Friedhof Lilienthalstraße

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Berlin Kreuzberg

anti-emanzipatorische Veranstaltungsorte Berlin


Friedhof Lilienthalstraße

seit Jahren geschichtsloses offizielles Volkstrauertagsgedenken
auf braun verseuchtem Friedhof

Terminübersicht zum Volkstrauertag 2014
15.11.2014, 16.30 Uhr
Internationale Gedenkveranstaltung
des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
ehemaliger Standortfriedhof in der Lilienthalstraße, Berlin-Neukölln

ehemaliger Standortfriedhof in der Lilienthalstraße, Berlin-Neukölln
http://www.parlament-berlin.de/de/Meldungen/Terminuebersicht-zum-Volkstrauertag-2014

extrem lesenswert mit Fotos
48 Stunden Neukölln + Zeitreisen
Gedenk.Kultur

von Christian Latz am 14. Juni 2013

Lange Zeit lag über der nationalsozialistischen Geschichte
eines Friedhofbaus an der Grenze zu Kreuzberg ein Mantel des Schweigens.
Nun beginnt eine offene Auseinandersetzung,
die den Spagat zwischen Gedenken und Perspektiven schaffen muss.

Friedhofskapelle Lilienthalstraße
— Ein neuer Ort im Festival Kunst und Kult
— Stimmen der Religionen

Lange Zeit lag über der nationalsozialistischen Geschichte eines Friedhofbaus
an der Grenze zu Kreuzberg ein Mantel des Schweigens.
Nun beginnt eine offene Auseinandersetzung, die den Spagat zwischen Gedenken und neuen Nutzungsperspektiven schaffen muss.
Eigentlich ist die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland ziemlich weitreichend geschehen.
Auch was die in der Zeit der NS-Diktatur errichteten Gebäude betrifft, ist eine genaue Auflistung größtenteils erfolgt.
Umso erstaunlicher ist es da, wenn derart belastete Orte über Jahrzehnte nicht in der öffentlichen Wahrnehmung auftauchten.
Ein solcher Fall ist die sogenannte „Ehrenhalle“:
Mitten in Berlin, an der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg,
steht seit über 70 Jahren eine Art nationalsozialistischer Tempelbau,
dessen Geschichte bis vor kurzem nicht thematisiert wurde.
Der quaderförmige Bau bildet das Zentrum des ehemaligen Standortfriedhofs Lilienthalstraße.
Von Wilhelm Büning im Auftrag des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ Albert Speer im Jahre 1939 errichtet,
diente die Kapelle im Dritten Reich als Ort der Heldenverehrung.
Zwei weitere, gleichartige Hallen waren am Standort geplant,
wurden aber nicht mehr errichtet – die Wandelgänge blieben bis heute ein Rohbau.
Am „Heldengedenktag“ wurde sich hier getroffen,
um gefallenen Soldaten Tribut zu zollen und ihren sinnlosen Tod im Sinne einer heroischen Vaterlandsliebe zu verklären.
Entsprechend kultisch wirken das Areal und der zentrale Bau.
Durch den wuchtigen Friedhofseingang führt der Weg über eine weitläufige Freitreppe auf eine Erhöhung,
auf der sich die von Wandelgängen gesäumte Halle befindet.
Bei dieser erweckt vor allem das Eingangsportal tempelhafte Assoziationen.
Im Inneren wird dieser Eindruck
durch einen gigantischen in die Wand gehauenen Reichsadler verstärkt,
der von zwei Gasfackeln eingerahmt wird.

Nach dem Krieg vergessen
Trotz der historischen Last,
die auf dem Ort liegt, geriet die Geschichte des Baus nach Kriegsende
und dem Zusammenbruch der NS-Diktatur komplett in Vergessenheit.
Nach der Instandsetzung in den Sechziger Jahren diente die „Ehrenhalle“
bis 2004 den angrenzenden Kirchengemeinden als normaler Friedhofsbau für Trauerfeiern.
Zudem machte ihn der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (VDK)
zur zentralen Gedenkstätte für die Opfer der Weltkriege in West-Berlin,
ohne dabei näher auf die konkrete Nutzung in der Vergangenheit einzugehen.
Ähnlich wie das wuchernde Grün auf dem Friedhofsgelände
die ehemals eindeutige Ästhetik des Baus mehr und mehr verdeckt hat,
hat sich auch über die Geschichte des Ortes ein Mantel des Schweigens und Vergessens gelegt.
Stattdessen findet dort bis heute am Vorabend des Volkstrauertages,
dem „Nachfolger“ des nationalsozialistischen „Heldengedenktags“, eine Kranzniederlegung samt Fackelzug statt.
Deren zentrale Protagonisten sind die Fackelträger des Wachbataillons und das Stabsmusikkorps der Bundeswehr,
die „den feierlichen Charakter der Veranstaltung“ prägen, wie der VDK auf seiner Internetseite schreibt.
Von kritischer Auseinandersetzung fehlt auch hier jede Spur.
Stattdessen wird eine gedankliche Kontinuität geschaffen,
die durch die Bilder der von den Fackeln der Uniformierten erleuchteten „Ehrenhalle“ noch verstärkt wird.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Ortsgeschichte ist dringend notwendig.

Zwischen Geschichte und Zukunft
Ein Umdenken sollte allerdings nicht nur darin münden, die Kapelle zu einer großen Gedenktafel umzuwidmen.
Wichtiger ist, dass bei der Verarbeitung der Vergangenheit auch die heutigen Möglichkeiten des Ortes mit ausgelotet werden,
damit „eine Perspektive für die Gegenwart und Vision für die Zukunft“ entsteht,
wie es die Historikerin Katja Lehmann mit ihrer Videoinstallation im Rahmen von 48 Stunden Neukölln vorschlägt.
Ähnlich sehen es auch die neuen Nutzer des Geländes, der polnische Unternehmerverein Nike e.V.,
der das Gelände mittlerweile verwaltet und dort das Programm zukünftig gestalten wird.
Man will „mit der unrühmlichen Vergangenheit offen umgehen“,
erklärt die Vorsitzende des Vereins, Lucyna Jachymiak Krolikowska,
sich „aber dadurch nicht die Hände binden lassen“.
Letztlich soll der Ort durch Kultur neu erobert und auch neu definiert werden - in Hinblick auf die Geschichte der Stätte eine richtige Zielsetzung.
Jedoch wird man sich an den Plänen und Ergebnissen messen lassen müssen.
Gilt es doch die richtige Balance zu finden
zwischen einer Aufarbeitung der Vergangenheit und einer Wiederbelebung für Gegenwart und Zukunft.
Dieser Prozess sollte von Beginn an aufmerksam verfolgt werden, damit dieser,
in vielerlei Hinsicht belastete Ort nicht wieder dem Vergessen und der Verdrängung preisgegeben wird.
Text von Christian Latz, neukoellner.net, das Online-Magazin aus und über Neukölln.