3 SAT "Kulturzeit" Mann mit Vergangenheit

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3 SAT "Kulturzeit"

Can do Berlin: "eine unglaubliche Geschichte"
Sender: 3SAT
Art: Reportage (HD-Version)
Länge: 7`30 min.

3 SAT "Kulturzeit"

Mann mit Vergangenheit

Willi Voss schreibt "UnterGrund"
Willi Voss - geboren als Willi Pohl - ist jahrzehntelang ein angesehener Krimi-Schriftsteller,
bis die "Tagesthemen" 2012 berichten, er habe als Neonazi den Olympia-Attentätern von 1972 Waffen geliefert.
Das ist falsch, wie sich herausstellt.
Doch Willi Voss ist ein Mann mit vielen Gesichtern.
Er selbst hat nun die Geschichte seines Lebens aufgeschrieben: "UnterGrund" heißt das Werk.
In einem Berliner Hochhaus hat Willi Voss monatelang eine Geschichte geschrieben, die er eigentlich mit ins Grab nehmen wollte.
Nun muss er sie erzählen. Voss' Leben war bisher voller Geheimnisse, die selbst die eigene Familie nicht kannte.
Alles beginnt im Ruhrgebiet in den 1960er Jahren: Willi Voss gehört zu den sogenannten Halbstarken, kommt wegen kleinerer Vergehen mehrfach ins Gefängnis.
Dort lernt er schließlich einen der führenden Neonazis der Zeit kennen: Udo Albrecht.
"'General' haben die Leute ihn genannt", erinnert sich Voss.
"Wenn man ihn ansah, dann hatte man das Gefühl, der hat einen Stahlhelm auf dem Kopf, also sehr straight.
Und der erzählte damals, dass er in Jordanien gewesen sei und auf Seiten der Fatah am Bürgerkrieg teilgenommen hätte."

Albrecht dient vielen Herren
Albrecht kämpft mit deutschen Neonazis gemeinsam mit den Palästinensern. Das klingt nach Abenteuer für Voss, der aus Deutschland weg will.
Stolz lässt sich Albrecht mit einem erbeuteten Panzerwagen fotografieren. Was keiner weiß: Neonazi Albrecht ist ein Agent.
BND, Verfassungsschutz, Stasi - er dient vielen Herren. Willi Voss schließt sich ihm begeistert an, bekommt schon bald Aufträge, über die er in seinem Buch nun das erste Mal berichtet.
Im Hotel "Römischer Kaiser" in Dortmund war Voss das letzte Mal 1972, als er auf Albrechts Geheiß einen Araber trifft: Abu Daoud.
"Von ihm ging so eine Ausstrahlung aus: Sei vorsichtig mit mir und es ist besser für dich, du hältst dich an das, was ich dir sage, so in etwa", sagt Willi Voss.

Der junge Willi Voss ist fasziniert von Abu Daoud, der mit ihm ein regelrechtes Bewerbungsgespräch durchführt.
Der Palästinenser ist Chef des "Schwarzen September".
Die Organisation sorgt mit Flugzeugentführungen, Sprengungen, Briefbomben, Anschlägen auf Erdöllager und Firmen in Europa für Aufregung.
Der palästinensische Befreiungskampf wird nun auch hier ausgetragen.
Wochenlang fahren beide quer durch die Republik, sammeln Gelder ein, treffen Unterstützer.
Dann soll Voss, mittlerweile Abu Daouds Vertrauter, nach Wien, um eine Pressekonferenz abzuhalten.
Es ist der Tag, an dem Mitglieder des "Schwarzen September" die Olympia-Unterkunft der israelischen Mannschaft stürmen.
"Für mich war es schlicht und einfach so, dass da eine Art von Entsetzen und Stolz gleichzeitig aufgekommen sind", so Willi Voss,
"Entsetzen darüber, dass ein solcher Anschlag passierte, Stolz, dass er geschah, dass Palästinenser von sich reden machen."

