Journalismus des Martin Lejeune

Aus InRuR

sehr guter Text
zum "Journalismus des Martin Lejeune"
hinterlassen als Kommentar
auf dem blog Daniel Fallensteins

nahostnotizen
23. JUNI 2016 UM 1:29

Fehlt auch: Kürzlich war Martin Lejeune im Sudan und feierte in der Folge die Beliebtheit des dortigen Präsidenten.

Was man auch noch über Martin Lejeune wissen sollte:

1. Martin Lejeune hat sich in keiner der Regionen, zu denen er sich äußert, mehr als einige Wochen am Stück, und insgesamt mehr als wenige Monate aufgehalten.

2. In den Berichten über diese Themenbereiche ist eine Vielzahl
von falschen Fakten, Weglassungen, Verdrehungen, nicht verifizierbaren Darstellungen und Behauptungen zu finden,
die sich unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Aufenthalts von ihm nicht beobachtet worden sein können.
Darüber hinaus findet sich auch eine Vielzahl von Tatsachenbehauptungen,
zum Beispiel über den Einsatz bestimmter Waffen, oder den Ursprung von Verletzungen,
die selbst Experten nicht durch einfachen Augenschein tätigen könnten.

3. Grund dafür, dass viele Medien die Arbeiten Lejeunes lange vor seinen Aussagen zur Todesstrafe ablehnten, war schlicht, dass vor allem seine Texte keinerlei journalistischen Mindeststandards folgten: Sie waren zu lang, in Bezug auf Grammatik und Satzstellung extrem fehlerhaft.
Darüber hinaus stellt das Genre des „Augenzeugenberichts“ oder der Reportage nur einen Teil der Berichterstattung über ein Thema dar, während jedes Thema auch gleichzeitig in Konkurrenz mit anderen Themen steht.
Dementsprechend wird keine Zeitung, kein Magazin, kein Sender auch nur wöchentlich einen Augenzeugenbericht oder eine Reportage zu diesem Thema veröffentlichen wollen, und das schon gar nicht, wenn diese Berichte inhaltlich wenig Neues enthalten.

Man kann also mit Sicherheit sagen, dass sein Ruf als „Experte“ keine Basis in der Realität hat; an der Belastbarkeit seiner Aussagen als Augenzeuge ist wenigstens mit starken Zweifeln behaftet – und dies völlig ohne Berücksichtigung der Frage, ob man selbst auf der palästinensischen oder der israelischen Seite steht.

Das Phänomen „Lejeune“ ist gerade deshalb erschreckend: Eine Person mit maximal minimalen Hintergrund-, Vor-Ort- und journalistischen Grundkenntnissen schafft es immer wieder, mit ihren Darstellungen eine recht großes Publikum für sich zu begeistern, und noch viel mehr als dies: als Beispiel für die Einseitigkeit der Medien, als Experte angeführt zu werden.

Die Vielzahl von Ablehnungen, dass mittlerweile viele, wenn nicht gar alle Medien die Zusammenarbeit mit ihm ausschließen, dass Wikipedia seine Edits an seinem eigenen Wikipedia-Eintrag gelöscht hat, dass Israel ihm die Einreise verweigert, wird von ihm selbst und dieser Personen-Gruppe als Bestätigung für diese Meinung gesehen: Man wolle keine kritischen Meinungen, oder „unabhängigen Journalismus“, wie Lejeune das nennt.

Tatsächlich ist dieser „unabhängige Journalismus“, wiederum ganz gleich auf welcher Seite man steht, und losgelöst von der Vielzahl von Fehlern, eine Berichterstattung über ein Paralleluniversum, wie ein genauerer Blick zurück in jene Zeit zeigt, in der dieser Ruf seinen Anfang nahm: den Gazakrieg 2014.

Die Behauptung, er sei der einzige deutsche Reporter im Gazastreifen, später geändert in die Aussage, er sei der einzige durchgehend anwesende deutsche Reporter, hatte einigen Anteil daran, einen Mythos von Wagemut und Expertise zu begründen.

