Jutta Hecht

Aus InRuR

Berliner Zeitung 19.04.2004
Jutta Hecht hat die schlimmsten Verbrecher verurteilt.
Sie geht in Pension Im Namen des Volkes - ein letztes Mal
Von Katrin Bischoff
http://www.berliner-zeitung.de/archiv/jutta-hecht-hat-die-schlimmsten-verbrecher-verurteilt--sie-geht-in-pension-im-namen-des-volkes---ein-letztes-mal,10810590,10169364.html
FRANKFURT (ODER). Sie weiß alles über den Gewaltverbrecher und Triebtäter Frank Schmökel.
Stefan Jahn, der Mörder der kleinen Ulrike aus Eberswalde, saß ihr mit gesenktem Kopf gegenüber.
Sie hat Daniela Jesse, die ihre zwei kleinen Söhne in Frankfurt (Oder) verdursten ließ, nach dem Warum gefragt.
Lebenslänglich hieß in allen Fällen ihr Urteil.
Wenn man Jutta Hecht auf ihre spektakulärsten "Kunden" anspricht und über die Strafen, die sie verhängt hat, unterbricht die 64-jährige Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des Landgerichts in Frankfurt (Oder) sofort.
"Falsch", sagt sie dann energisch.
Nicht sie habe die Urteile gefällt.
"Es gehören immer noch zwei Schöffen und zwei weitere Richter dazu.
Das wird immer wieder vergessen."
Sie wolle nicht im Mittelpunkt stehen.
Man glaubt es ihr, bisher hat sie Interviews abgelehnt.
Dabei ist Jutta Hecht jetzt schon seit 14 Jahren Strafrichterin am Frankfurter Landgericht.
Sie ist Vorsitzende der Schwurgerichtskammer und bekommt irgendwann jeden "auf den Tisch", der in Ostbrandenburg gemordet oder jemanden tot geschlagen hat.
Derzeit führt sie die Verhandlung im Prozess gegen Doreen S. aus Fürstenwalde.
Die 22-Jährige, Mutter eines mittlerweile vierjährigen Jungen, soll im April 2003 im Zustand verminderter Schuldfähigkeit ihr gerade heimlich geborenes zweites Kind in der Wanne ertränkt haben.
Mit Tötungsabsicht, heißt es in der Anklageschrift.
Es ist der letzte Prozess, den Jutta Hecht führen wird. Im Mai feiert sie ihren 65. Geburtstag.
"Dann darf ich nicht mehr als Richterin arbeiten", sagt sie.
Obwohl sie behauptet, es falle ihr nicht so schwer, Abschied zu nehmen, klingt doch auch Wehmut mit. "Ich war schon mit Leib und Seele Richterin", gesteht sie.
Dabei hatte sie "nie im Leben" Richterin werden wollen. Krankenschwester hatte die aus Schkeuditz bei Dresden stammende promovierte Juristin gelernt.
Kein Wunder, lag doch der Beruf in der Familie: Der Vater war Pfleger. Die Großmutter Krankenschwester, die Mutter ebenso wie die Schwester.
Nur der zwei Jahre jüngere Bruder "schlug aus der Art" und studierte Rechtswissenschaften.
Er überredete seine Schwester, zur Aufnahmeprüfung für ein Jurastudium zu gehen. "Ich war mir fast sicher, es klappt nicht.
Doch binnen zwei Wochen saß ich in der Humboldt-Universität", erinnert sie sich.
Da war Jutta Hecht bereits 29 alt, nur eine Kommilitonin war ebenso alt wie sie. Doch die hinter vorgehaltener Hand gestellte Frage der einige Jahre jüngeren Studienanfänger, was wollen die beiden Ollen hier, erübrigte sich bald.
"Nach ein paar Tagen war Schluss mit dem Gerede", sagt Jutta Hecht. Nach dem Studium wurde sie Zivilrichterin, schied vorwiegend Ehen.
"Wenn mir jemand gesagt hätte, Du wirst in der Bundesrepublik Deutschland einmal 14 Jahre lang Strafrichterin, nie hätte ich das geglaubt",sagt sie.
Sie wurde es, weil man nach der Wende Richter brauchte. Juristen, die nicht vorbelastet waren, wie es hieß. Zum Beispiel Jutta Hecht.
Der Richterbund-Landeschef hatte während des Schmökel-Verfahrens vor anderthalb Jahren einmal über sie gesagt:
Sie sei ein glänzendes Beispiel dafür, dass DDR-Richter, die sich politisch nichts zu Schulden kommen ließen und fachlich herausragend waren, auch weiter Karriere machen konnten. Jutta Hecht hat in ihrer Strafrichter-Laufbahn die schlimmsten Verbrecher Brandenburgs abgeurteilt.
Vor allem die Verfahren, in denen Kinder die Opfer waren, berührten sie. Um nicht daran kaputt zu gehen, hat sie sich einen Schutzmechanismus zugelegt.
