Hans-Eberhard Schultz als PKK-Anwalt Artikel 1998

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Hans-Eberhard Schultz als PKK-Anwalt

1998

KR9824 Aufregung um Oecalan
Maurice Merlin 30.11.98

Aus: Kurdistan-Rundbrief, Nr. 24, Jg. 11, 2.12.1998

_Aufregung um Öcalan - Einstieg in eine politische Lösung für__Türkei-Kurdistan?_

Beim Besuch des italienischen Ministerpräsidenten D'Alema in Bonn hat Schröder am 27.11. bekräftigt,
Bonn wünsche keine Auslieferung des PKK-Vorsitzenden in die BRD.
Dieser solle in Italien vor ein "internationales Gericht" gestellt werden. Für die kurdische Seite ist die Erklärung enttäuschend.
Zwar hatte der PKK-Vorsitzende am Vortag in Rom erklärt, er fürchte kein faires Gericht.
Aber ein Einstieg in einen politischen Verhandlungsprozeß über die kurdische Frage ist weiter nicht in Sicht.
Ein Gerichtsverfahren ist kein Schiedsgericht.
Der folgende Beitrag von Eberhard Schultz wurde vor dem D'Alema-Besuch fertiggestellt.

Nach wochenlangen Spekulationen, wo sich der aus Syrien vertriebene PKK-Vorsitzende Öcalan aufhalten könnte,
überschlugen sich nach seiner Ankunft in Rom am 12.11.
die Meldungen über hektische Aktivitäten von Polizei, Justiz und Diplomatie vieler Länder.
Hierbei schälen sich die ersten konkreten Ergebnisse heraus, auch wenn das weitere Schicksal des 49jährigen PKK-Führers noch ungewiß ist.

Wer die tausende von Kurdinnen und Kurden gesehen hat,
die von ihrem Exil in Westeuropa, USA oder Australien nach Rom gepilgert waren,
das Militärkrankenhaus beim Colosseum mit einer Mahnwache und einem Hungerstreik belagerten,
um ihre Forderung nach Freiheit und einen politischen Status für Öcalan zu bekräftigen,
dem war schnell klar: Erledigt ist diese PKK noch lange nicht,
wie dies wieder einmal voreilig gemeldet worden war.
Unter denen, die trotz eisiger Kälte auch nachts auf dem Platz ausharrten,
der von den italienischen Unterstützern inzwischen in "Piazza Kurdistan" umbenannt wurde,
sah man übrigens eine Reihe von Kurden,
die bisher aus ihrer Distanz zur PKK keinen Hehl gemacht hatten.
Auch sie brachen in unbeschreiblichen Jubel aus,
als der römische Rechtsbeistand Öcalans, der Kollege Saraceni,
Abgeordneter der Grünen im Parlament,
am Freitag, den 20.11., auf einer internationalen Pressekonferenz
auf dem Platz die Nachricht von der Freilassung Öcalans überbrachte.

Das Berufungsgericht hatte im Rahmen des Auslieferungsverfahrens entschieden, daß Öcalan nicht mehr gefangen zu halten ist.
Seitdem residiert er in einem Domizil in Ostia in der Nähe der Küste, bewacht von Spezialeinheiten der italienischen Polizei und seinen Leibwächtern aus wohl begründeter Furcht vor Racheakten türkischer Spezialkommandos, "Rachebrigaden" wie vor wenigen Monaten noch bei dessen feigen Anschlag auf den Vorsitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, Akin Birdal.
Wollte nicht das türkische Militär sogar Öcalans wegen einen Krieg gegen Syrien führen? Zeigte nicht das regierungsnahe türkische Fernsehen Soldaten, denen auf die Frage, was sie tun würden, wenn sie Öcalans habhaft würden antworteten: Ihn "zerstückeln"?!
Daß die Türkei unter solchen Umständen nicht ernsthaft erwarten kann, Italien würde Öcalan ausliefern, versteht sich von selbst, auch falls man dort die Todesstrafe tatsächlich seinetwegen abschaffen würde (ergänzt wurde dieser Vorschlag übrigens von einem angesehenen Kommentator eines großen Massenblattes um die Idee, die Todesstrafe anschließend sofort wieder einzuführen ...!).

Ebenso eindeutig müßte eigentlich die Entscheidung der italienischen Behörden über den Antrag Öcalans auf einen politischen Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention sein.
Ist doch die Asylgewährung etwa des Attentäters auf den russischen Zaren das klassische Vorbild unseres modernen Asylrechts. Und doch scheut sich der türkische Justizminister nicht, öffentlich zu verkünden:
"Wenn Rom Öcalan politisches Asyl gewährt, dann macht sich Italien zu einem Terrorstaat." ("Spiegel", 48/98, S. 38).

Aber auch die Anerkennung als politischer Flüchtling würde seine Auslieferung nach Deutschland nicht ausschließen.
Existiert doch hier seit 1990 ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Tötungsdelikt an einem Kurden in Deutschland und der "Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK", aufgrund dessen Öcalan in Rom fest- und zunächst in vorläufiger Auslieferungshaft genommen wurde.
Nachdem allerdings bisher formal kein Antrag auf Auslieferung gestellt wurde, ist die Situation unklar und widersprüchlich:

Beim Generalbundesanwalt hat man den Haftbefehl inzwischen um mehrere Tötungsdelikte von Kurden an Kurden in der Zeit vom Sommer 1984 bis Oktober 1987 sowie die Anschläge auf türkische Einrichtungen 1993 (und damit eine erneute angebliche "Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung" auf deutschem Boden, 129a des Strafgesetzbuchs) erweitert, und öffentlich erklärt, man wolle die Auslieferung in aller Form vorbereiten.

