Volkseigene Neonazis. Die rechtsextremen "Vandalen" wüteten schon in der antifaschistischen DDR von Frank Jansen Tagesspiegel Mo 18.09.2000 Seite 3

Aus InRuR

Tagesspiegel - Unabhängige Berliner Morgenzeitung, Mo 18.09.2000 Seite 3

Volkseigene Neonazis. Die rechtsextremen "Vandalen" wüteten schon in der antifaschistischen DDR.

von Frank Jansen

Gleißendes Licht durchdringt den Nebel. Die Skinheads kneifen die Augen zusammen und murren. In Fäusten zerknirschen Plastikbecher, Bier spritzt auf die Pflastersteine. Wie ein Tiger läuft der bullige Zapfer mit Rauschebart in seinem "Bürgerbräu"-Stand auf und ab. Die Stimmung ist hinüber. Ungebetene Gäste haben die Jahresfeier der "Vandalen" gesprengt. Angestrahlt durch einen mobilen Flutlichtmast, wimmeln 250 Polizisten über den Parkplatz und ins schmucklose Klubheim der Nazirocker-Gang. Einzeln werden Kahlgeschorene, Scheitelträger und langhaarige Germanenfans von Beamten in grünen Kampfanzügen auf die Straße geführt, in die Gasse der Polizeitransporter.

"Ich lass' mich nich' fotografieren", mault ein korpulenter Glatzkopf, "dazu haben Sie kein Recht!" Doch, doch, erwidert ein hünenhafter Polizist und fasst den Skinhead beinahe väterlich am Arm, "Sie kommen mit, das weiß ich". Der Kahlkopf sieht das dann auch so. Mit bösem Blick gibt er seine Personalien preis, stellt sich am Transporter auf, ein Beamter lässt die Polaroidkamera blitzen. Das Foto surrt heraus - einer mehr in der Kartei, der Nächste bitte.
Die Berliner Polizei lässt nicht locker. Das Klubheim der "Vandalen" in der Weißenseer Liebermannstraße zählt zu den hot spots der rechten Szene, bei größeren Treffen sind die Beamten regelmäßig dabei. Für letzten Sonnabend war die Jahresfeier des Vandalentrupps angekündigt, prompt hat Michael Knape, Chef der Polizeidirektion 7, ein größeres Aufgebot zusammengetrommelt. Um 22 Uhr dringen 250 Polizisten in das Industriegelände vor, mit vermummtem Spezialeinsatzkommando, Staatsschützern und den in der Szene gar nicht beliebten Männern der Spezialeinheit PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt). Widerstand ist zwecklos, die Meute am Bierstand vor dem Klubheim grollt ihre Wut in sich hinein. Die nächsten vier Stunden ist Partypause. Doch der eher ruhige Ablauf der Polizeikontrolle täuscht: Hier ist der harte Kern der Berliner Naziszene versammelt, samt "Kameraden" aus Brandenburg, Sachsen, Thüringen und England, Ungarn, den USA und Kanada. Die "Vandalen" sind eine der Urzellen und geben sich hardcore. Seit 18 Jahren.

Ihre Geschichte ist eine bizarre Antwort auf die Lebenslüge des realsozialistischen Antifaschismus. Ende der 70er Jahre boomte in der DDR die Rockerszene, mit langen Haaren und Motorrädern aus VEB-Produktion formulierten die wilden Typen ihre Absage ans Spießertum der SED. "Da gab es reihenweise Massenschlägereien", erinnert sich Bernd Wagner, einst Oberstleutnant der Kriminalpolizei und Ende der 80er Jahre Chef einer "Arbeitsgruppe Skinhead". Die "Vandalen" hätten bei den Treffen oft mitgemischt und seien schon bei ihrer Gründung 1982 rechtsextrem gewesen.

