Helft der Revolte vom Sofa!

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"Junge Welt" vom 15.08.2009, Seite 12 / Feuilleton
Helft der Revolte vom Sofa!
Offenkundig profitiert die Linke nicht von der Krise.
Warum ist das so? Versuch, eine Debatte anzustoßen
Von Markus Mohr und Gerhard Hanloser

Aus: Ausgabe vom 15.08.2009, Seite 12 / Feuilleton Helft der Revolte vom Sofa! Offenkundig profitiert die Linke nicht von der Krise. Warum ist das so? Versuch, eine Debatte anzustoßen Von Markus Mohr und Gerhard Hanloser In Krisenzeiten verlieren Ideologien an Kraft, Sicherheiten gehen verloren. Für revolutionäre Bewegungen eröffnet sich die Chance auf eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft. So dachten jedenfalls die revolutionären Marxisten bis zum Faschismus. Dessen Wucht hat einige Gewißheiten über den Fortgang der Menscheit fundamental erschüttert. Auch die aktuelle Krise führt nicht dazu, daß alles in Frage gestellt und ein Leben gewagt wird, das frei ist von Hemmnissen wie Lohnarbeit, Markt und Profitprinzip. Zu tief sitzen die Ängste und Frustrationen angesichts der sozialistischen Experimente der jüngeren Vergangenheit, zu stark sind die sozialen und kulturellen Bindungen an das herrschende System. Der deutsche Untertan will Sicherheit – vor allem fürs Eigentum – und Beständigkeit; er will keine Experimente.

In Wirtschaftskrisen rückt Deutschland politisch immer erst einmal nach rechts. Eine wesentliche Reaktion auf solche Krisen ist eben nicht Solidarität, sondern Aufrüsten, Zähne fletschen. Was viele staatstreue Linke nicht wahrhaben wollen, wird nicht nur von FDP-Wählern nüchtern kalkuliert: Der Staat ist der Staat des Kapitals. Als solcher soll er des »Leistungsträgers« Vermögen sichern. Nicht wenige Bundesbürger scheinen sich noch für Leistungsträger zu halten.

Für die, die jetzt schon unten sind, ist das Programm Der Linken vernünftiger als Programme der Konkurrenz. Als einzige konsequente Anti-Hartz-IV-Partei strebt Die Linke eine »bedarfsdeckende Grundsicherung« an. Fürs erste soll der Regelsatz auf 500 Euro steigen. Warum vertreten bei weitem nicht alle, die Hartz IV beziehen oder kurz davor stehen, einfach ihre Interessen und wählen Die Linke? Warum wächst in Krisenzeiten nicht das Vertrauen in die Partei? Natürlich haben die Schröder- und Fischer-Boys in ihrer Ära ganze Arbeit geleistet. Das Land ist desozialisiert. Millionen sind in Apathie und Abstinenz abgestürzt. Es gibt aber nicht nur irrationale Gründe, der Linken zu mißtrauen. Gerade in Zeiten der verschärften Personalisierung des Politikgeschäfts ist die Partei sehr abhängig von Oskar Lafontaine. Gegen ihn ist das gebündelte Ressentiment bundesdeutscher Medienmacht gerichtet. Deren Argumente sind Ausdruck unverhohlenen sozialen Hasses von oben und nicht selten antikommunistisch fundiert.

Aversionen, wie sie in den Eierwürfen auf den Parteichef während der »Wir zahlen nicht für eure Krise«-Demo in Frankfurt/Main Ende März zum Ausdruck kamen, sind verständlich. Viele haben Lafontaine noch als Finanzchef der SPD vor Augen, der das »Fordern« von Arbeitslosen propagiert. Sie bringen einen fundamentalen Antimilitarismus mit diesem Funktionärsvorleben einfach nicht zusammen. Das geht nicht nur radikalen Linken so. Auch ganz normale Bürger gleichen ihre Erinnerungen mit den pazifistisch-isolationistischen und sozialreformerischen Slogans des jetzigen Linkspartei-Vorsitzenden ab. So jemandem glaubt man nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht, und das mit brillanter Rhetorik. Melodie & Rhythmus


