Süddeutsche Zeitung 11.8.2012 Forum & Leserbriefe "Auf der falschen Seite"

Aus InRuR

Chronologischer Medienspiegel zum "Fall Drygalla"


Süddeutsche Zeitung, Sa 11.08.2012

Seite 21
Forum & Leserbriefe
OLYMPISCHE SOMMERSPIELE
Auf der falschen Seite
"Eine deutsche Frage" vom 4./5. August
und "Das rätselhafte Mädchen aus Rostock" vom 6. August,
"Wie ein Blitz" vom 2. August, "In den eigenen Becken" vom 6. August,
"Aktuelles Lexikon: Olympia" vom 28./29. Juli:
Verlorene Ehre
Die Affäre um die deutsche Ruderin und angebliche Nazi-Braut Nadja Drygalla erinnert mich stark an Heinrich Bölls Erzählung von 1974: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" oder "Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann."
Als Terroristenbraut verleumdet und ihrer Ehre beraubt, tötet Katharina Blum schließlich den Verursacher der Hetz- und Treibjagd gegen sie. Gibt es auch in der Affäre Nadja Drygalla ein Ende mit Schrecken? Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, täte gut daran, sich zu entschuldigen und sich auf seine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: die Realisierung der gezielten Sportförderung im Kindergarten und in den Schulen wie im Erfolgsland China. Damit wir morgen noch olympische Medaillen holen und nicht eines Tages leer ausgehen müssen.
Roland Klose, Bad Fredeburg


Demokratie zeigt Zähne
Die Sportlerin Nadja Drygalla mit ihrem rechtsradikalen Freund täuscht ein Dilemma faustischen Ausmaßes vor, in dem wir uns befinden sollen. Ließ sie sich doch mit dem "Teufel" ein - und, obwohl niemand weiß, ob sie seine Lieder singt, in die Hölle musste sie allemal. Da sitzt sie nun in ihrer Zwickmühle: Soll sie auf ihre Liebe verzichten, was auch eine Hölle ist, oder nur gegen alle Widerstände weiterschmoren?
Es regt sich der fromme Wunsch, dass sie die Kraft habe, dabei nicht selbst radikal zu werden. Das aber wird schwer.
Denn aus ihrer subjektiven Liebessicht sind sicher wir die größeren Teufel. Und damit hätte sie, solange sie sich nicht radikalisiert, leider fast recht. Denn: Wir können diese Liebe nicht lieben.
Wir verabscheuen die radikale Rechte. Verabscheuen wir sie aber so sehr, dass wir selbst ein mögliches Unrecht als das kleinere Übel in Kauf nehmen?
Stecken wir ein Mädchen wegen ihrer Liebe in "Einzelsippenhaft", weil wir alle die angestrebte völkische Sippenhaft ihres rechtsradikalen Geliebten verhindern wollen - und müssen?
Isolieren wir also "notgedrungen" die Rechtsradikalen und ihre Wasserträger?
In Wahrheit tun wir das bewusst, gezielt und rechtlich einwandfrei.
Denn freie Liebe ist die Kür, unabdingbare demokratische Pflicht ist aber die demokratisch zu verantwortende Partnerwahl.
Wer sich einen undemokratischen Partner wählt, hat ihn sich zuzurechnen. Wird, weil sie das selbst so entschieden hat und solange er oder sie sich nicht eindeutig und öffentlich distanzieren, berechtigterweise ebenfalls als undemokratisch angenommen. Die Demokratie zeigt in diesem Fall gesunde Zähne.
Michael Maresch, München


Offensichtliche Ungerechtigkeit
Seltsam: Da wird eine Frau dafür in Haftung genommen, dass ihr Freund in der rechtsextremen Szene ist; ihr selbst wird keine rechtsextreme Aussage oder Einstellung vorgeworfen. Trotzdem wird die Ruderin Nadja Drygalla aufgrund einer Gesinnungs-"Vorverurteilung" - denn darum handelt es sich- aus dem Olympiateam verstoßen. Das ist der Skandal.
Und dass weder im Team noch in der Öffentlichkeit jemand etwas gegen diese Ungerechtigkeit sagt.
Christian Schneeweiß, Schlehdorf


