Frauen sind keine Frauen, und der Terror der Hamas ist «bewaffneter Widerstand»: Für Judith Butler sind die Dinge immer anders, als wir glauben

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Feuilleton
Frauen sind keine Frauen, und der Terror der Hamas ist «bewaffneter Widerstand»: Für Judith Butler sind die Dinge immer anders, als wir glauben

Philosophin, Feministin, queere Aktivistin, Jüdin und immer gut für eine intellektuelle Provokation:
Die amerikanische Philosophin Judith Butler ist es gewohnt, viele Rollen zu spielen. Dabei verfängt sich in ihren eigenen Theorien.
Thomas Ribi 22.03.2024, 05.30 Uhr 6 min https://www.nzz.ch/feuilleton/die-philosophin-der-gewalt-judith-butler-verfaengt-sich-in-den-eigenen-theorien-ld.1822090

Sie weiss, dass sie aneckt, und man hat den Eindruck, sie tut es gern: die Gender-Theoretikerin und selbsterklärte Antizionistin Judith Butler.
Paco Freire / Imago

Wer Judith Butler kritisiert, hat sie nicht richtig verstanden.
Das sagt sie selbst manchmal.
Vor allem aber sagen es die, die sie verteidigen. Dann, wenn eines ihrer öffentlichen Statements für Empörung sorgt.
Und das kommt immer wieder vor.
Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober sei kein Terrorismus, sagte sie vor kurzem an einer Podiumsdiskussion in Paris.
«Historisch korrekter» sei es, das als Akt des «bewaffneten Widerstands» zu verstehen.
Es sei kein antisemitisch motivierter Angriff. Sondern ein Aufstand gegen den «gewalttätigen Staatsapparat» Israels.

Das klingt wirr.
Aber verwundern kann es niemanden.
Judith Butler sagt es seit Jahren.
Hizbullah und Hamas als Terrororganisationen zu bezeichnen, greift ihrer Ansicht nach zu kurz.
Es sei «sehr wichtig», sie als «soziale Bewegungen» und Teil der internationalen Linken zu begreifen.
Als Genossen im Kampf gegen Imperialismus und Unterdrückung.
Die Äusserung führte 2012 zu einer erregten Debatte darüber, ob es richtig sei, ihr den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt zu verleihen. Einer «bekennenden Israel-Hasserin», wie der Zentralrat der deutschen Juden sie nannte.

Butler relativierte. Ein bisschen.
Und widerrief trotzdem keine einzige ihrer Aussagen.
So, wie sie es heute noch tut.
Wenige Tage nach dem Anschlag der Hamas vom vergangenen Herbst veröffentlichte sie in der «London Review of Books» einen Essay, in dem sie den Angriff zunächst pflichtschuldigst verurteilte, um ihn dann so wortreich wie gewunden als Reaktion auf jahrzehntelange Unterdrückung der Palästinenser durch Israel zu erklären.
Das Morden sei «fürchterlich und abstossend», schrieb sie. Aber begreiflich.

Auch da wurde Judith Butler nicht richtig verstanden.
Es gehe ihr darum, zu erklären, wie es zu dieser Gewalt gekommen sei, sagte sie später.
Die Geschichte der Gewalt zu rekonstruieren.
Das bedeute nicht, sie zu billigen, betont sie. Das bleibt freilich Behauptung, auch wenn sie es dauernd wiederholt. Entscheidend ist die Begrifflichkeit. Indem sie als Widerstand bezeichnet werden, sind die Greueltaten legitimiert. Und wichtig ist für Butler, dass man sich entscheiden müsse: Entweder fälle man ein moralisches Urteil und berücksichtige die Geschichte nicht. Oder man bemühe sich, die Dinge wirklich zu verstehen. Moral – wozu?

Wer ein moralisches Urteil fällen wolle, habe sich für «Unwissenheit und Slogans» entschieden.
Auf der anderen, auf der richtigen Seite stünden die, die sich um «historische Untersuchungen» und «klare moralische Argumente» bemühten.
So sagte es Butler Ende des vergangenen Jahres der «Frankfurter Rundschau» in einem der seltenen Interviews, die sie deutschsprachigen Medien gibt: «Wenn wir nur daran interessiert sind, zu klären, wer für die Anschläge am 7. Oktober verantwortlich ist, dann beginnen wir die Geschichte an diesem Tag.
Wenn wir aber verstehen wollen, wie es zu diesen Anschlägen kam, dann müssen wir viel früher mit der historischen Erklärung beginnen.»

«Nur» sagt Butler. Nur um die Verantwortung für den Tod von Tausenden von Menschen und die Folterung von Geiseln dürfe es nicht gehen.
Was soll Moral, wenn grosse historische Zusammenhänge im Spiel sind? Und die Verantwortung liegt am Ende nicht bei den Mördern und Vergewaltigern der Hamas.
Sondern in politischen Entscheidungen der Vergangenheit.
Judith Butler würde das Differenzierung nennen. Und ihre internationale Fangemeinde nimmt es begeistert auf, als willkommene Bestätigung der politischen Logik, mit der sie die eigenen Vorurteile aufrechterhält.

Denn Judith Butler ist ein Star.
Die achtundsechzigjährige Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California in Berkeley ist eine intellektuelle Ikone der neuen Linken.
«Die grosse Denkerin» nennt sie die «Süddeutsche Zeitung», «eine der berühmtesten Intellektuellen der Welt».
Die «WoZ» spricht von der «Ikone des differenzierten Denkens», und im linksintellektuellen Milieu gilt sie sowieso als Diva des Genderismus.
Als die Frau, die gezeigt hat, wie die Dinge wirklich sind: nicht so einfach, wie man denken würde.

