Die Nation als linkes Projekt

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Die Linke und die Nation

Endstation Rechts

Montag, 22. Juni 2009
Die Nation als linkes Projekt
von Stephan Bliemel
http://anonym.to/?http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/politik/artikel/die-nation-als-linkes-projekt.html

Heutzutage ist die Nation der wohl wichtigste Topos des rechten politischen Lagers.
Dass die Ursprünge der Nation allerdings auch links waren, wird häufig vergessen.
Der Beitrag "Die Linke und die Nation" erschien zuerst im Horizonte-Magazin
und soll der Auftakt unser gleichlautenden Themenwoche sein.

Die politische Geburtsstunde der »Nation« war die atlantische Doppelrevolution:
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1776
sowie die französische Revolution des Jahres 1789.
Wer die historische Wucht dieser Ereignisse begreifen will,
muss verstehen, wie in den vormodernen Staaten des Mittelalters und der frühen Neuzeit Herrschaft ausgeübt wurde.
Denn in dieser Zeit war die Dynastie für die meisten Menschen das einzig vorstellbare politische System.
Ein König erhielt seine Legitimität von Gott.
Die Menschen waren nicht Bürger, sondern Untertanen. Expansion erfolgte häufig nicht durch Kriege, sondern durch eine intensive Heiratspolitik.
Die Untertanen wechselten so je nach verwandtschaftlichen Entwicklungen den Souverän.

Vom Objekt zum Subjekt

Vor allem die französische Revolution stellte dies alles völlig in Frage.
1789 haben sich die Bewohner der Provinzen des Königs von Frankreich zusammengeschlossen,
weil sie sich selbst bestimmen wollten,
weil sie vom Objekt zum Subjekt des politischen Handelns werden wollten.
Mit dieser Tat wurden die Franzosen 1789 zu einer Nation.

Die Nationalstaatsbildung war also im Ursprung eine Emanzipationsbewegung,
ein Ergebnis der Aufklärung – sie war vor allem der Idee der Gleichheit aller Menschen verbunden.
Gegen die Ungleichheit des Ständestaates wollte man die Freiheit des Einzelnen sichern.
Es ging um Menschen- und Bürgerrechte, die für alle gleich sein sollten, es ging um Gewaltenteilung und um den Rechtsstaat.
Und es ging um die Selbstbestimmung des Volkes, die Demokratie. Die nationale Bewegung war also im Ursprung eine progressive, eine »linke« Bewegung.

Einmal in der Welt, entwickelte sich das ‚Nationale’ zu einer Idee, die nicht per se gut oder schlecht, progressiv oder unterdrückerisch war.
Sie konnte ganz unterschiedlich konstituiert sein und nationale Zugehörigkeit ganz unterschiedlich begrenzen.
Idealtypisch unterscheiden hier die Historiker den Begriff der Staatsnation von dem einer Volksnation. Demnach entspringt eine Staatsnation dem subjektiven und gemeinsamen Willen ihr anzugehören und ähnelt damit einem Vertrag, der in der Form der Staatsangehörigkeit nahezu juristisch fixiert ist.
Mitglied einer Volksnation ist man hingegen nicht aus subjektivem Willen,
sondern aus scheinbar objektiven Gründen: Der Sprache, der Kultur, der Rasse, der Geschichte oder Ähnlichem.

Verschiedene Wege

Die historische Ausprägung der einzelnen Nationen erfolgte jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern war höchst vorraussetzungsreich.
Die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Paradebeispiel für die Etablierung einer Staatsnation.
Als ehemalige Kolonie und Einwanderungsland fanden sich hier Bürger verschiedener Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Geschichte und Kultur zusammen.
In Frankreich hingegen verband sich die Staats- mit der Volksnation. Hier überschnitten sich die Grenzen, weil das französische Königreich schon zu dynastischen Zeiten nahezu deckungsgleich mit dem französischen Sprach- und Kulturraum war.
Dennoch bewahrte sich das republikanische Frankreich die liberale Idee der Staatsnation: Als Kolonialreich gestattete man Zuwanderung und vergab Staatsbürgerschaften.

Anders war die Situation in Deutschland.
Hier herrschte zu Zeiten der französischen Revolution ein Flickenteppich aus souveränen dynastischen Klein- und Mittelstaaten.
Ein gemeinsamer deutscher Staat war undenkbar, daher orientierte man sich zunächst an der gemeinsamen deutschen Sprache, Kultur und Geschichte:
Im Geiste fühlte man sich als deutsche Kulturnation. Hinzu kam, dass die Geburtsstunde des deutschen Nationalismus
durch die Herrschaft Napoleons eingeleitet wurde, die zunehmend als Fremdherrschaft wahrgenommen wurde.
Der Widerstand gegen Napoleon wurde patriotischer Widerstand, die Jahre zwischen 1806 und 1813 sind die Geburtsjahre der deutschen nationalen Bewegung.

Nach 1815 änderte sich die Lage, der Sieg über Napoleon lenkte die nationale Bewegung weg von der Befreiung von Außen hin zur Befreiung im Inneren.
Liberalismus und Nationalismus wurden in Deutschland bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts identisch.
Als größtes Hindernis für einen liberalen Verfassungsstaat erkannte man vor allem die zahlreichen fürstlichen Kleinstaaten, die durch ihre Enge und Dumpfheit jeden Fortschritt verhindern würden.
Jede Frage der Freiheit wurde dadurch zu einer Frage der nationalen Einheit.
Freiheit und Einheit wurden zum nahezu unlösbaren Doppelziel der progressiven Bewegungen in Deutschland.

Volksnation bis heute

Das Scheitern der Revolution von 1848 war schließlich ein Schicksalsmoment der deutschen Geschichte.
Dem liberalen Bürgertum gelang es weder der deutschen Einheit näher zu kommen noch eine Verfassung zu etablieren. Danach waren es Konservative, die die Idee der Nation für ihre Zwecke aufgriffen. Bismarck nutzte die nationale Begeisterung, um preußische Machtpolitik zu betreiben, drei Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich zu führen und schließlich die Nation von oben zu einigen.
Deutschland wurde zur ‹verspäteten Nation›.
Demokratische Vorzeichen waren so jedoch ausgeschlossen.
Und ein großer Teil des Bürgertums schwenkte begeistert über:
Die Freiheit wurde zugunsten der Einheit aufgegeben, die Weichen waren in Richtung einer Volksnation gestellt.

Bis heute dominiert sowohl im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht als auch im öffentlichen Bewusstsein die Vorstellung, dass Deutsch nur der sein kann, der auch deutsche Eltern hat.
Die Mehrheit glaubt also noch immer an die Volksnation.
Was aber muss daraus die Konsequenz für die politische Linke in Deutschland sein?
Die grundsätzliche Ablehnung des ‚Nationalen’ als politisches Prinzip?
Die Übertragung der nationalen Idee auf Europa im Sinne der Vereinigten Staaten von Europa?
Oder wäre es nicht sogar sinnvoll, die Gefühle für die Volksnation im Sinne einer aufgeklärten Staatsnation zu nutzen?
Eine Diskussion, die in Zeiten der Globalisierung auch von der Linken ohne Scheuklappen geführt werden muss.
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