Weiteres Attentat war geplant
Aus der Pressekonferenz wird nichts, die Geiselnahme endet mit einem Blutbad: Elf Sportler sterben.
Am Gedenkstein im ehemaligen Olympischen Dorf ist Willi Voss nun das erste Mal.
Seine Gefühle von damals versteht er längst nicht mehr.
Voss erzählt, dass schon wenige Wochen nach dem Attentat eine neue Aktion in München stattfinden soll, dass er Vorbereitungen dafür trifft.
"Es wäre ein Kommando, getarnt als Touristen, angekommen", so Voss.
"Die Waffen wären möglicherweise schon vorher in den Turm gebracht worden, vielleicht in Einzelteilen.
Sprengstoff ist ja möglich, damals war es leichter als heute und dann wären die Operationsteilnehmer oben ins Restaurant gegangen
oder die oberste Ebene und hätten dann die Eingänge besetzt, vielleicht mit Sprengstoff gesichert."

Doch die Aktion platzt, Willi Voss wird mit Waffen erwischt und eingesperrt.
Ein Rechtsanwalt soll ihn heraus pauken.
Wilhelm Schöttler verteidigt auch die Olympia-Attentäter.
Der undurchsichtige Rechtsanwalt bietet der Bundesregierung an: Einstellung des Terrors gegen Freilassung von Voss.
So geschieht es.
"Ich konnte damals annehmen, dass die Verhandlungen tatsächlich zu einem Ergebnis geführt haben", sagt Willi Voss.
"Verständlich ist, dass die Bundesregierung das nicht zugegeben hat."

In der Haft nimmt eine Millionärstochter mit Voss Kontakt auf. Später heißt es, sie könne eine Mossad-Agentin gewesen sein.
Beide wohnen im edlen Münchener "Fuchsbau", führen ein Luxusleben - doch damit ist es schnell vorbei.
"Ich bin beschossen worden, als ich ins Haus gehen wollte", so Voss.
"Ich habe keine Erklärung dafür.
Oder man hatte ein Interesse daran, mich in Panik zu versetzen, damit ich tatsächlich so schnell wie möglich in den Libanon gehe.
Machen wir mal eine Verschwörungstheorie daraus: Wer könnte ein Interesse gehabt haben?
Möglicherweise irgendein Dienst, der sich davon irgendwas versprach."

Wird ein Mann der CIA
Willi Voss reist mit Frau und Kind in den Libanon.
Beim Geheimdienst der PLO in Beirut bezieht er ein eigenes Büro in unmittelbarer Nähe zu Yassir Arafat - und wechselt erneut die Seiten.
Er wird ein Mann der CIA, liefert aus der obersten Führungsetage der Palästinenser Interna.
Es gibt kaum eine Aktion, von der die Amerikaner fortan nicht etwas wissen.
In einer Mail bestätigt ihm sein ehemaliger Führungsoffizier Terry Douglas, dass er große Anschläge verhindert habe.
Voss' Haftbefehl und Strafen lassen die Amerikaner löschen - das ist der Deal.
"Wer da eine Rolle spielte, das war der Franz Josef Strauß,
denn der konnte das in Zusammenarbeit
mit dem Bundespräsidenten oder mit der Bundesregierung erreichen,
dass das gelöscht wird.
Wer kann das sonst machen?"

Eine auf Geheiß der CIA gelöschte Strafe - die bayerische Regierung streitet bis heute alles ab.
Auch über den BND-Mann, mit dem alles anfing, gibt es keine Information, Staatsgeheimnis.
"Ich habe mich darauf eingelassen, um zu zeigen,
wie etwas geht, wie man hineinkommt und wie man dort wieder mit Kraft herauskommt,
ohne unanständig zu bleiben, falls man das als unanständig bezeichnen kann."
Willi Voss ist Schriftsteller.
Und er hat eine Vergangenheit, zu der er steht.

24.05.2013 / Clemens Riha für Kulturzeit / lj/se