Zum Beispiel, wenn es um das geht, was wir Geschlecht nennen.
Mit dem Buch «Gender Trouble» hat Butler Anfang der neunziger Jahre das Verständnis der Geschlechterordnung auf den Kopf gestellt.
Das «Unbehagen der Geschlechter», das Butler meint, entsteht ihrer Theorie nach dadurch, dass die Kategorie Geschlecht weniger biologisch, sondern kulturell bestimmt sei.
Unsere Identität als Mann oder Frau, sagt sie, beruhe auf Zuschreibungen.
Männer seien Männer und Frauen Frauen, weil sie von ihrer Umgebung als solche definiert würden.
Und sie sich selbst aufgrund dieser Prägung als Mann oder Frau empfänden. Die Sache mit dem Geschlecht

Sex, das biologische Geschlecht, und Gender, das soziale Geschlecht, seien zwei verschiedene Dinge, sagt Butler. Gender sei so etwas wie eine Rolle, die sich aus dem gesellschaftlichen Umgang der Menschen untereinander ergebe. Und deshalb nicht unveränderlich. Butlers Buch gehört bis heute zu den meistgelesenen Titeln der Genderliteratur, ihre Thesen sind Teil der Allgemeinbildung geworden, und Papst Benedikt XVI. fühlte sich mehrmals verpflichtet, vor der gefährlichen Ideologie zu warnen, die die Familie zerstöre. Butler bestreitet nicht, dass es biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Aber beharrt darauf, dass es auf einem Entscheid beruht, wie und wie streng eine Gesellschaft ihre Mitglieder nach den biologischen Merkmalen ordnet.

Das erste Mal sei ihr das bewusst geworden, als sie vierzehn gewesen sei, sagte Judith Butler einmal.
Ihr Sportlehrer erlaubte ihr nicht, mit der American-Football-Mannschaft zu trainieren. Und zwar nicht, weil sie zu wenig kräftig gewesen wäre, sondern mit der Begründung, sie sei ein Mädchen.
Das wollte sie nicht akzeptieren.
Zur gleichen Zeit soll sie vom Rabbiner der jüdischen Schule in Cleveland, die sie besuchte, zu einem Ethikkurs verknurrt worden sein, weil sie bohrende Fragen stellte.

Das war anscheinend als Strafe gedacht.
Bei Judith, deren Eltern praktizierende Juden waren – die Mutter Ökonomin, der Vater Zahnarzt –, weckte es die Lust auf Philosophie.
Und das heisst: auf weitere Fragen. Sie begann Spinoza, Martin Buber, John Locke und Montesquieu zu lesen. Mit sechzehn hatte sie ihr Coming-out.
Nach der Schule studierte sie Philosophie in Yale und Heidelberg und promovierte mit einer Arbeit über den Begriff der Begierde bei Hegel. Seit 1993 ist sie Professorin in Berkeley und lebt mit der Politologin Wendy Brown und dem gemeinsamen Sohn in Kalifornien.

Philosophin, Feministin, queere Aktivistin, Jüdin und immer für eine Provokation gut: Judith Butler ist es gewohnt, viele Rollen zu spielen.
Sie weiss, dass sie aneckt, und sie tut es gern.
«I will get in trouble for this», hört man sie am Ende des Videomitschnitts aus Paris sagen, nachdem sie die Attacke der Hamas legitimiert hat: «Dafür werde ich Ärger bekommen.» Sie lächelt schüchtern.
Um sie herum Jubel und Applaus.
Sie weiss, was ihre Fans von ihr hören wollen. Das Problem mit Deutschland

Der Ärger, den sie sich einhandelt, bestätigt sie nur in ihren Ansichten. Sie zelebriert ihn. Nach Deutschland wolle sie nicht mehr reisen, verriet sie kürzlich einer Journalistin der «Zeit».
Weil sie die Berichterstattung über sich als «aggressiv, sogar antisemitisch» empfinde. Sie selbst lässt allerdings keine Gelegenheit aus, Israel fundamental zu kritisieren.
Als selbsterklärte Antizionistin spricht sie dem Staat das Existenzrecht ab und unterstützt die Boykottkampagne BDS («Boykott, Divestment and Sanctions»), die in Deutschland offiziell als antisemitisch gilt.

Doch genau da liegt für Butler das Problem mit Deutschland. Viele Deutsche fühlten sich dazu verpflichtet, Israel bedingungslos zu unterstützen, sagt sie – weil sie ja nicht als antisemitisch gelten wollten.
Wer Gerechtigkeit für Palästina fordere, werde angegriffen, und eine jüdische Antizionistin wie sie werde zum Freiwild.
«Ich bin eine Jüdin, die sich die Deutschen erlauben anzugreifen oder sogar zu hassen», liess sie in der «Zeit» verlauten.

Was Israels Krieg gegen die Hamas betrifft, ist der Fall für Butler selbstverständlich klar: Das ist Genozid.
Man muss das wohl als intellektuelle Kapitulation einer Denkerin verstehen, die sich in ihren eigenen Theorien verfängt.
Als Notsignal einer Philosophin, in deren Arbeitszimmer sich Hass, Gewalt, Elend und Tod in reine Begriffe aufgelöst haben, denen keine physische Realität mehr entspricht.
Das Sprechen, heisst es in einem ihrer Bücher, entziehe sich «stets in gewissem Sinn unserer Kontrolle».
Dem wird man nicht widersprechen.