Wegen Hitlergrüßen vor Gericht: Machtmissbrauch und Rechtsextremismus bei der Berliner Feuerwehr
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19. Dezember 2022
Tagesspiegel Plus
Wegen Hitlergrüßen vor Gericht: Machtmissbrauch und Rechtsextremismus bei der Berliner Feuerwehr
Ein Gerichtsprozess reißt alte Wunden zwischen ehemaligen Kollegen der Berliner Feuerwehr wieder auf.
Es geht um Mobbing und Hitlergrüße.
Eine Spurensuche.
Von Julius Geiler
19.12.2022, 19:55 Uhr
In einem kleinen, schmucklosen Gerichtssaal kämpft Florian H. Anfang November gegen seinen Arbeitgeber.
Der 36-jährige Berliner ist Berufsfeuerwehrmann bei der Berliner Feuerwehr,
nebenbei engagiert er sich ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr Adlershof.
Dort, im Südosten der Hauptstadt, soll H. mehrmals auf der Wache vor seinen Kollegen den rechten Arm zum nationalsozialistischen Gruß erhoben haben.
Einer seiner Kameraden zeigte ihn an, doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.
Damit gibt sich H. nicht zufrieden.
Einer seiner Vorgesetzten, der ständige Vertreter des Landesbranddirektors,
hat parallel ein Disziplinarverfahren gegen den Feuerwehrmann in die Wege geleitet.
Er soll 400 Euro zahlen.
Der berufliche Aufstieg könnte durch die Verfügung ebenso ausgebremst werden.
Also wehrt sich H., schließlich wurde das Strafverfahren gegen ihn bereits eingestellt.
Den Hitlergruß habe er sowieso nie gezeigt, sagt er vor Gericht.
Das sehen viele seiner ehemaligen Kameraden anders.
Gleich vier von ihnen werden vom Berliner Verwaltungsgericht als Zeugen angehört.
Der Richter nimmt sich Zeit für ihre Aussagen.
Auch wenn sich die Schilderungen inhaltlich unterscheiden, zeichnen sie alle das Bild eines völlig zerstörten Vertrauensverhältnisses auf der Adlershofer Wache,
auf der braunes Gedankengut und rechte Gesinnungen offenbar lange unwidersprochen blieben.
Von Machtmissbrauch und unbrechbaren autoritären Strukturen ist die Rede.
„Nach sechs Monaten dachte ich, hier passe ich nicht hin“
Um zu verstehen, was sich jahrelang in der Adlershofer Selchowstraße 3 abspielte, muss man zunächst einen Schritt zurückgehen.
Acht Jahre ist es her, dass Jan M. von Hamburg nach Berlin zog. M. lebt seit seiner Kindheit für die Freiwillige Feuerwehr, mit zwölf Jahren tritt er der Jugendfeuerwehr Hamburgs bei.
Im Jahr 2014 steht ein beruflicher Wechsel in die Hauptstadt an.
In Berlin ist M. auf der Suche nach einem neuen Ort für sein Ehrenamt.
Zunächst stellt er sich in Köpenick vor, doch von der Feuerwehr dort heißt es, „wir brauchen hier keine weiteren Leute“, erzählt er.
Und so landet er in Adlershof, fährt zu Rettungseinsätzen, unterstützt die Berufsfeuerwehr bei Unfällen auf der Stadtautobahn und löscht ab und zu auch mal ein Feuer.
Von Anfang an habe er sich dort unwohl gefühlt, sagt M.: „Nach sechs Monaten dachte ich, hier passe ich nicht hin“. Doch er gibt nicht auf, irgendwann passt er sich an, „dann ging es halbwegs“.
Der ehrenamtliche Feuerwehrmann trifft in Adlershof auf einen Zirkel von Menschen um den damaligen Wehrleiter Matthias G.
Einige in dem Kreis kennen sich seit ihrer Schulzeit.
Auch Florian H. gehört dazu. Zugezogenen und Neulingen wird mit Misstrauen begegnet, es ist eine eingeschworene Gruppe, die den anderen Kameraden gegenüber vor allem autoritär auftritt.
Mobbing gehörte laut M. zur Tagesordnung. Doch er ordnet sich unter und passt sich an. Bis zum Jahr 2019.
Im November des Jahres steht die Wahl zum Wehrleiter an.
Alle fünf Jahre wählen die Kameraden ihren ehrenamtlichen Vorgesetzten.
Reine Routine, Matthias G. ist sich um eine weitere Amtszeit sicher.
Doch es kommt anders.
Einer Gruppe um M. und weitere Feuerwehrmänner, die schon länger unzufrieden mit dem Machtmonopol des Wehrleiters sind, gelingt ein Coup.
