Staatsmedium „Ruptly“ arbeitet weiter: Russische Propaganda direkt aus Berlin
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Staatsmedium „Ruptly“ arbeitet weiter: Russische Propaganda direkt aus Berlin
Die staatliche russische Videoagentur „Ruptly“ hat ihre Zentrale noch immer in der deutschen Hauptstadt.
Dabei steht das Mutterunternehmen wegen Propaganda auf der EU-Sanktionsliste. Eine Recherche.
Von
Christoph M. Kluge
Olga Konsevych
Claudia von Salzen
29.06.2023, 09:30 Uhr
Geschäftig laufen junge Menschen den Gang des Büros entlang, das sich über eine ganze Etage erstreckt.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, ein typisches Berliner Start-up zu sehen.
So wie in den Nachbarbüros, in denen ein Personalvermittler und verschiedene Softwareunternehmen sitzen.
Doch in diesem Büro im zweiten Stock des Schultheiss-Quartiers im Berliner Ortsteil Moabit
arbeitet Putins Propagandamaschine – mitten in der deutschen Hauptstadt, trotz der Sanktionen gegen Russland.
Die Medienagentur „Ruptly“, die zum Netzwerk des Staatssenders RT („Russia Today“) gehört
und Videos für den internationalen Markt produziert, hat schon seit ihrer Gründung 2012 ihre Zentrale in Berlin.
Doch während „RT“ seine Aktivitäten in Deutschland
nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine einstellen musste,
denkt man bei „Ruptly“ offenbar nicht ans Aufhören.
Ende vergangenen Jahres bezog die Agentur die neuen Räume in Moabit und stellte nach Tagesspiegel-Informationen weitere Mitarbeiter ein.
Im zweiten Stock des Schultheiss-Quartiers in Berlin-Moabit hat die russische Agentur „Ruptly“ ihre Zentrale. © nurfotos.de/Michael Hübner
Wie aus dem Handelsregister hervorgeht, gehört die Ruptly GmbH zu 100 Prozent dem Moskauer Unternehmen TV-Novosti,
das in Russland als „autonome Nonprofit-Organisation“ (ANO) registriert ist.
Die Europäische Union setzte TV-Novosti im Dezember 2022 auf die Liste der Sanktionen, die wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine verhängt worden waren.
EU wirft TV-Novosti Verbreitung von Kremlpropaganda vor
TV-Novosti sei „eine mit der russischen Regierung verbundene Medienorganisation“ und werde aus dem russischen Haushalt finanziert, heißt es in der Begründung. „Über die ihr unterstellten Medien, einschließlich RT, verbreitete sie kremlfreundliche Propaganda und Desinformation und unterstützte den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.“
TV-Novosti wurde 2005 von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti als Dachorganisation für das Auslandsfernsehen „Russia Today“ gegründet.
Als im Sommer 2008 russische Soldaten in das Nachbarland Georgien einmarschierten, wurden sie von „Russia Today“-Reportern begleitet, die die Invasion bejubelten. Einige Monate später setzte die russische Regierung die Muttergesellschaft TV-Novosti auf eine Liste von Organisationen mit „strategischer Bedeutung“, die der Staat in der damaligen Wirtschaftskrise unterstützen müsse.
„Russia Today“ wurde umbenannt in „RT“ und expandierte weltweit.
In Deutschland verbreitete „RT DE“ ab 2014 Falschinformationen und Verschwörungsmythen, zuerst auf YouTube, später auch in einem Thüringer Lokalsender.
Hinzu kamen die auf Social Media zielenden Kanäle „Redfish“ und „Maffick“. Gemeinsam war ihnen eine antiwestliche und vor allem antiamerikanische Ausrichtung. Wer die Beiträge sah, konnte auf den ersten Blick nicht erkennen, dass sie von einem russischen Staatsmedium kamen.