Dass er die Ablehnung durch die meisten Medien zum Beleg für die Einseitigkeit der Medien uminterpretierte, machte Lejeune gleichzeitig selbst zum Teil von Berichterstattung – eine bizarre Situation war entstanden: Eine Person ohne nennenswerte Erfahrung in diesem Berichtsgebiet, mit nur sehr wenigen Abnehmern, eine Person also, die in der deutschen Medienlandschaft stets nur eine marginale Rolle gespielt hat, wird als Beleg für die Einseitigkeit der Medien durch die Blogs und Vlogs, durch die Magazine, bis zur BBC und dann, als Experte „für das, was in Gaza wirklich geschah“, durch die Vortragssäle und vor das Russell Tribunal gereicht, und das, obwohl seine Texte und Aussagen teilweise absurde Züge annahmen.

So gab es einen Text, in dem es ausschließlich darum ging, wie Martin Lejeune sich im Krieg fühlt, während im gesamten Text kein einziger Palästinenser vorkam.

An einem anderen Punkt echauffierte er sich darüber, dass eine Redakteurin der Tagesschau sich nicht sofort ausführlich mit ihm unterhielt; der einzige, der sich interessiert habe, sei der Pförtner des NDR gewesen.
Dass man für eine weitgehend unbekannte Person, die gerade im Gazastreifen angekommen war, und deren journalistische Unabhängigkeit zuvor bei einem anderen öffentlich-rechtlichen Sender in Frage gestellt worden war,nicht automatisch alles stehen und liegen lässt, sollte eigentlich etwas Logisches sein.

Womit ich einen kleinen Schwenk zu der Kausa DeutschlandRadio unternehmen möchte: Nachdem Lejeune auf seinem Blog einen Spendenaufruf für einen pro-palästinensischen Verein veröffentlicht hatte, stornierte die Redaktion von DRadio Wissen zwei Interviews mit Lejeune.
Diesen Vorgang hatte nicht etwas die Redaktion, sondern Lejeune selbst am 6. August 2014 auf seinem Blog öffentlich gemacht, woraufhin dann zunächst das Medienmagazin Vocer am 11. August 2014 ein längeres Interview mit ihm führte, in dem er sich als erfahrener Kriegsreporter und Gaza-Experte darstellen durfte, und erhebliche Schelte an den deutschen Medien üben durfte: Deutsche Korrespondenten seien erst mit erheblicher Verspätung eingetroffen.
Zur Erinnerung: Er war am 22. Juli 2014 in Gaza eingetroffen, und hatte sich mindestens zwei Tage, nämlich am 8. und 9. August 2014 in Deutschland aufgehalten. Kurz darauf beklagte er dann auf seinem Blog, das DRadio habe seine Existenz und Glaubwürdigkeit als Journalist gefährdet.
Und tatsächlich wurde er dann kurzzeitig in den Medien zum Reporter, der für die Berichterstattung Risiken auf sich nimmt, und von den Medien nicht geliebt wird.
Dafür liebte und liebt ihn ein Teil der Aktivisten-Szene auch jetzt noch, manche sogar noch mehr, weil er nicht mehr veröffentlicht wird, weil ihm Israel die Einreise verweigert.
Die Gründe gehen auf Facebook-, Twitter- und Tumblr-Format unter.

Mein sehr subjektiver Eindruck in Situationen wie der Kausa DRadio, aber auch während der Toiletten-Affäre und nun, wo Lejeune eine Aktion plant, die ganz offensichtlich darauf abzielt, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen, war und ist, dass es sein System ist, möglichst stark zu provozieren, und dann die Reaktion des Gegenübers für die eigenen Zielsetzungen umzudeuten.

