Eine Entprivatisierung ist hier dringend notwendig
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Markus Bernhardt, Thomas Zmrzly
23.04.2020 / Inland / Seite 8
»Eine Entprivatisierung ist hier dringend notwendig«
Kliniken in NRW: Materialknappheit, Überlastung und zu wenig Personal. Ein Gespräch mit Thomas Zmrzly
Markus Bernhardt
Sie sind examinierter Krankenpfleger und engagieren sich im Düsseldorfer »Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus«.
Wie stellt sich die Situation in den nordrhein-westfälischen Kliniken aktuell dar?
Seit ungefähr 14 Tagen befinden wir uns im Wartemodus. Operationen wurden abgesagt, Zimmer geschlossen und wo es möglich war,
Personal umverteilt, um für den Ernstfall einer großen Anzahl von Infizierten mit schwerer Symptomatik gewappnet zu sein.
Der ist bisher ausgeblieben, und es wird darüber nachgedacht, das »Normalprogramm« wieder hochzufahren.
Inwiefern lassen freie Betten für die intensivmedizinische Behandlung von Coronainfizierten darauf schließen, dass die Pandemiemaßnahmen greifen?
In welchem Umfang die zur Abflachung der Infektionskurve beigetragen haben, wissen wir nicht.
Aber wir sind froh, dass die Zahl von freien Intensivbetten die der beatmungspflichtigen Patienten übersteigt, und wir nicht Verhältnisse wie in Norditalien oder im Elsass haben.
Was würden Sie denn konkret anders machen?
Zum einen hätte die Bundesregierung über ihren neoliberalen Schatten springen und sofort die Fallpauschalen für dieses Jahr aussetzen müssen.
Statt dessen dürfen die Krankenhäuser jetzt zwar zusätzliche Betten und Beatmungsplätze abrechnen, müssen aber alles andere weiter über das Fallpauschalensystem finanzieren.
Es wird sich zeigen, ob das ausreicht, und nicht doch einige am Ende des Jahres Insolvenz anmelden müssen.
Andererseits werden dadurch spätestens nach dem offiziellen Ende des Shutdowns vor allem möglichst viele lukrative Behandlungen durchgeführt.
Wie steht es um die Sicherheit des Personals in den Krankenhäusern in NRW?
Da hat sich am klarsten gezeigt, warum eine vom Markt geregelte Gesundheitsversorgung nicht funktionieren kann.
Es gab beispielsweise keinen Vorrat an Infektionsschutzmaterial.
Das hat dazu geführt, dass es Wochen gedauert hat, bis in den meisten Häusern ausreichend und richtiges Material vorhanden war.
Mir sind auch Fälle bekannt, in denen insbesondere private Kliniken auf Kosten der Gesundheit des Personals gespart haben.
Sind Personen, die unter anderen Erkrankungen leiden, nicht einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt, wenn sie in der Klinik behandelt werden müssen?
Die Einrichtungen haben von Anfang an versucht, Verdachtsfälle vom Rest der Patientinnen und Patienten zu trennen.
Aber auch hier gibt es manche Versäumnisse.
Und außerdem hätte von Beginn an systematischer der Schutz der Beschäftigten im Vordergrund stehen müssen,
unter anderem durch flächendeckende Tests des Personals von Beginn an – für die Sicherheit der Beschäftigten wie auch der Patientinnen und Patienten.
Nur so kann effektiver Infektionsschutz betrieben werden.
Welche Maßnahmen fordern Sie noch, um das medizinische Personal zu unterstützen?
Der Pflegenotstand ist auch nach Corona nicht verschwunden.
Es besteht eher die Gefahr, dass der alte, desolate Zustand in den Krankenhäusern, wie auch in anderen Teilen des Gesundheitssystems, wiederhergestellt wird.
Hier ist dringend eine Entprivatisierung, die Abschaffung der Fallpauschalen wie auch eine demokratische Planung nach Bedarf und in der Fläche notwendig.
Nur so sind auf Dauer eine gute Versorgungsleistung und die dringend notwendige Entlastung der Beschäftigten möglich.
Vor dem Hintergrund ist es jetzt notwendig, die Forderungen der Kolleginnen und Kollegen auf die Straße zu tragen.
Wir bewegen uns im Aktionskonsens »Infektionsschutz ja – Maulkorb nein«, wie er klar und eindeutig im Aufruf des bundesweiten Bündnisses »Heraus zum 1. Mai« beschrieben ist.
Thomas Zmrzly ist examinierter Krankenpfleger und Sprecher des Düsseldorfer »Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus«, das auch den bundesweiten Zusammenschluss »Heraus zum 1. Mai« unterstützt