Ruptly beliefert internationale Medien mit Videos
„Ruptly“ lieferte den anderen Formaten das Videomaterial. Auch personell waren die Verbindungen eng, „Ruptly“ und „RT DE“ hatten dieselbe Geschäftsführerin, Dinara Toktosunova. Doch die Videoagentur „Ruptly“ versorgt keineswegs nur andere russische Staatsmedien mit Material.
Große Medienunternehmen auf der ganzen Welt – in den USA, Brasilien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch in Spanien oder Deutschland – hätten Videos von „Ruptly“ gekauft, berichtet eine ehemalige „Ruptly“-Mitarbeiterin dem Tagesspiegel.
Ihr Name solle nicht in der Zeitung stehen, sagt sie und verweist darauf, dass es für diejenigen, die früher bei „Ruptly“ gearbeitet hätten, schwer sei, heute bei deutschen Medien einen Job zu finden.
Enge Verbindung zu „RT“
INFO-KASTEN:
Die Videoagentur „Ruptly“ wurde 2012 in Berlin gegründet.
Sie gehört zu 100 Prozent der Medienholding TV-Novosti in Moskau, unter deren Dach auch der russische Auslands-Propagandasender „RT“ (früher „Russia Today“) angesiedelt ist.
Zwischen „Ruptly“ und RT gibt es sehr enge personelle und organisatorische Verbindungen.
Die Geschäftsführerin von „Ruptly“ in Berlin, Dinara Toktosunova,
war beispielsweise auch Geschäftsführerin beim deutschen „Russia Today“-Ableger „RT DE“, bis dessen Arbeit im vergangenen Jahr eingestellt wurde.
Für die Kunden hat „Ruptly“ offenbar ein besonderes Preismodell entwickelt. Bleibt das „Ruptly“-Logo im Video zu sehen, bietet die Agentur einen günstigeren Preis.
Den Hinweis auf die Herkunft des Materials zu entfernen ist dagegen teurer.
Weil sich „Ruptly“ an einen weltweiten Markt richtet und Videos in mehreren Sprachen produziert, arbeitet in Berlin ein großes, internationales Team. Für viele ist es der erste Job in der Medienbranche. Ihr habe es gefallen, dass „Ruptly“ „unkonventionelle Nachrichten aus dem Westen“ aufgreife und dabei „soziale Bewegungen“ eine große Rolle spielten, sagt die Ex-Mitarbeiterin. Tatsächlich berichtete „Ruptly“ intensiv von den Pegida-Demonstrationen in Sachsen und den Protesten der „Gelbwesten“ in Frankreich.
Dass die russischen Eigentümer bereits mit der Auswahl solcher Themen eine Strategie verfolgen, ist offenbar selbst den Beschäftigten nicht unbedingt klar.
Bis Februar 2022 sei ihr „Ruptly“ vorgekommen wie ein normales Medium, sagt die frühere Redakteurin.
Begriffe „Krieg“ und „Invasion“ durften nicht verwendet werden
Doch spätestens mit dem russischen Großangriff auf die Ukraine lässt sich nicht mehr verdrängen, dass der russische Staat hinter dem Unternehmen steckt.
Die Wörter „Krieg“ und „Invasion“ dürfen in Beiträgen von Ruptly nicht verwendet werden. Zahlreiche „Ruptly“-Beschäftigte kündigen, darunter mehrere Führungskräfte.
Bereits Anfang Februar 2022 untersagte die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der deutschen Landesmedienanstalten dem Medium RT DE die Ausstrahlung eines Fernsehprogramms.
Wenige Tage nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine verhängte die Europäische Union ein Sendeverbot gegen „Russia Today“ und „Sputnik“, ein weiteres Propagandamedium.
„RT DE“ stellte seine Aktivitäten ein. Doch „Ruptly“ blieb und machte einfach weiter wie zuvor. Die Agentur wechselte lediglich die Adresse und zog nach Moabit.
In der verbliebenen Belegschaft wurden Führungspositionen neu vergeben, neue Leute kamen dazu.
Der Eingang zur Berliner Zentrale von „Ruptly“.