Aber zurück nach Gaza: Wie sehr Martin Lejeune Mutmaßung als Fakt darstellte, zeigte sich an Aussagen wie, er könne bestätigen, dass die Hamas keine menschlichen Schutzschilde einsetze. Gleichzeitig bezichtigte er diejenigen, die es gesehen haben, der Lüge. Tatsächlich gibt es überhaupt keine Möglichkeit, eine solche Aussage zu tätigen, und das auch dann nicht, wenn jemand von der Hamas das so gesagt hat: Die Hamas ist eine Organisation, in der selbst das Führungspersonal nicht immer weiß, wer was wo tut. Hinzu kommt, dass neben der Hamas auch noch eine Vielzahl von anderen gewaltbereiten Gruppierungen existiert, die untereinander und mit der Hamas kaum oder gar nicht können.

Im Parallelluniversum „Lejeune“ wurde daraus der „Widerstand“, in dem alle an einem Strang ziehen, und „alle Palästinenser“ hinter dem Widerstand stehen. Und wer das nicht tut, der ist ein Kollaborateur.

Womit ich bei den Äußerungen angekommen bin, die damals, 2014, für Aufregung sorgten: Jene zur Tötung von angeblichen Kollaborateuren.
An ihnen zeigt sich sehr gut, wie wenig Lejeune über die Gegebenheiten vor Ort weiß, wie sehr seine Darstellungen ein nicht trennbares Amalgam aus Aussagen ungenannter Dritter und eigener Phantasien sind, die keine Basis in der Realität haben: Die politischen und (pseudo-) militärischen Strukturen im Gazastreifen sind komplex, die juristischen Gegebenheiten sind ausgesprochen kompliziert: Im Gazastreifen gilt nach dem Recht der Autonomiebehörde das ägyptische Strafrecht aus dem Jahr 1967, während in den Teilen des Westjordanlandes unter PA-Kontrolle das jordanische Strafrecht aus 1967 gilt.
Beidem wurden nach Gründung der PA durch die palästinensische Regierung zusätzliche Paragraphen hinzu gefügt; im Gazastreifen tat die Hamas-Regierung nach 2007 das gleiche, behielt aber gleichzeitig die neuen Paragraphen der palästinensischen Regierung in Ramallah zwischen 1995 und 2007 bei.
Daneben gibt es das Militärrecht (heißt so) der PLO (in Gaza bis 2007), sowie Dekrete der Hamas-Regierung (seit 2007).

Im Juni 2014 hatten sich Hamas und Fatah aber auf eine Einheitsregierung geeinigt, und sich die Hamas zur Umsetzung des regulären Rechts verpflichtet.
In Bezug auf die Todesstrafe hätte die Hamas also zwingend die Unterschrift von Präsident Abbas sowie die Bestätigung der Urteile durch den Obersten Gerichtshof in Ramallah einholen, oder aber die Einheitsregierung aufkündigen müssen.
Beides ist nicht passiert.

Die der Kollaboration bezichtigten Personen wurden aber auch nicht von den Strafverfolgungsbehörden hingerichtet, sondern von Angehörigen einer Kampfgruppe getötet, die der Hamas zugerechnet wird.
Diese Gruppe ist in keine staatliche oder pseudo-staatliche Struktur eingebettet, hat also überhaupt keine Befugnisse Urteile zu fällen und Strafen zu vollstrecken, und dies auch nicht in der Logik der Hamas-Regierung.
Diese Hamas-Regierung, die darüber hinaus auch kurz zuvor eine Einheitsregierung mit der Fatah gebildet hatte, hat auch nie Revolutionsgerichte (Lejeune behautete, ein „Revolutionsgericht“ habe die Urteile gefällt) geschaffen; durch die Einheitsregierung wäre ein solcher Schritt ohnehin ungültig gewesen.
Die Ereignisse können also in keinem denkbaren Kontext „legal“ gewesen sein.