Andererseits hat die Bundesregierung die politische Entscheidung darüber, ob ein Auslieferungsantrag tatsächlich gestellt wird, was innerhalb einer Frist von 40 Tagen stattfinden müßte.
Am 20.11.1998 wurde eine Erklärung des Regierungssprechers verbreitet sowie die Bereitschaft der Bundesregierung erklärt, ein deutsches Auslieferungsersuchen zurückzustellen, die Chancen der Entwicklungen, die insbesondere durch Äußerungen des italienischen Ministerpräsidenten eingeleitet worden sein können, auszuloten sowie die Bereitschaft der Bundesregierung "konstruktiv an allen Lösungsansätzen mit-(zu)wirken, die dem Terrorismus seinen Nährboden entziehen und dadurch ... zu seiner wirksamen Bekämpfung beitragen" zu wollen (Erklärung des Regierungssprechers vom 20.11.1998).

Diese vorläufige Zurückstellung des formellen Auslieferungsersuchens stieß in der Türkei und den USA auf geharnischten Protest, in Italien auf Unverständnis.
Die Medien berichten überwiegend nach dem Motto: "Keiner will ihn haben".

Demgegenüber birgt der kühne Schachzug des PKK-Vorsitzenden, sich gezielt auf den Boden einer westeuropäischen Demokratie und eines G-7-Staates zu begeben, nicht nur die Chance einer Internationalisierung des Konflikts, wie selbst klügere Vertreter des türkischen Establishments erkannt haben. Die Stimmen, die fordern, die historisch einmalige Chance zu nutzen, um endlich ernsthafte Schritte für eine politische Lösung des Krieges in Kurdistan zu nutzen, mehren sich.
So heißt es etwa in einem Schreiben des "Appells von Hannover": "Es ist allein die militärische Starrheit, der blutige Kontrapunkt der türkischen Regierung, die die Annahme dieser zutiefst humanen Friedensinitiative verweigert, deren Zurückweisung nun Herrn Öcalan auf dem Weg in das europäische Exil gebracht hat.

Die Regierung Italiens und die internationale Staatengemeinschaft sollte sich dessen bewußt sein, daß es Herr Generalsekretär Öcalan ist, der am verbindlichsten den weiteren erfolgreichen Weg für eine zivile und friedliche Lösung des Kurdenproblems garantiert.
Bleibt diese Sache allein in den Händen des Militärs der Türkei und des Nationalen Sicherheitsrates, so wird niemals Frieden einkehren und sich die blutige Spur des Krieges in eine zivilgesellschaftliche neue Wirklichkeit verwandeln."

Diese Lösung ist nicht nur politisch angezeigt, sondern auch juristisch durchaus machbar, worauf selbst aus CDU-Kreisen hingewiesen wurde.
So sieht 153d Strafprozeßordnung ausdrücklich vor, ein von der Strafverfolgung bei politischen Straftaten (namentlich also dem Vorwurf nach 129a) abzusehen, "wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführten würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen gegenüberstehen."

Was entspräche mehr unseren öffentlichen Interessen als eine politische Lösung des Krieges in Türkei-Kurdistan und damit auch des Flüchtlingsproblems und der Folgeprobleme der mehr als eine Million Kurden im westeuropäischen Exil?

Nun ist zwar die deutsche Justiz berüchtigt für gnadenlose Verfolgung ihrer politischen Gegner auch noch nach Jahrzehnten, eine Neuauflage des Mammutverfahrens vor dem Düsseldorfer Oberlandesgerichts gegen PKK-Anhänger wegen des Vorwurfs des 129a und von Tötungsdelikten (die Hauptverhandlung dauerte viereinhalb Jahre), wäre aber von vornherein mit noch schwereren Hypotheken belastet.

Wäre eine Verurteilung doch allenfalls mit Hilfe des nach wie vor umstrittenen 129a und mit Hilfe dubioser Kronzeugen möglich; irgendwelche Beweise wie direkte Anweisungen oder gar Tötungsbefehle existieren nicht, so daß ein internationales Strafgericht Öcalan freisprechen müßte (wie jüngst das Den Haager im Falle eines Kroaten-Führers!).

Sie stellte noch offensichtlicher eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer legitimen nationalen Befreiungsbewegung dar, zumal die führenden Vertreter anderer kurdischer Exilorganisationen, die seinerzeit Öcalan die "politische Verantwortung" für einige Tötungsdelikte zugesprochen hatten, sich inzwischen längst mit ihm versöhnt haben; die jüngste Veröffentlichung des Berichtes der südafrikanischen "Wahrheitskommission" belegt noch einmal die historische Tatsache, daß es am Rande revolutionärer Befreiungsbewegungen gegen ein rassistisches und kolonialistisches System immer wieder zu Folter und Tötungen in Einzelfällen kommt, ohne daß dadurch der Charakter als legitimer Befreiungskampf verloren geht:
Bekanntlich sollen sogar in Frankreich im Rahmen des Widerstandskampfes gegen das faschistische Regime mehrere tausend "Kollaborateure" extralegal hingerichtet worden sein, ohne daß jemand auf die Idee gekommen wäre, de Gaulle deswegen als "Terroristen" vor Gericht zu zerren.

Ein solches Verfahren wäre also der Gipfel der Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer legitimen Befreiungsbewegung unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung mit problematischen Mitteln.
Auch wer Öcalan nicht in eine Reihe mit Nelson Mandela und Arafat stellen will, kann die Augen nicht vor dem Friedensprozessen in Nordirland und dem Baskenland verschließen,
in denen unter Einschluß der Vertreter von IRA bzw. ETA nach einer friedlichen Lösung gesucht wird, von der Doppelzüngigkeit der NATO in ihrem Verhalten gegenüber den albanischen Guerillakämpfern der UCK und dem dortigen Engagement ganz zu schweigen ... (Bremen, 23.11.98)

(Der Beitrag erschien auch in "Ossietzky")

                                *

_Chronologie aus Rom__Asyl gewähren?_

Für politisches Asyl für Öcalan sprechen sich in der ersten Woche nach seiner Ankunft u.a. aus:

  • Achille Occhetto (Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten in der Abgeordnetenkammer),
  • Armando Cossutta (Präsident der Partei der Italienischen Kommunisten, PdCI),
  • Russo Spena (Rifondazione comunista),
  • Veltroni (Linksdemokratische Partei, DS) erklärt, es seien Tatbestände vorhanden, um Asyl zu gewähren.
  • für den Vatikan der Kardinal Silvestrini, Präfekt der Kongregation für die Ostkirchen: "Dem der für seine politischen Ideen kämpft, muß man das Asylrecht zugestehen".
  • Der Minister für Beziehungen zum Parlament, Gianguido Follani, erklärt, ein Ja zu Asyl für Öcalan sei sehr wahrscheinlich:
    "Sowohl Auslieferung als auch Ausweisung sind keine anwendbaren Umstände, und politisches Asyl wird wahrscheinlich die einzig anwendbare Lösung sein".


