Betten abgezogen und die Kühlschränke leergeräumt

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09.08.2012 / Inland / Seite 8
»Betten abgezogen und die Kühlschränke leergeräumt« 
Obdachlos: 50 polnische Arbeiter sitzen in Essen auf der Straße und warten auf ausstehende Löhne.
Gespräch mit Holger Vermeer
Interview: Daniel Bratanovic
Holger Vermeer ist ­Sekretär der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) im Rheinland

Seit mehr als einem Monat haben 50 polnische Arbeiter der Baustelle am Essener Uniklinikum keinen Lohn mehr erhalten. Weil sie ihre Miete nicht bezahlen konnten, wurden sie aus ihren Wohnungen geworfen. Wie ist die derzeitige Lage? Angespannt. Wir verhandeln als IG BAU für diese 50 polnischen Arbeiter mit dem Landschaftsverband Rheinland, dem Bauauftraggeber, und mit der Nürnberger Baufirma Durmaz & Köse Fach-Mann GmbH. Diese wiederum hat ein Subunternehmen gleichen Namens mit Sitz in Polen.

Wie begründet der Subunternehmer die Lohneinbehaltung? Gibt es überhaupt eine? Die polnischen Kollegen wurden von diesem Subunternehmen angeworben. Die Verträge, die mit ihnen abgeschlossen wurden, sehen nicht schlecht aus: elf Euro netto pro Stunde plus Verpflegungs- und Unterkunftsgeld. Mit Speck fängt man Mäuse: Wenn sie das Geld bekommen hätten, wär’s ja schön – sie haben es aber nicht bekommen. Bei der Vertragsunterzeichnung und auch auf der Baustelle war abgesprochen worden, daß die Überstunden und die Vergütung für die Samstagsarbeit jeden Freitag ausgezahlt werden sollten. Als diese Zahlungen, abgesehen von einmalig 190 Euro, über Wochen ausblieben, haben die Arbeiter ihren kompletten Lohn eingefordert. Daraufhin wurde die gesamte Belegschaft – insgesamt handelt es sich um 50 Personen – am Dienstag vor einer Woche der Baustelle verwiesen. Mittlerweile arbeitet dort eine etwas kleinere Kolonne türkischer Kollegen. Allerdings ist der Bau auch schon fast fertiggestellt, das meiste haben die polnischen Arbeiter bereits erledigt.

In dieser Situation haben sie die Beratungsstelle »Faire Mobilität«, an der auch der DGB beteiligt ist, aufgesucht, die dann die IG BAU verständigt hat. Infolgedessen kam es am Freitag zu einem Gespräch mit einem der Geschäftsführer des Unternehmens. Der hat einmalig 3000 Euro insgesamt, also 60 Euro pro Person, angeboten. Allerdings auch nur mit der Maßgabe, daß die Arbeiter nach dem Motto »aus den Augen aus dem Sinn« nach Polen zurückkehren. Die jedoch weigerten sich, das Angebot zu akzeptieren.

Gleichzeitig hat ein anderes Subunternehmen, Optima, das für die Firma Durmaz & Köse die Unterkunft der Bauarbeiter in Gelsenkirchen angemietet hat, die Verträge dort gekündigt und die Vermieterin angewiesen, die Arbeiter aus den Wohnungen zu werfen. Das hat die Vermieterin mehrfach bestätigt.

Mit welcher Begründung sollte gekündigt werden?
Es hieß, die Arbeiter hätten dort gehaust wie Tiere und sogar in die Wohnungen gepinkelt. Das ist aber alles Blödsinn. Die IG BAU war mit mehreren Vertretern am Ort, um die Behauptungen zu überprüfen, hat jede einzelne Wohnung besichtigt und Fotos gemacht. Nichts von den Vorwürfen stimmte.

Haben die Arbeiter nach der Kündigung die Unterkünfte verlassen?
Zunächst nicht. Nachdem die Gewerkschaft Schwierigkeiten hatte, eine Alternative zu finden, haben die Kollegen gesagt: »Wir bleiben hier«. Sie haben die Polizei verständigt und einen polnischen Anwalt um Hilfe gebeten. Der hat ihnen erklärt, daß ohne Räumungsklage gar keine Möglichkeit besteht, jemanden vor die Tür zu setzen. Offenbar wurde eine solche Räumungsklage angedroht. Daraufhin standen die Bauarbeiter am Dienstag dieser Woche mit gepackten Koffern vor dem Gewerkschaftsbüro. Die Vermieterin hatte die Betten abgezogen und die Kühlschränke leergeräumt. Am vergangenen Sonnabend wollte sie schon die Schlösser austauschen, was die 50 Männer aber verhindern konnten. Am Montag liefen dann die Protestaktionen auf der Baustelle weiter, und 15 Kollegen haben in der Unterkunft »Stallwache« gehalten, damit nicht in Abwesenheit die Schlösser ausgetauscht würden. Am Dienstag morgen dieser Woche standen sie dann bei uns auf der Matte, abends wurden sie in Notunterkünften der Stadt Essen untergebracht.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir verhandeln mit dem Landschaftsverband und mit dem Bauunternehmen. Letzteres ist nach Arbeitnehmerentsendegesetz verpflichtet einzuspringen, wenn das Subunternehmen nicht zahlt. Es wird dann in sogenannte Generalauftragnehmerhaftung genommen. Allerdings bürgt es nur in Höhe des Mindestlohns. Auf dieser Forderung bestehen wir allerdings. Mit den polnischen Kollegen haben wir vereinbart, daß wir die Zahlung treuhänderisch entgegennehmen und dann an die einzelnen Arbeiter weiterleiten.

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