Sie stellen einen Gegenkandidaten auf.
Diesen könnte man als Gegenteil von G. beschreiben.
Moritz W. ist ein ruhiger Typ, Lehrer, aus dem Ruhrgebiet.
Er gewinnt die Wahl mit deutlicher Mehrheit.
Plötzlich ist ein Zugezogener neuer Wehrleiter auf der Adlershofer Wache und die „Glocke der Autorität“ um den vormals Ton angegebenen Matthias G. gebrochen, erzählt M.
Rückzug aus Angst
Die Freude hält nicht lange.
Kurz nach der Wahl geistert ein kurzes Video durch die Whatsapp-Gruppe der Wache.
Zu sehen ist, wie mehrere Männer um den Ex-Wehrleiter G. Feuerwerksraketen in die Luft jagen.
Aus dem Off ist eine Männerstimme zu hören: „Schuss Moritz“, heißt es angelehnt an den Vornamen des neuen Chefs der Wache in der Selchowstraße. Es folgen weitere Namen von Kameraden, die es wagten, gegen G. zu stimmen.
Aus Angst vor einer möglichen Eskalation tritt der frisch gewählte W. wenige Tage nach der Wehrleiter-Abstimmung wieder zurück.
Kurz darauf folgt ein weiterer Eklat.
Im Dezember 2019 zerstört ein Unbekannter mehrere Schutzhelme in der Wache.
Schnell ist klar, dass es sich bei dem Täter um einen Feuerwehrmann handeln muss.
Nun reagiert die Leitungsebene der Berliner Feuerwehr und beruft eine externe Person als Interims-Wehrleiter.
Der Mann soll vor allem für Ruhe sorgen und eine Mediation der verfeindeten Parteien aktiv unterstützen.
Er wird angewiesen, Gesprächsabende durchzuführen, doch offenbar findet kein einziger dieser Abende statt.
Alles andere als neutral
Das Problem: der abgesetzte Wehrleiter G. und sein Interims-Nachfolger kennen sich seit Jahrzehnten, sind nach Angaben von M. befreundet.
Der von der Feuerwehr eingesetzte Mediator ist also alles andere als neutral.
Stattdessen ist die Wache über Monate nicht einsatzbereit, wird wegen der internen Unruhen sogar offiziell abgemeldet.
M. sagt, wenn man den Führungsstil von G. als „autoritär“ beschreiben würde, dann erst recht den seines eingesetzten Nachfolgers.
Beschwerden prallten an ihm ab.
Stattdessen werden diese zum angeblichen „Querulantentum“ umgedeutet.
Die Schilderungen des Jan M. decken sich mit denen von anderen Feuerwehrmännern.
Da ist zum Beispiel der Berliner Marcel Frischmuth.
40 Jahre alt, Inhaber einer Gartenbaufirma und Gründungsmitglied der Adlershofer Jugendfeuerwehr, ein Urgestein.
Frischmuth geht im Gespräch mit dem Tagesspiegel noch weiter als Meyer.
„Alle, die für einen Neuanfang standen, also die bei der Wahl für Moritz W. stimmten, wurden vor die Wahl gestellt: Unterordnen oder Rausschmiss“, erzählt der Feuerwehrmann.
„Vorgeschobene Gründe“ führen zum Rausschmiss
Heute haben sowohl M. als auch Frischmuth der Feuerwehr den Rücken gekehrt.
Beide werden vom Interims-Wehrleiter im Frühling 2020 der Adlershofer Wache verwiesen.
Beide seien nach vielen Jahren und Jahrzehnten bei der Feuerwehr angeblich nicht einsatzfähig gewesen,
weil sie sich geweigert haben sollen, spezielle Lehrgänge zu besuchen.
„Vorgeschobene Gründe“, sagen M. und Frischmuth.
Mit ihnen müssen nach und nach fast alle gehen, die für einen Neuanfang in Adlershof standen.
Die Beurlaubung des demokratisch gewählten Wehrleiters Moritz W. gehörte zu einer der ersten Amtshandlungen seines Nachfolgers.
Auf Anfrage des Tagesspiegels bestätigt die Pressestelle der Berliner Feuerwehr, dass im „Zuge von internen Konflikten“ erstmals im Dezember 2019 Kameraden der Adlershofer Wache an die Direktion Süd herantraten.
Man habe das Anliegen ernst genommen, sagt ein Sprecher.
Seitens des Direktionsleiters habe es nahezu täglich einen Austausch mit dem kommissarischen Wehrleiter gegeben. Doch wieso wurde der zuvor aus einer demokratischen Wahl hervorgegangene Wehrleiter Moritz W. wenige Tage nach der Abstimmung ersetzt?