_Aktionen der Kurden in Rom_

Tausende Kurden haben über mehrere Tage mit ihren Aktionen einen großen und nachhaltigen Eindruck auf die italienische Öffentlichkeit gemacht und das kurdische Volk und die kurdische Frage sehr stark ins öffentliche Bewußtsein gerückt, wie viele Hinweise zeigen (kleines Beispiel: der Platz vor dem Militärkrankenhaus Celio, an dem sich die Kurden trafen und dann mehrere Tage und Nächte blieben, hieß dann "Piazza Kurdistan").

17.11.: 10.000 Kurden bei Kundgebung in Rom. Verlesen wird eine Botschaft Öcalans. Es sprechen Grünen-Parlamentarier, Vertreter von PdCI und Rifondazione comunista, Solidaritäts- und Friedensgruppen, selbstverwaltete Zentren (Centri sociali), Metallgewerkschaften.

Stellungnahme Öcalans zu Gewaltverzicht. Darauf auch Erklärung der ARGK, sie sei bereit, die Waffen niederzulegen.


          _Stellungnahmen aus der italienischen Regierung_          

D'Alema erklärt auf einer Pressekonferenz am 16.11. zu den Drohungen der türkischen Regierung: "Italien erschrickt nicht und unterwirft sich nicht Druck oder Erpressungen".

Ein demokratisches Land entscheide auf Grundlage seiner Gesetze und Prinzipien. Über eine Forderung nach Auslieferung entscheide zunächst das Berufungsgericht von Rom und dann der Justizminister. Für die Entscheidung über einen Asylantrag sei die Kommission beim Innenministerium zuständig. Als Ministerpräsident werde er auf die Kommission nicht Einfluß nehmen.

"Wir haben uns gewiß keine heikle Sache wie diese gewünscht, aber von dem Augenblick an, wo sie uns widerfahren ist, werden wir sie auf Basis des Gesetzes angehen. Wir treiben keinen Schacher mit den Personen".

Auf eine entsprechende Frage erklärt D'Alema: "Es erscheint mir schwierig, im Fall des kurdischen Volkes von Terrorismus zu reden. Es gab sicher Gewalt, aber auf allen Seiten".

D'Alema erklärt, die Gewährung politischen Asyls falle leichter bei einem Verzicht der PKK auf Gewalt. In der Pressekonferenz erhält D'Alema eine Stellungnahme Öcalans, die er verliest: Öcalan erklärt sich "bereit, meinen Teil zu tun, um den Terrorismus zu stoppen". Dafür sei er nach Italien gekommen.

Oliviero Diliberto (Justizminister, PdCI) erklärt am 16.11., noch sei kein Auslieferungsantrag auf dem Tisch. Aber politisch Verfolgten sei Asyl zu gewähren, auch im Sinne des Urteils 223 des Verfassungsgerichts vom 27.6.96 (Fall des Italoamerikaners Pietro Venezia, dessen Auslieferung die USA wegen Mordes in Florida forderten, der aber nach dem Beschluß des italienischen Verfassungsgerichts wegen der dort drohenden Todesstrafe nicht ausgeliefert werden durfte und heute in einem italienischen Gefängnis sitzt.)

Diliberto bezieht sich auch auf eine europäische Konvention über Auslieferung (von Italien ratifiziert), nach der eine Auslieferung auch bei gewöhnlichen Straftaten verboten sei, wenn sie mit politischer Zielsetzung begangen worden seien.

Der türkische Botschafter in Italien droht am 17.11. mit "schweren und wichtigen Konsequenzen" aus einer negativen Entscheidung. D'Alema erklärt am gleichen Tag in der Abgeordnetenkammer "Freundschaft und Achtung" für die Türkei, aber es gebe keine Auslieferung in ein Land mit der Todesstrafe. Alle evt. Maßnahmen seien keine Feindschaft gegenüber der Türkei. Italien sei unter den ersten gewesen, die für den Beitritt der Türkei in die Europäische Gemeinschaft eingetreten sind. Der Verzicht Öcalans auf Gewalt sei "ein wichtiges politisches Signal".

Auch Italien habe gelitten, aber das politische Asyl Frankreichs gegenüber Verantwortlichen für schwere Taten von Terrorismus akzeptiert (bezieht sich auf Asyl für Toni Negri und andere Militante der Zeit nach 1968, rok.). Jetzt sei eine wichtige Gelegenheit, den Dialog zu starten und eine friedliche Lösung zu suchen.

D'Alema am 18.11. vor der Presse nach den Ausfällen von Yilmaz: Zunächst äußert er "tiefe Bewegung" für den Kurden, der sich in Rom angezündet hat. Dann weist er die Forderungen und Angriffe von Yilmaz zurück und fordert schließlich die Unterstützung der europäischen Länder: Die Kultur des Rechts, die die Auslieferung an die Türkei verhindere, sei nicht nur italienisch, sondern eine Sache der ganzen europäischen Union. So wie die Angelegenheit Öcalan "nicht nur ein italienisch-türkisches Problem ist, sondern eine Frage, die das ganze Europa betrifft, von dem wir eine vollständige und aktive Solidarität erwarten". "In diesem Sinn erreichen uns schon ermutigende Botschaften und wir erwarten noch bedeutendere politische Gesten".

