiker Zitelmann (Doktorarbeit: "Hitler-Selbstverständnis eines Revolutionärs"),
den Karl Richter, Chefideologe der neonazistischen "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DL),
im März 1992 in "Nation + Europa",
dem bedeutendsten ideenpolitischen Organ bundesdeutscher Rechtsextremisten
als "talentierten Nachwuchshistoriker" bezeichnet hatte,
Cheflektor der Verlage Ullstein und Propyläen,
die im Besitz von Herbert Fleissner sind.

Fleissner, Alleingeschäftsführer der drittgrößten Buchverlagsgruppe
(nach Bertelsmann und Holtzbrinck) in der Bundesrepublik,
Ullstein-Langen-Müller-Herbig,
ist Mitglied des revanchistischen "Witiko-Bundes"
und Träger der Plakette für Verdienste
um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht,
die vom "Bund der Vertriebenen" (BdV) gestiftet wird.
Fleissner gehört auch zum engsten Unterstützerkreis
der rechtintellektuellen "Jungen Freiheit" (JF),
die im Januar ihre bisherige Erscheinungsweise als Monatszeitung wechselte
und nun wöchentlich ihre LeserInnen beglückt.

Kein Unbekannter im rechtskonservativen Lager ist Heimo Schwilk (42), langjähriger Autor in der Zeitschrift CRITICON,
die sich selbst als "Kristallisationspunkt für konservative Intelligenz jenseits des niedergehenden Milieus der Unionsparteien" definiert und gemeinsam mit der JF an der Rekonstruktion eines "Konservatismus" rechts von CDU / CSU arbeitet.

Ulrich Schacht (42) wiederum, der 1976 nach mehrjähriger Haft in der DDR in die Bundesrepublik kam,
ist Buchautor ("Mein Wismar") in der von Schwilk, einst Redaktionsmitglied der rechtsextremen Postille "student", herausgegebenen Reihe "Autoren sehen ihre Stadt" bei Ullstein.