"Gewalt und Tod waren Kult", sagt Wagner, "aber ein großes Sicherheitsproblem waren die Vandalen damals nicht". Er zählte die Rocker zur Sympathisantenszene der Nazicliquen. Das Potenzial war gewaltig: 1988 schrieb Wagner in einer "Dokumentation ,R'" (wie Rowdy), es gebe in der DDR 5000 militante Rechtsextremisten - und bis zu 10000 Mitläufer. Als der Bericht erschien, wurde Wagner geschasst. Solche Horrorzahlen und dann noch die Analyse, der Rechtsextremismus sei volkseigen und kein West-Import - das hatten SED und Stasi nicht bestellt. Seit der Wende war Wagner wieder gefragt. Als Experte sollte er erklären, woher plötzlich die vielen Rechten herkamen. Wagner wurde 1990 Staatsschutz-Chef im damals gemeinsamen Landeskriminalamt der neuen Länder. Doch seine Warnungen, etwa die Vorhersage der Krawalle in Hoyerswerda, hörten auch Demokraten nicht so gern. Ende 1991 verließ Wagner die Polizei. Als externer Experte nervt er die Behörden nun noch mehr als vorher.
Die Vandalen hat Wagner weiter im Blick. Er weiß noch gut, wie sie sich mit dem Berliner Nazi-Anführer Arnulf Priem zusammentaten, einem langhaarigen Fan von Wikingern und Waffen-SS. Priem, einst Häftling in der DDR und von dieser der Bundesrepublik regelrecht zum "Verkauf" angeboten, bezeichnete sich als "Gauführer Berlin" und nannte seinen eigenen Verein "Hauptschulungsamt Wotans Volk". Im November 1991 marschierte er mit den Vandalen und anderen Neonazi-Gruppen am Soldatenfriedhof im brandenburgischen Halbe auf. Doch Priem war, schon wegen seiner sexuellen Obsessionen, bald vielen "Kameraden" suspekt. Auch die Vandalen orientierten sich Mitte der neunziger Jahre mehr an der Skinheadszene. Heute ist die Gruppe, obwohl sie weiterhin nur etwa 30 Zopf- und Glatzköpfe zählt, ein Bindeglied der Szene. So spielen Mitglieder der Vandalen bei der Band "Landser" mit. In den Songs attackiert sie Juden, "Nigger" und Türken. Und schlägt vor, das Trinkwasser von Kreuzberg mit 100000 Litern Strychnin zu verseuchen.

Sowas gefällt den exakt "181 männlichen und 65 weiblichen Personen", die laut Polizei an diesem Abend kontrolliert werden. Auffällig ist auch die enge Verbundenheit mit Figuren, die angeblich längst die Szene verlassen haben: Da wird beispielsweise Stephan L. gesichtet, einst Führer der "Deutschland Division" der internationalen Skinhead-Bewegung "Blood & Honour", die Bundesinnenminister Otto Schily letzte Woche verboten hat. Stephan L. hatte den Behörden im Frühsommer erzählt, er wolle bestimmt nicht mehr... - nun läuft er Polizei und Staatsanwaltschaft bei einer einschlägigen Veranstaltung in die Arme.

Das wird penibel registriert, auch wenn ansonsten wenig zu holen ist. Wie schon beim Polizeieinsatz im Juli 1999, als die Hochzeitsfeier eines Chefs der Vandalen unterbrochen wurde, ist Abschreckung wichtiger als die paar beschlagnahmten Baseballschläger oder vollstreckten Haftbefehle. Was den Hass der Vandalen und ihrer Kumpane noch steigert. Als die Polizei um zwei Uhr früh wieder abrückt, versucht ein Neonazi, die Journalisten zu provozieren. Er kommt näher und näher und grinst: "Jeden Morgen, wenn ich vor dem Spiegel stehe, drängt es mich zu sagen: Ich bin ein Vergaser."
HARTER KERN: Die Polizei zu Besuch bei der Jahresfeier der "Vandalen"
Foto: Boris Bocheinski