Die rechte Opposition in Italien hat einige Tage lang vor allem nach vorherigen Absprachen zwischen Öcalan und Regierungskreisen gefragt. Inzwischen verlangt Berlusconi, die Regierung "soll sofort Vorkehrungen treffen für die Ausweisung Öcalans aus Italien als unerwünschte Person".


            _Initiativen / Vorschläge / Stellungnahmen_              

Rifondazione comunista und Verdi (Grüne) haben einen Antrag an das Europaparlament in Straßburg für eine Dringlichkeitsdebatte eingebracht.

Gabriele Polo (il manifesto, 15.11.98): "Vorrang muß haben, einem politisch Verfolgten Asyl anzubieten und die Notwendigkeit, eine Botschaft an die ganze internationale Gemeinschaft zu richten, damit das Drama von 20 Millionen Kurden ein nicht mehr aufschiebbarer politischer Notfall wird ... Um jeden Zweifel zu besiegen, könnten sich der Ministerpräsident (D'Alema, Linksdemokraten DS, Ex-PCI, rok.) und sein Justizminister (Diliberto, Partei der italienischen Kommunisten, PdCI) daran erinnern, wie ihre 'Vorfahren' in der faschistischen Epoche über die Alpen flohen. Und in Frankreich konnten sie leben und kämpfen".

Riccardo Barenghi (il manifesto, 19.11.98) für eine europäische Konferenz: "Eine große Gelegenheit hat Italien, das ein demokratisches Land ist, das im Mittelmeer schwimmt, das der zweite Handelspartner der Türkei (nach Deutschland, rok) ist, das den Fall Öcalan in Händen hat. Es sollte eine europäische Konferenz einberufen, die das Drama der Kurden zur Brust nimmt, ihrerseits das Regime in Ankara bedroht, die Türkei aus den Ländern auf der Warteliste für den Eintritt in die Union streicht. Wenigstens bis zu neuer Ordnung. Die Haltung, die bisher vom Ministerpräsidenten (D'Alema) eingenommen wurde, ist richtig; auch seine Antwort von gestern abend auf die türkischen Drohungen macht keine Wendung (trotz des starken Drucks auch der Vereinigten Staaten). Jetzt geht es darum, einen Schritt nach vorn zu machen, das Eisen - wie man sagt - zu schmieden, solange es glüht. Um zu vermeiden, daß die Türkei - wenn wieder Ruhe eingekehrt ist - wieder als normales Land angesehen wird, das gewöhnlich den auslöscht, der ihm nicht sympathisch ist".

Die nationalen Sekretariate der Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL sprechen sich für die Rechte der Kurden aus.

Pauline Green, Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament: "Die Attacke auf Italien ist eine Attacke auf die ganze Union". Alle anderen Parteien, von links bis rechts, hätten sich dem Protest angeschlossen, schreibt il manifesto.

Der Präsident des Europaparlaments, Jose Maria Gil Robles, hat gegen den "Drohbrief" protestiert, den die italienischen Europaabgeordneten am 19.11. vom Ko-Präsidenten der parlamentarischen Kommission EU-Türkei, Bülent Akarcali, erhalten hatten, in dem es hieß: Asylgewährung "wird terroristische Probleme für Italien, Europa und die Welt schaffen".

Hans Van der Broek, Sprecher des Kommissars für die Auswärtigen Beziehungen der EU-Kommission erklärt, für die EU müsse der Kampf gegen den Terrorismus mit der notwendigen Achtung der Menschenrechte geführt werden, und hat eine politische Lösung angeregt.

Das französische Außenministerium erklärte: "Es gibt keine militärische Lösung für die Kurdenfrage, es ist eine politische Frage, auf die eine politische Antwort im Rahmen der Achtung der territorialen Integrität der Türkei und unter Achtung der Menschenrechte gegeben werden muß".

Kendal Nezan, Präsident des Kurdischen Instituts in Paris, in einem Interview: "... Jetzt ist es den Europäern nicht mehr möglich, ein Nachdenken zu vermeiden, und oft kommen die Lösungen in Augenblicken der Krise.

Was erwarten Sie von den Europäern, über die Erklärung von heute im Europaparlament hinaus?

Ich möchte, daß Solidarität gegenüber Italien bekundet wird, das die Ehre hat, das Gesetz respektieren zu lassen trotz der Erpressung, der es die Türkei unterzieht, und der anti-italienischen Hysterie, die von der Regierung, den von der Armee kontrollierten Medien und den Geheimdiensten geschürt wird. Im besonderen könnte es eine gemeinsame Erklärung der europäischen Außenminister geben, und in der Folge könnte das italienische Parlament schnell die Initiative ergreifen und eine europäische Konferenz einberufen über die Kurdenfrage in ihren verschiedenen Aspekten: dem der Flüchtlinge und die politische Frage in der Türkei. Es wäre der Anfang eines Prozesses für die Suche nach einer Lösung, wenn dann die Parlamentarier der verschiedenen Länder nach der Zusammenkunft in Italien von ihren jeweiligen Regierungen verlangen würden, eine gemeinsame Position einzunehmen ... Großbritannien zum Beispiel, das die Erfahrung von Nordirland hatte, könnte seinen türkischen Freunden Ratschläge über die Arbeitsmethode geben, könnte sie verstehen lassen, daß man an einem gewissen Punkt ein neues Kapitel aufschlagen muß.

Es ist nicht das erste Mal, daß die Türkei ein europäisches Land bedroht. Das ist schon mit Frankreich geschehen ... In den 80er Jahren, als Frankreich entschied, das Kurdische Institut zu beherbergen, organisierte die Türkei den Boykott der Produkte und der französischen Kultur. Wäre Frankreich seinerzeit von den anderen europäischen Ländern unterstützt worden, hätte sich die Lage vielleicht verändert. Jetzt gibt es ein Problem für Italien. Man muß berücksichtigen, daß die Türkei mehr Europa braucht, als Europa die Türkei braucht".