Ahistorische Auswahl Wie viele andere Sportsfreunde in Deutschland habe auch ich mich über den "historischen" Sieg des Deutschland-Achters gefreut. Beim Blick auf die Titelseite der SZ am nächsten Morgen bin ich allerdings zusammen gezuckt.
Die Bildüberschrift "Wie ein Blitz" scheint bei Olympia in London unangemessen. Denn "Blitz" wurde der deutsche Luftangriff auf London seit September 1940 genannt, ganz abgesehen von den vielen "Blitzkriegen" in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkrieges. Die Auswahl der Überschrift ist daher im Unterschied zum Sieg der deutschen Ruderer recht ahistorisch.
Nils Geißler, Kronberg


Maßlose Selbstüberschätzung
Das Resümee der Schwimmer-Katastrophe kam zu früh. Denn das Abschneiden der gesamten deutschen Mannschaft macht es nötig, über den Becken-Tellerrand der Schwimmer hinauszuschauen und eine Analyse der Verhältnisse im deutschen Leistungssport insgesamt vorzunehmen. Neben den Schwimmern verzeichnen die Fechter, die Schützen, die Wasserspringer, ja sogar die Springreiter und Hockeyspielerinnen tiefe Einbrüche.
Vielleicht können Sie und die Sportredaktion der SZ anfangen, darüber nachzudenken, wie man die Hierarchie der deutschen Sportverwaltung und die zuständigen Politiker, aber auch die deutschen Sportler - "Ich habe mich super gefühlt, ich weiß auch nicht." - von ihrer durch maßlose Selbstüberschätzung erzeugten Ratlosigkeit befreien und zu umfassenden Veränderungen veranlassen kann. Generell scheint es erforderlich zu sein, den deutschen Sportlern, ihren Funktionären und den deutschen Sportmedien zu einer deutlicheren Wahrnehmung der Realität zu verhelfen. Mindestens sollte aber nach den Spielen eine strenge Revision vorgenommen werden.
Peter Bläsing, Bollendorf


Zwischen den Festen Mit periodischer Regelmäßigkeit wird alle vier Jahre die neuzeitliche Begriffsverwirrung Olympiade - Olympische Spiele diskutiert. Mit Bezug auf die umständliche IOC-Formulierung "Spiele der XX. Olympiade München 1972" hat damals schon A. Metzner in der Zeit dargelegt, man dürfe auch einfach "Olympiade" sagen. Anlässlich London 2012 konnte man auf Klärung im Aktuellen Lexikon der SZ hoffen. Stattdessen Geplauder über Verwechslungen einer Dopingprobe sowie der nordkoreanischen Fahne und die Behauptung: "Nein, am Freitag hat nicht die Olympiade begonnen, sprachhistorisch ist sie streng genommen sogar zu Ende gegangen. " Doch! Am 27. Juli hat auch nach altgriechischer Vokabel eine Olympiade begonnen und zugleich hat eine geendet, nämlich die Olympiade als Zeitspanne zwischen der vorigen, Peking 2008, und der Londoner. Beides haben die alten Griechen so genannt. Wer hat, nehme sein (alt-)griechisches Lexikon zur Hand, etwa "Benselers griechischdeutsches Schulwörterbuch". Dort Seite 643: "Die Olympiade, ein Zeitraum von vier Jahren, von einem olympischen Feste zum andern." Der Grieche Pausanias, "Baedeker der Antike" genannt, hat in seiner Griechenlandbeschreibung (zwischen 170 und 180 nach Chr.) zwei Bücher über Olympia und die Wettkämpfe verfasst. Er ging dort durch einen Wald beschrifteter Siegerstatuen. Mehr als 200 der bronzenen Denkmäler erwähnt er. Zwei altertümliche Beispiele (Pausanias, Buch 6, 18,4): "Als erste Athletenstatuen in Olympia wurden diejenigen des Aegineten Praxidamas geweiht, der bei der 59. Olympiade im Faustkampf gesiegt hatte, und des Opuntiers Rhexibios, der bei der 61. Olympiade die Pankratiasten bezwang. Diese Statuen sind aus Holz gemacht, diejenige des Rhexibios aus Feigenholz, die des Aegineten aus Zypressenholz; sie hat weniger gelitten als die andere." Immerhin, sie standen noch 700 Jahre!
Berthold Fellmann, München