Der Eingang zur Berliner Zentrale von „Ruptly“. © nurfotos.de/Michael Hübner
Geschäftsführerin ist weiterhin die 39-jährige Dinara Toktosunova. Wie eng ihre Verbindung zu dem sanktionierten Unternehmen TV-Novosti ist, zeigt ein Dokument aus dem Handelsregister.
Als die Muttergesellschaft TV-Novosti im April 2021 das Stammkapital der Ruptly GmbH auf 80.000 Euro erhöhen wollte, trat Toktosunova beim Notar als „bevollmächtigte Vertreterin der TV-Novosti mit Sitz in Moskau“ auf, wie es in der entsprechenden Urkunde heißt.
So konnte an jenem Tag im Berliner Büro des Notars eine außerordentliche Gesellschafterversammlung von TV-Novosti stattfinden – vertreten nur durch Toktosunova.
Auf diese Weise wurde die Kapitalerhöhung beschlossen, ohne dass jemand aus Moskau anreisen musste.
Zum Termin hatte Toktosunova eine Vollmacht vorgelegt, unterschrieben von Alexej Nikolow, dem Generaldirektor von TV-Novosti, der zugleich die Geschäfte von RT führte.
Seit Dezember vergangenen Jahres steht auch Nikolow selbst auf der Sanktionsliste der EU.
Verzerrtes Bild des russischen Angriffskrieges
Aus der Berliner Zentrale verbreitet „Ruptly“ mehr als 16 Monate nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine weiter Videos.
In den Beiträgen kommen die massiven russischen Angriffe auf ukrainische Städte nicht vor – anders als beispielsweise die Drohnen über Moskau oder Explosionen in der russischen Stadt Belgorod.
Zugleich produziert „Ruptly“ Beiträge aus den von Russland besetzten Gebieten.
So entsteht ein verzerrtes Bild des russischen Angriffskrieges.
Es ist ein Skandal, dass die Sanktionen nicht ausreichend umgesetzt werden.
Susanne Spahn, Politikwissenschaftlerin
„Ruptly“ verbreitet auch Videos, die in Deutschland aufgenommen wurden.
Sie zeigen überproportional oft Kundgebungen, die sich gegen die deutsche Unterstützung für die Ukraine richten.
An dem Tag, an dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Aachen den Friedenspreis entgegennahm, publizierte „Ruptly“ gleich drei Videos von kleinen Demonstrationen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.
Doch warum darf das Propagandamedium in Berlin unbehelligt weiterarbeiten, obwohl die Mutterfirma TV-Novosti mit Sanktionen belegt wurde
und die Europäische Union damit ausdrücklich die Verbreitung von Kreml-Propaganda und Desinformation unterbinden wollte?
Trotz mehrfacher Versuche bekam der Tagesspiegel auf diese Frage von den verantwortlichen Behörden keine Antwort.
Seit Anfang des Jahres ist eine neu geschaffene Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung dafür zuständig, das Vermögen von sanktionierten Personen und Organisationen aufzuspüren und gegebenenfalls sicherzustellen.
Die Zentralstelle ist bei der Generalzolldirektion angesiedelt.
Auf Nachfrage hieß es dort, „zu konkreten Einzelfällen der Sanktionsdurchsetzung“ könne man sich nicht äußern. Auch das Auswärtige Amt ließ die Frage unbeantwortet, warum „Ruptly“ weiter von Deutschland aus Propaganda betreiben kann.
Anderswo in Europa ist man da schon seit Monaten weiter.
Die Politikwissenschaftlerin Susanne Spahn, die sich intensiv mit russischen Propagandamedien befasst, verweist darauf, dass in Frankreich bereits im Januar die Konten von „RT“ eingefroren worden seien. Genau wie „Ruptly“ gehörte „RT France“ der sanktionierten Mediengruppe TV-Novosti.
„Es ist ein Skandal, dass die Sanktionen in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt werden“, sagt Spahn.