_Stellungnahmen der türkischen Regierung, des US-Außenministeriums usw._

Yilmaz: Falls keine Auslieferung stattfindet, "wird Rom die Verantwortung für die Verbrechen der PKK teilen".

Ecevit, Vizepremier: Bei politischem Asyl für Öcalan würde sich Italien automatisch das "Markenzeichen eines Terroristenstaats" verdienen.

Der türkische Außenminister Cem vergleicht bei einem Besuch in Salzburg am 19.11. die Kurden mit den Verbrechen der Mafia. Der türkische Botschafter in Italien vergleicht die Kurden mit den Mördern Aldo Moros.

Diverse Boykott-Aktivitäten gegenüber italienischen Waren in der Türkei: Angeblich wollen 500.000 Geschäfte keine italienischen Schuhe mehr verkaufen. Pirelli wurde von einer Ausschreibung für Reifen für städtische Fahrzeuge in Izmir ausgeschlossen. Viele Geschäfte hätten ein Schild am Eingang: Hier werden keine italienischen Waren verkauft. In Istanbul italienisches Obst und Gemüse vernichtet. Italienische Firmen berichten über Stornierungen aus der Türkei. Türkische Reisebüros boykottieren angeblich Italien als Reiseziel.

Die türkischen Partner von Joint ventures von Fiat (in der Türkei Tofas) und Benetton schreiben an ihre italienischen Partner und fordern sie auf, Druck auf die italienische Regierung auszuüben. Die italienischen Firmen teilen mit, daß sie allenfalls diskret antworten werden und dann mit dem Motto: Wir können dabei sowieso nichts machen.

Frage, was aus einem großen Auftrag für Kampfhubschrauber an die Firma Agusta wird? Diese Hubschrauber sind auch zum Kampf gegen die Kurden gedacht.

Der italienische Minister für Geschäfte mit dem Ausland, Piero Fassino, erklärt zu den Entwicklungen und Drohungen: "Gesetze kommen vor Handelsverträgen".

James Rubin, Sprecher des US-Außenministeriums: "Wir glauben, daß Öcalan ausgeliefert und der Justiz zugeführt werden muß. Wir hoffen, daß ein Weg gefunden wird, um ihn der Türkei zu überstellen".

Zu den amerikanischen Forderungen erklärt der Justizminister Diliberto: "Ich sehe nicht, was die USA die Öcalan-Frage angeht.
Die USA sollten uns dagegen erklären, warum sie uns nicht auf Basis internationaler Verträge Silvia Baraldini zurückgeben". (S. Baraldini ist eine Italienerin, die 1982 in den USA wegen Überfalls auf einen Geldtransport verurteilt wurde.
In Italien wird seit Jahren immer wieder verlangt, daß sie entsprechend internationalen Abkommen nach Italien kommen kann.) (Zusammenstellung: rok)

alle Angaben aus: il manifesto vom 15. bis 21.11.

                                *

_Internationale Presse_

Am 18.11. zitiert die britische Agentur Reuters den italienischen Ministerpräsidenten D'Alema mit den Worten: "Dies ist nicht ein Problem zwischen Italien und der Türkei, es ist eine Angelegenheit, mit dem sich ganz Europa befassen und mit Italien solidarisch sein muß."

Die "Washington Post" plädierte in einem Kommentar am 19. November dafür, die Ankunft Öcalans in Rom als Möglichkeit für eine politische Lösung zu behandeln. "Der Fall Abdullah Öcalans ... könnte vielleicht eine diplomatische Öffnung sein. Italiens neuer Premierminister D'Alema ist mutig, dies nun zu bedenken." schreibt das Blatt, das Öcalan den "Führer der bewaffneten kurdischen Unabhängigkeitsbewegung" nennt. Am 25. November reagierte die türkische Botschaft in Washington mit einem öffentlichen Protest gegen den "empörenden" Kommentar.

Die "Los Angeles Times" verweist ebenfalls am 19.11. in einem Artikel unter der Überschrift "Manchmal müssen Frieden und Menschenrechte den Vorrang vor der strikten Umsetzung des Rechtsweges haben" auf die Hintergründe des Konflikts:

"Die Ursache für die Rebellion von Öcalans Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist in der Tat politisch - nämlich die grausame Behandlung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei seit 70 Jahren." Unter der 1923 von Atatürk geschaffenen Türkischen Republik seien die Kurden "wiederholt Opfer von Pogromen" geworden:

"Keine kurdische Partei kann arbeiten. Mehrere kurdische Parlamentsmitglieder, eingeschlossen die Oppositionelle Leyla Zana, sind im Gefängnis. Über 3.200 kurdische Dörfer sind vom Militär zerstört, zwei Millionen Dorfbewohner wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Fast 35.000 Menschen sind in den Kämpfen zwischen dem Militär und der PKK seit 1984 gestorben. Wegen des rigiden türkischen Nationalismus will das Militär keinerlei politische Lösung für den Aufstand wie zum Beispiel die Gewährung kurdischer Sprachrechte oder die Zulassung kurdischer Parteien. Die Politik der Dorf-Evakuierungen und die anhaltende Repression gehören zu den schlimmsten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Die Auslieferung Öcalans an die Türkei, die sicherlich zu seiner Hinrichtung führen würde, würde auch die Kriegslüsternheit der türkischen Militärs bestärken."

Die Zeitung endet mit dem zynischen Vorschlag, die italienische Regierung solle eine Auslieferung Öcalans an die Türkei mit Bedingungen versehen. Zum Beispiel: Öcalan im Austausch gegen [[Leyla Zana]]. Vor allem aber sollten die Freunde der Türkei, wie zum Beispiel die USA, Druck auf die Türkei ausüben, um die Leiden der Kurden zu verringern. Die Auslieferung Öcalans an die Türkei könne ein Werkzeug sein, um größere Veränderungen in der Türkei zu erzwingen, meint das Blatt.