Furchteinflößend war Lejeunes Aussage, sogar Familienangehörige würden ihre Angehörigen denunzieren, was er als Beleg dafür sieht, wie groß die Unterstützung für „den Widerstand“ sei: Tatsächlich erzeugten Aktionen wie diese eine Atmosphäre der Angst.
Jeder kann jederzeit zum Opfer werden, ohne Beweislast, ohne ordentliches Verfahren.

Im Paralleluniversum „Lejeune“ werden zunächst ganz klare Feindbilder geschaffen, die meist aus „Israel / X“ oder „USA / Y“ oder „Der Westen / Z“ bestehen.
Als nächstes wird dann den „Bösen“ Bereitschaft zur ultimativen Grausamkeit unterstellt, werden die „Guten“ soweit wie möglich entdifferenziert und idealisiert: Ganz gleich, ob man sich sonst nicht mag, ganz gleich, ob man sonst für eine Atmosphäre der Unfreiheit sorgt, im Kampf des Guten gegen das Böse spielen diese Feinheiten keine Rolle mehr, bilden alle eine Einheit.
Im letzten Schritt wird dann kontinuierlich nach Ereignissen und Informationen gesucht, die zu dieser Sichtweise passen, oder passend gemacht werden könnten.

So wurde in einem Bericht Lejeunes über die Wirtschaft im Gazastreifen das Bild einer florierenden Wirtschaft gezeichnet, die durch den Krieg 2014 zerstört wurde.
Als Beleg wurden einige Unternehmen angeführt.
Tatsächlich hatten einige dieser Betriebe aber bereits vor dem Krieg geschlossen, denn die Wirtschaftskrise dauerte bereits seit Jahren an.

Doch die Frage, warum das so ist, ist so vielfach komplexer; viele hatten und haben dazu beigetragen.
Die einfache Gleichung „Israel hat in ein paar Tagen den Gazastreifen kaputt gemacht“ erlaubt derweil, das oben beschriebene Feindbild nicht nur beizubehalten, sondern zu bestätigen.

Im Parallelluniversum „Lejeune“ findet auf der Insel der Guten eine sonst wenig Liebe erfahrende Schar eine Heimat: Sudanesische Diktatoren, militante palästinensische Gruppen, Salafisten, die Türkei, Mursi wobei es sich in der Darstellung Lejeunes dann stets um idealisierte Konzepte handelt.

Er trete für die Menschlichkeit ein, sagt er.
Seine Auswahl für die Insel der Guten steht dazu ebenso in einem krassen Gegensatz, wie seine Bereitschaft, auch negative Tendenzen in etwas Positives umzuinterpretieren, oder sie, falls das nicht geht, als Lüge abzutun.

Die Bevölkerungen in den jeweiligen Ländern, denen von den entsprechenden Protagonisten die eigenen, oft repressiven, Zielsetzungen gewaltsam aufgezwungen werden, werden in diesem „Kampf für die Menschlichkeit“ zu Statisten reduziert, denen zudem auch von Martin Lejeune die Gedankenwelt zugeteilt wird: Die Palästinenser stehen hinter der Hamas, die Türken wünschen sich eine stärker auf den Islam ausgerichtete Lebensweise.
Die von Ansaar wollen nur helfen.
Und Omar Baschir ist tatsächlich ein beliebter Mann, weil er den Sudan in eine Ansammlung von lachenden Menschen verwandelt hat.

Dies alles geschieht auch mit einigem Zynismus: In einem Krankenhaus in Gaza beklagte sich das Personal, Lejeune habe während des Krieges die Gänge der Notaufnahme blockiert, ungefragt Bilder, auch von Minderjährigen, angefertigt, und diese ins Internet gestellt.
Privatsphäre, Persönlichkeitsrechte, das Bedürfnis medizinischen Personals ungehindert so schnell wie möglich möglichst viele Verletzte zu versorgen; all‘ dies muss auf dem Planeten Lejeune hinter dem Kampf des Guten gegen das Böse zurück stehen.