W. habe seine Ernennung abgelehnt, teilt die Feuerwehr mit.
Dass dies in Reaktion auf das Feuerwerk-Video aus Angst geschehen sein soll, ist der Feuerwehr offenbar nicht bekannt.
Kurz und knapp heißt es nur: „Dass ein gewählter Wehrleiter seine Ernennung ablehnt, ist selten.“
Neben dem autoritären Führungsstil ist da noch etwas, womit sich die Berliner Feuerwehr beschäftigen muss.
„Ich war lange auf dem rechten Auge blind“, erzählt Marcel Frischmuth.
Und auch Jan-Philip Meyer gibt zu, aus Sorge vor Konsequenzen viele Jahre „weggesehen zu haben“.
Ich war lange Blindheits-Metapherauf dem rechten Auge blind.
Marcel Frischmuth, ehemaliger Kamerad der Freiwilligen Feuerwehr Adlershof.
Die Gruppe um den langjährigen Wehrleiter G. soll sich in Chats regelmäßig Hitler-Bilder und rassistische Sprüche geschickt haben.
Screenshots des Chatverlaufs liegen dem Tagesspiegel in Teilen vor.
Vor allem Florian H. soll regelmäßig durch seine rechte Gesinnung aufgefallen sein.
Mehrmals sei er in die Wache gekommen und habe seine Kameraden mit dem erhobenen rechten Arm begrüßt.
Immer wieder äußerte er sich laut Meyer und Frischmuth abfällig über Menschen mit Migrationshintergrund.
Einmal sitzen die Kameraden im Sommer vor der Wache, als eine Frau mit Kopftuch vorbeiläuft.
Florian H. soll das mit dem Satz „Fremde übernehmen Adlershof“ kommentiert haben, erinnert sich Jan M.
Thor Steinar am Körper, die NPD an der Wand
Im März 2010 besuchte der Linken-Politiker Gregor Gysi die Wache der Adlershofer Kameraden.
Am nächsten Mannschaftsabend hängt plötzlich ein Wahlplakat der NPD an der Wand.
„Heimreise statt Einreise“, steht darauf.
Auf einem Foto des Abends sind der damalige Wehrleiter Matthias G. und Oberbrandmeister Florian H. vor dem Plakat zu sehen. Sie sehen gut gelaunt aus.
„Wenn wir nochmal jemanden einladen, dann jemanden von denen hier“, soll Matthias G. gesagt haben.
Eindeutige rechte Kleidungsmarken wie „Thor Steinar“ wurden von einigen Kameraden regelmäßig in der Selchowstraße 3 aufgetragen, berichten mehrere ehemalige Kameraden.
Gab es keinen Widerspruch?
„Niemand hat was gesagt, alle hatten Angst“, sagt Jan M. heute.
Hitlergruß oder „Winken in den Raum“?
Am 3. November vor dem Berliner Verwaltungsgericht ist alles anders.
Auch Frischmuth und M. sind als Zeugen geladen.
Sie und zwei weitere ehemalige Kameraden bestätigen die rechte Gesinnung von Florian H. und sagen umfangreich aus.
Mehrmals habe er den nationalsozialistischen Gruß auf der Wache gezeigt, heißt es in den Aussagen.
Doch das reicht dem Richter nicht.
Er bezweifelt, dass die Begrüßungen einen rechten Hintergrund haben, vielmehr könnte damit ein einfaches „Winken in den Raum“ gemeint sein.
Die Zweifel des Richters gehen so weit, dass er die sichtlich unangenehm berührten Zeugen auffordert, den Gruß im Saal nachzustellen.
Am Ende wird die Disziplinarverfügung gegen Florian H. aufgehoben.
Im Urteil wird das unter anderem damit begründet, dass in der Disziplinarverfügung abwechselnd vom Hitlergruß und Führergruß gesprochen wird. Das sei nicht eindeutig.
Der Kampf des Florian H. gegen seinen Arbeitgeber hat sich also gelohnt.
Im Internet findet sich ein Abibuch-Eintrag seiner Mitschüler über den heute 36-Jährigen.
Darin werden H. diverse Attribute wie „Thor Steinar“, „angehender Neonazi“ und „Hooligan“ zugeschrieben.
Der Eintrag schließt ab mit den Worten „Feuerwehrmann, der eigentlich nur eines löscht … seinen Durst.“
Bei der Berufsfeuerwehr stehen Florian H. weiterhin alle Türen offen. Während Frischmuth, M. und weitere mit ihrer großen Leidenschaft und dem Kapitel Feuerwehr abgeschlossen haben, machen die anderen einfach weiter.