Die New Yorker Zeitung "Daily Star" bringt am 19.11. ein Interview mit Kurden aus dem Libanon. Darin betonen diese ihre Unterstützung für die PKK und daß jedes Volk, also auch die Kurden, ein Recht auf ihre eigene Kultur und einen eigenen Staat haben. Sie kritisieren: "Warum unterstützen die USA die 7 Millionen Kurden im Irak, aber nicht die 20 Millionen Kurden in der Türkei?" Zum Schluß des Artikels heißt es: "Zur Lösung der Probleme der Türkei sagt Mr. Ceziri, die Türkei müsse einfach ihre Waffen niederlegen und 'die Rechte der Kurden anerkennen'."

Am 20. November berichtet die britische Agentur Reuters, der türkische Staatspräsident Demirel haben die europäischen Staaten gewarnt: "Wenn ihr den Separatismus ermuntert, indem ihr eine politische Lösung verlangt, dann werdet ihr die Türkei destabilisieren und in ein neues Jugoslawien verwandeln", zitiert ihn die Agentur wörtlich.

Am 23.11. berichtet BBC, die USA hätten angekündigt, sie wollten gemeinsam mit den Regierungen Italiens, Deutschlands und der Türkei an einer Lösung des Konflikts um den PKK-Vorsitzenden arbeiten. Der Sprecher des Außenministerium, James Rubin, habe erneut betont, es gehe der US-Regierung dabei darum, "Öcalan vor Gericht zu bringen".

Einen gleichlautenden Bericht verbreitet am 24.11. die britische Agentur Reuters. Der italienische Ministerpräsident werde in den nächsten Tagen nach Spanien, Belgien, Frankreich und in die Bundesrepublik reisen, um diplomatische Unterstützung zu erhalten.

Die Zeitung "Eastern" bringt am 23.11. eine Bericht mit Erklärungen des Vatikans. In einer offiziellen Erklärung habe der Vatikan verlauten lassen, er anerkenne die Sehnsüchte des kurdischen Volkes und appelliere an alle Seiten, miteinander zu sprechen, um die kurdische Frage zu lösen.

Der Vorsitzende der Kongregation für die Ostkirchen, Kardinal Achille Silvestri, habe erklärt, die kurdische Frage sei eine Angelegenheit, mit der sich Europa befassen müsse.

Am 25. November greift die "International Herald Tribune" erneut die Idee eines "Deals" um die Auslieferung Öcalans an die Türkei auf und nennt als mögliche Bedingungen:

"* bedingungslose Freilassung der inhaftierten kurdischen

 Abgeordneten, der örtlichen kurdischen Parteivertreter und anderer,
 die unter dem Anti-Terror-Gesetz und ähnlichen Gesetzen inhaftiert
 und verurteilt wurden,
  • Aufhebung der Anti-Terror-Gesetze
  • Erklärung einer Amnestie für die PKK-Guerilla
  • Einhaltung der von der Türkei bereits unterzeichneten
 Menschenrechtskonventionen - was die türkische Regierung unter
 anderem verpflichten würde, die vertriebenen Dorfbewohner
 zurückkehren zu lassen und zu entschädigen,
  • Zulassung kurdischer politischer Parteien, die die territoriale
 Integrität der Türkei akzeptieren."

Ein "sichtbarer Fortschritt" auf diesen Gebieten müsse festgestellt werden, bevor der PKK-Vorsitzende in die Türkei ausgeliefert werde. "Europa und die USA sollten einen solchen Handel mit Mitteln für wirtschaftliche Entwicklung, für einen Versöhnungsprozeß und ähnliches unterstützen".

Die türkische Zeitung "Sabah" schreibt am 24.11., es sei nicht sicher, ob die Türkei wirklich eine Auslieferung Öcalans wünsche. "Das (kurdische, d. Red.) Problem ist nun auf einer internationalen Plattform angekommen." Die USA und die EU-Staaten hätten möglicherweise das gleiche Ziel, aber verschiedene Instrumente, um es zu erreichen.

Die USA konzentrierten sich darauf, den irakischen Staatschef Saddam Hussein zu stürzen und strebten so einen modernen Irak an, in dem die Kurden Autonomie bekämen. Um diese Änderungen zu erzwingen und die Türkei als Verbündeten auf ihrer Seite zu haben, wollten die USA offensichtlich "die PKK aus dem Spiel" haben.

Mehrere europäische Staaten dagegen glaubten, wenn Öcalan in Italien unter Kontrolle sei, könne die PKK in eine politische Organisation "ähnlich wie die PLO" umgewandelt werden.

In einem Kommentar für das "Armenische Nachrichtennetzwerk" schreibt am gleichen Tag der armenische Journalist Omnik Krikorian, "die Ankunft Öcalans in Rom" habe den kurdischen Kampf "auf die geopolitische Ebene" gehoben. Dies könnte "der dramatischste, kalkulierteste und außerordentlichste politische Prozeß in diesem Jahrhundert" werden, der die Türkei und alle ihre Nachbarstaaten betreffe.

Daß der Westen die PKK und die Kurden bisher mit anderen Maßstäben messe als z.B. die PLO, IRA und ANC, hänge einfach mit den bestehenden politischen und militärischen Allianzen zusammen. Die PKK sei eine Bedrohung sowohl der US-Interessen, der russischen Interessen wie der Türkei. Die Stimmen in den USA, die einen Austausch von Leyla Zana gegen Öcalan vorschlügen, verstünden die kurdische Situation nicht. Leyla Zana habe selbst schon 1997 in einem Brief öffentlich erklärt: "Eine klare Mehrheit des kurdischen Volkes betrachtet die PKK als eine unverzichtbare Partei bei der Lösung seiner historischen Anliegen." Deshalb müsse die PKK für die Kurden das Recht haben, "an der Debatte und Entscheidung über Autonomie, Föderation oder Unabhängigkeit teilzunehmen".