Unabhängig von Personalfragen ist die Linkspartei nicht gerade ein Träger des universellen Glücks und der Revolution. Statt die Systemfrage zu stellen, führt sie mit Wetteifer Steuerdebatten, macht artig Konjunkturprogrammvorschläge, fordert Teilverstaatlichungen. Natürlich würde eine tendenziell systemtranszendierende Partei in unseren nichtrevolutionären Zeiten an den Wahlurnen mit 0,1 Prozentpunkten abgestraft. Aber warum profitiert die Linke als keynesianisch-etatistische Partei nicht von ihrem demonstrativen Realismus? Gerade in Krisenfragen unterscheidet sie sich kaum von anderen Parteien. Auch sie befürwortet alle möglichen Staatsbürgschaften. Beliebig viele Nullen sollen über Jahrzehnte faule Bankenbilanzen retten. Diese Krisenverwaltungspolitik der Linkspartei ist auf die perspektivlose Sicherung der gegenwärtigen Verhältnisse gerichtet. Es werden einige Banker rhetorisch gegeißelt, das Kasino aber wird noch lange nicht geschlossen.

Die Krise der Linken geht noch tiefer. Sie sind nicht mehr attraktiv. Das hat sicherlich auch zu tun mit der mal haßerfüllten, mal liebevollen Darstellung ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Lächerlichkeit in Bestsellern wie »Lenin kam nur bis Lüdenscheid« oder »Unter Linken«. Schwerer wiegt, daß die Linke als Sprecherin universalistischer Befreiung so gut wie abgedankt hat. Solidarität – auch die, die in die Ferne geht – war einmal ihr Programm. Vietcong, Black Panther oder FSLN standen bei allen Täuschungen und Projektionen für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das kann man von den Taliban beim besten Willen nicht sagen. Die Position der Linken zu weltpolitischen Fragen ist der Prüfstein dafür, ob man sich eine Zukunft mit ihr vorstellen kann. Wer angesichts des jüngsten Gaza-Krieges die Trommeln für die Bomber der israelischen Armee rührte – und das reichte von den absurden Antideutschen über die Zeitschrift konkret bis zum sprachgewaltigen Robert Kurz – signalisierte unmißverständlich das Einverstanden-Sein mit der massakerähnlichen Abstrafung eingepferchter Elendsgestalten. Und die antiimperialistischen Linken, die Ahmadinedschad oder die Gotteskrieger von Hamas und Hisbollah als »objektive Antiimperialisten« hofieren, verraten die wichtigsten Ideen von 1789, verabschieden sich von Kämpfen um soziale und geschlechtliche Egalität, gegen religiöse Bevormundung. Weder mit der einen noch mit der anderen Linken will man Seit’ an Seit’ in die Zukunft schreiten.

In diesen ideologischen Schützengräben hockend, verkennt die Linke Rauchzeichen der Revolte: die griechische und die iranische Jugend rebellieren gegen ein System, das ihnen bei hoher Ausbildung nur die Überflüssigkeit offeriert: Arbeitslosigkeit oder schlechte Jobs. Französische Arbeiter nehmen Manager und Chefs gefangen, chinesische Arbeiter hauen auf den Putz. Sich als Linke zu diesen Kämpfen ins Verhältnis zu setzen, ist viel schwieriger, als die Solidarität mit den Zapatistas oder den sozialistischen Staatsmännern Lateinamerikas zu pflegen.

Der Rebellion muß auch in diesem Land »vom Sofa« geholfen werden. Keine Rebellion ist nun mal keine Lösung! Es bleibt zu hoffen, daß die prekarisierte Linke auf die zu erwartenden Sozialkürzungen anders reagiert als mit individuellen Gängen zum Arbeitsamt. Auch hierzulande stehen Arbeitskämpfe an. Die Löhne stagnieren, das Leben wird immer teurer. Die Überproduktion wird noch mit Kurzarbeit organisiert, aber Massenentlassungen stehen bevor. Es gibt keine Alternative zum Kampf gegen diese Demütigungsmaschinerie.