Gelehrter ohne Amt. Kriegstheorie: Zum sechzigsten Geburtstag von Günter Maschke. In: FAZ 15.1.2003, S. 35.

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"Nation statt Demokratie": Wenn die 'Junge Freiheit' das Gespräch sucht...
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Lorenz Jäger:


Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mi 15. Januar 2003
S. 35
Porträt Deutschland Jahrestag Günter Maschke

Feuilleton
Gelehrter ohne Amt
Kriegstheorie: Zum sechzigsten Geburtstag von Günter Maschke

Die Achtundsechziger haben in ihrer Mehrheit Frieden mit dem System der Bundesrepublik geschlossen, das ihren Karrierewünschen so sehr entgegenkam.
Heute ist der lange Marsch durch die Institutionen am Ziel.
Wer dabei abseits blieb, war entweder besonders ungeschickt - oder er mußte außerordentlich gute Gründe haben.
Günter Maschke gilt als "Renegat" der deutschen Linken.
Vom Kommunisten hat er sich zum Reaktionär gewandelt.
Aber ist er nicht vielmehr seinen Motiven so treu geblieben, daß er ihnen seine Meinungen opfern mußte ?
Wer sonst unter seinen Generationsgenossen hätte sich die Energie der grundsätzlichen Opposition bewahrt ?

Revolution und Konterrevolution sind Themen seiner wissenschaftlichen Arbeiten geblieben - und der Weltbürgerkrieg,
der seit zweihundert Jahren zwischen ihnen herrscht.
Walter Benjamin war es, der einmal auf den Doppelsinn aufmerksam machte, die in der Wendung "den Krieg verlieren" steckt.
Zum einen bedeutet sie eine Niederlage. Aber damit scheint auch der Krieg als Thema verloren, er kann nicht mehr zum Gegenstand einer Theorie werden.
Nun kann allerdings, wer im Januar 1943 zur Welt kam, die Welt nun einmal kaum anders denken denn als Kriegszustand.

Ironisch mutet es an, daß Maschke als Deserteur begann.
Nach der Mitgliedschaft in der illegalen KPD und der "Subversiven Aktion" entzog er sich dem Wehrdienst, allerdings nicht aus prinzipiellem Pazifismus.
Sein Sinn für Machtverhältnisse war schon damals so ausgeprägt, daß Rudi Dutschke für ihn den Namen "Maschkiavelli" prägte.
Seine Flucht führte nach Wien, dann nach Kuba, wo er die Absurdität des "tropischen Stalinismus" erlebte.
Er, der selbst einige beachtliche Gedichte geschrieben hat, lernte den Dichter und Dissidenten Heberto Padilla kennen,
dessen Werk er später ins Deutsche übertrug. Diese Freundschaft blieb auch dem Castro-Regime nicht unbemerkt, das ihn kurzerhand verhaften und ausweisen ließ.

Schriften zum Krieg sind es, die er seitdem herausgegeben und kommentiert hat: Ihm verdankt man eine vorzügliche,
leider vergriffene Ausgabe der "Kriegskunst" des Sun Tse; seine Clausewitz-Interpretation konnte man kürzlich
in der spanischen Zeitschrift "Empresas Políticas" lesen.
Als Gastprofessor unterrichtete er an der Schule der peruanischen Marine in La Punta.
Einer seiner besten Aufsätze geht auf diese Zeit zurück.
Die maoistische Guerrilla des "Leuchtenden Pfads", die grausamste, effektivste Terrorgruppe außerhalb des islamischen Raums,
hat Maschke meisterhaft analysiert.
Ihre Geschichte entpuppt sich als die einer mißglückten, technokratisch auferlegten Bildungsexpansion
in einem der unterentwickeltsten Gebiete des Landes, die aus dem Ruder lief und in den Aberglauben
an die fast magische Kraft einer Doktrin mündete - in das "bewaffnete Wort".

Dieser Gelehrte ohne Amt ist auch ein Schriftsteller von Graden. Denkt man sich den Begriff des Essays ohne Locker-Unverbindliches,
dafür aber mit einem höheren spezifischen Gewicht des Gedankens, dann bekommt man eine Idee von seiner Arbeit.
Heute feiert Günter Maschke seinen sechzigsten Geburtstag.