Es sei "in jedermanns Interesse, zu einer Verhandlung und einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage in der Türkei" zu kommen, um so eine Destabilisierung der gesamten Region zu verhindern. "Es gibt kein Entkommen vor der Feststellung, daß der kurdische Kampf - vertreten durch die PKK - strenger und entschlossener geworden ist". Die einzige offene Frage sei, wann eine Änderung herbeigeführt werde. (Zus.-Stellung: rül)

                                *
                        _Kurdische Stimmen_                          
_"Danke Italien - Eine politische Lösung der Kurdenfrage tut Not!"_  

Die Kurdische Gemeinde in Deutschland e.V. hat am 26.11. durch ihren Sprecher Mehmet Tanriverdi eine Erklärung abgegeben, in der sie der italienischen Regierung für ihr mutiges Verhalten dankt und für eine politische Lösung der kurdischen Frage plädiert.

"Der Alleingang Roms im Fall Öcalan war ermutigend, trotz massiven Drucks der Türkei z.T. mit illegalen Maßnahmen. Rom braucht die volle Rückendeckung Brüssels sowie der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, allen voran der Bundesrepublik Deutschland.

Aufgrund des Asylgesuchs des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalans in Italien und der klaren Ablehnung des Auslieferungsersuchens der Türkei reagiert der türkische Staat mit allen seinen Institutionen und Einrichtungen mit Sanktionen gegen Italien, organisiert Protestaktionen ... und spricht Drohungen aus. Auch Türken im Ausland werden aufgefordert, gegen Italien massiv vorzugehen. Zahlreiche kurdische Einrichtungen in den Ländern der EU gingen in den letzten Tagen in Flammen auf, Scheiben der Geschäfte werden eingeworfen, kurdische Schüler in deutschen Schulen massiv bedroht.

Während sich die Weltöffentlichkeit seit zwei Wochen mit der sog. Öcalan-Krise beschäftigt, macht der türkische Staat offen Jagd auf Kurden in der Türkei. Vereine wurden geschlossen, Geschäfte zerstört, Hunderte von Menschen, darunter zahlreiche Politiker der pro-kurdischen Partei HADEP, Künstler, Schriftsteller und Journalisten wurden verhaftet und einige festgenommene Zivilisten unter Folter getötet.

Wie der Fall Öcalan wieder gezeigt hat, sind die Kurden nicht das Problem Europas, sondern der Konflikt ist auch ein europäischer. Eine gemeinsame EU-Haltung für die politische Lösung der Kurdenfrage ist dringend notwendig.

Der Schlüssel zur Lösung der Kurdenfrage liegt zwar in Ankara, aber ohne ernsthaften politischen und wirtschaftlichen Druck der EU und der USA wird die Türkei nicht bereit sein, das Tor einen Spalt breit zu öffnen.

Wir bitten Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinen italienischen Kollegen, Ministerpräsident Massimo D'Alema, der morgen in Bonn zu Gast ist, gemeinsam die Initiative zu ergreifen mit dem Ziel, einen EU-Beschluß für eine politische Lösung zugunsten der verfolgten Kurden herbeizuführen.

Öcalan wurde in Italien mittlerweile freigelassen, die italienische Justiz und Regierung ist weiter aufgefordert, dem Wunsch auf politisches Asyl nachzukommen.

Wir begrüßen die Äußerung von Außenminister Fischer, der für eine politische Lösung plädiert, sowie den gestrigen Kabinettsbeschluß, der eine Auslieferung Öcalans an Deutschland ablehnte. Die Kurden in Deutschland haben große Hoffnung in die neue Regierung gesetzt und erwarten politischen Beistand bei der Bemühung für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage."


    _Appell der Kurdischen Akademie für Wissenschaft und Kunst_      

Auch die Kurdische Akademie in Ried hat sich in einem Brief an den italienischen Ministerpräsidenten D'Alema für einen Einstieg in eine politische Lösung stark gemacht. Geeigneter Rahmen dafür sei die OSZE. In ihrem Brief heißt es:

"Mit diesem Schreiben schließt sich die Kurdische Akademie für Wissenschaft und Kunst den Ausführungen des Appells von Hannover und des Kurdischen Nationalkongresses (London) an, mit denen diese auf die zur Zeit besondere Verantwortung der italienischen Regierung für den Frieden in Kurdistan hingewiesen haben. Die italienische Regierung hat durch das Vertrauen, das Herr Öcalan in sie gesetzt hat, die historische Chance, endlich einen Friedensprozeß für Kurdistan in Gang zu setzen.

Voraussetzung für einen solchen Friedensprozeß, auf den Millionen Menschen kurdischer und türkischer Herkunft seit Jahrzehnten vergeblich warten, ist unserer Meinung nach, daß Herr Abdullah Öcalan einen politischen Status in Ihrem Lande erhält.

... Ihre Regierung ist in besonderer Weise dazu befähigt, dem kurdischen Volk auf seinem Weg zu Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung zu helfen, da ... Italien so viel Eigenständigkeit besitzt, daß es eine Friedenskonferenz im Rahmen der OSZE ins Leben rufen kann. ..."

(Dipl. Ing. Bruska Ibrahim, Ried, 17.11.98)

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                         _Deutsche Stimmen_

_Friedensnetzwerk Bonn: "Chancen für politische Lösung der Kurdenfrage_

                             _nutzen"_

"Die Zuflucht Abdullah Öcalans in Italien zwingt die Kurdenfrage und den Umgang mit der Türkei auf die Tagesordnung der europäischen Politik. Dies ist mehr Chance als Krise. Europa und gerade auch die Bundesrepublik können jetzt außen- und innenpolitisch durch konstruktive Beiträge zu einer Dialog-Lösung beitragen. Dabei reicht es nicht, auf Zeitgewinn zu spielen ...

Kurzfristig kann und muß die türkisch-europäische Krise - verbunden mit attraktiven Perspektiven für die Integration nach Europa --sogar verstärkt werden, indem Bewegung in der Kurdenfrage forciert wird ... Die Bundesrepublik kann als wichtiger Partner der Türkei und mit ihrem großen Anteil an türkischer wie kurdischer Bevölkerung nicht nur Mittler sein, sondern auch deutliche Zeichen setzen ..." (Mani Stenner, Bonn, 19.11.98)


_Dialog Kreis Köln: "Statt Siegerjustiz dem Frieden eine Chance geben"_

"... Wir warnen davor, nun auf eine endgültige Vernichtung des kurdischen Widerstandes zu setzen und damit die Verfeindung mit unabsehbaren Folgen für die ganze Region und für Europa, nicht zuletzt Deutschland festzuschreiben. In diesem Kriege sind von allen Seiten schwere Verstöße gegen die Menschenrechte begangen worden. Alle Kriegsverbrechen vor ein internationales Tribunal zu bringen, wird weder möglich noch wünschenswert sein. Die Bildung einer Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild ... ist statt dessen gefragt. ...

National und international wurde seit Jahren Friedensbereitschaft von der PKK eingefordert. Jetzt wird diese erneut angeboten. Wir fordern die Regierung und den Nationalen Sicherheitsrat der Türkei auf, sich für eine konstruktive, den Krieg deeskalierende Antwort mit dem Ziel einer politischen Lösung des Konflikts zu entscheiden. ...

Wie in Nordirland bedarf eine politische Lösung der Vermittlung Dritter

Die Regierungen aller mit der Türkei befreundeter Staaten müssen sich endlich ihrer internationalen Beistandspflicht stellen. Diese besteht nicht in der weiteren Lieferung von Waffen. Freundschaft zur Türkei kann in dieser historischen Situation nur heißen, ihren Entscheidungsträgern und ihrer großen Gesellschaft aus Türken, Kurden, Armeniern, aus Moslems, Christen und vielen anderen Völkern und Religionen vermittelnd beizustehen, um einen Dialog für das zukünftige friedliche Zusammenleben zu ermöglichen ... Im türkisch-kurdischen Krieg ist es höchste Zeit, die Weichen in Richtung Frieden zu stellen." (Andreas Buro, 21.11.98)


                 _Dialog Kreis: Brief an Schröder_

"Der Dialog-Kreis, der sich für eine politische Lösung des türkisch-kurdischen Krieges einsetzt und auf einem Appell beruht, der auch von Oskar Lafontaine und Joschka Fischer unterzeichnet wurde, hat sich in einem Brief an Bundeskanzler Schröder mit der Bitte gewandt, die bevorstehenden Gespräche mit dem italienischen Ministerpräsidenten zu einer Initiative Deutschlands für die Überwindung des Krieges in der Türkei zu nutzen. ... Mit dem Eintreffen Öcalans in Rom entsteht eine neue Chance, Frieden in der Türkei und Versöhnung der verfeindeten Fronten wiederherzustellen. Seit Jahren tritt die ganz überwiegende Mehrheit der Kurden für eine politische Lösung im Rahmen der Türkei ein. Diese Chance dürfe nicht vertan werden. ..." (Andreas Buro, 25.11.98)


_PDS: "PKK ändert politischen Kurs. Friedensverhandlungen herbeiführen"_

Am 16.11. plädierte die PDS-Abgeordnete Jelpke für die Aufnahme von Verhandlungen über eine politische Lösung der kurdischen Frage:

"... Eine Überstellung Öcalans an die Türkei darf auch ohne drohende Todesstrafe keinesfalls stattfinden. In türkischen Gefängnissen werden Oppositionelle nach wie vor systematisch gefoltert. Von rechtsstaatlichen Verfahren kann vor Militärgerichten nicht die Rede sein. Dies gilt erst recht für den Fall des in der Türkei als "Staatsfeind Nummer 1" erklärten PKK-Führers. Dies ist ausreichend, sich im Rahmen einer an Menschenrechten orientierten Außenpolitik gegen eine mögliche Auslieferung zu wenden.

Doch darüber hinaus wirft Öcalans Präsenz in Europa die Frage internationalen Handelns im Kurdistankonflikt neu auf. Die Tatsache, daß sich der PKK-Vorsitzende von Syrien aus nach Italien begeben hat, deutet auf eine deutliche Verschiebung der strategischen Prioritäten der kurdischen Befreiungsbewegung hin. Nach dem bereits im September verkündeten Waffenstillstand, liefert Öcalans Schritt nach Europa ein weiteres eindeutiges Signal, daß die PKK ernsthaft nach einer politischen Lösung des Konflikts sucht.

Öcalans Rolle als Feldherr, der von Syrien aus die Guerilla in den kurdischen Bergen befehligt, gehört nunmehr der Vergangenheit an. Jetzt liegt es in den Händen der Regierungen Europas, in Zukunft eine aktive Rolle einzunehmen.

Wer an einer friedlichen Beilegung des seit fast fünfzehn Jahren andauernden festgefahrenen Konfliktes in Kurdistan ernsthaft interessiert ist, muß die durch die diplomatische Offensive der kurdischen Seite entstandene Dynamik nutzen und auch von der Türkei ein deutliches Signal für die Aufnahme von Friedensgesprächen fordern.

Die Bundesregierung möge sich daher für die folgenden Punkt einsetzen:

  • Keine Auslieferung Öcalans an die Türkei
  • Zuerkennung eines politischen Status für Herrn Öcalan in Italien
  • Entsendung einer Delegation des Deutschen Bundestags nach Italien,
 um in Gesprächen mit dem PKK-Vorsitzenden die Bereitschaft zu einem
 ernsthaften Friedensdialog auszuloten.
  • Realisierung einer internationalen Konferenz "Frieden in Kurdistan -
 Demokratie in der Türkei" in Bonn
  • Aufforderung der Türkei, Friedensgespräche mit der kurdischen Seite
 aufzunehmen."



V.i.S.d.P.: R. Lötzer --

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