"Wie eine Krankenschwester auf der Intensivstation", sagt sie. Trotzdem ahchtete sie stets auf Fairness. Beim Prozess gegen Frank Schmökel zum Beispiel hat sie gleich zu Beginn klar gestellt:
"Eine Vorverurteilung lasse ich nicht zu." Fair, das wollte sie immer sein. Auch wenn sie wusste, dass die Opfer von den Tätern niemals fair behandelt wurden.
Schmökel bedankte sich in seinen letzten Worten vor dem Urteil für diese Haltung. "Gerade wenn im Hintergrund ein Lebenslänglich stehen könnte, muss man fair sein", sagt die Richterin. Jutta Hecht ist Gartenfreak. "Darum ist diese Jahreszeit gar nicht so schlecht, um aufzuhören", sagt sie.
Nie hatte sie richtig Freizeit.
Nun könne sie ihrer Familie mehr Zeit widmen: ihrem Mann, den vier erwachsenen Kindern, den vier Enkeln.
Auch Zwerg-Rauhhaardackel Emmi wird sich freuen.
Die Hundedame schläft abends im linken Arm von Jutta Hecht ein. Morgens weckt sie die Richterin.
"Sie sitzt im Bett und starrt mich an.
Davon werde ich wach", sagt Jutta Hecht. Endlich ist auch Zeit zum Lesen. "Ich habe so unglaublich viele Bücher, die ich noch nie gelesen habe."
Und Reisen steht auf dem Programm. "Ein Urlaub auf einem Schiff wär schon schön." Oder Australien.
"Da war ich vor drei Jahren einmal. Ein wundervolles Land," sagt sie. Jutta Hecht hat ihr Büro fast leer geräumt.
Ihre Robe, zwölf Jahre alt, nimmt sie mit heim.
An diesem Montag wird sie noch einmal darin auftreten. Um ein letztes Mal im Namen des Volkes ein Urteil zu sprechen - im Fall der 22-jährigen Doreen S. aus Fürstenwalde. ------------------------------
"Wenn Kinder getötet wurden, dann ist mir das schon sehr unter die Haut gegangen." Jutta Hecht, Richterin ------------------------------
Die spektakulären Fälle der Richterin // Frank Schmökel: Den Triebtäter, der aus dem Maßregelvollzug floh, einen Mann erschlug und drei Menschen verletzte, verurteilt Jutta Hecht Ende 2002 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Stefan Jahn: Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung, so hieß das Urteil Ende 2001 gegen den Mörder der kleinen Ulrike aus Eberswalde. Daniela Jesse: Sie ließ in Frankfurt (Oder) ihre beiden kleinen Kinder verdursten. Im Mai 2000 erhielt sie lebenslange Haft.
Karsten Z.: Er brachte bei Altlandsberg mit einem Komplizen einen Mann um, weil er dessen Sportwagen wollte. Dafür wurde er zu lebenlanger Haft verurteilt.
Gabriel P.: Der rumänische Einbrecher erschoss in Greifenberg einen 18-jährigen Polizistensohn. Im März 1999 das Urteil: Lebenslange Freiheitsstrafe.
Petra S.: Die geistig behinderte Frau steckte in Frankfurt (Oder) ein Behindertenheim an. Acht Frauen starben.
Die Täterin kam in die geschlossene Psychiatrie. ------------------------------
Foto: Geht in Pension: Vorsitzende Richterin Jutta Hecht.



DIE WELT 28.04.04
Richterin für schwere Fälle
Jutta Hecht hat Kapitalverbrecher verurteilt und sich deutschlandweit profiliert - Nun geht sie in Pension
Von M. Lukaschewitsch
http://www.welt.de/print-welt/article310186/Richterin-fuer-schwere-Faelle.html
http://www.morgenpost.de/printarchiv/brandenburg/article397522/Richterin-fuer-schwere-Faelle.html
http://article.wn.com/view/2004/04/28/richterin_f_uumlr_schwere_f_aumllle/
http://www.morgenpost.de/ausgabe/archiv2004/040428/brandenburg/story674831.html
Kapitalverbrecher haben ihr gegenüber gesessen. Frank Schmökel, der Vergewaltiger, der mit dem Spaten einen Rentner erschlug; Stefan Jahn, der die kleine Ulrike aus Eberswalde umbrachte; Daniela Jesse aus Frankfurt (Oder), die ihre beiden Kinder zu Hause verdursten ließ. Das sind die spektakulärsten Fälle, die Jutta Hecht als Richterin verhandelt hat. Nach 15 Jahren in der 3. Großen Strafkammer verabschiedet sich die Vorsitzende Richterin am 18. Mai in den Ruhestand.


Mit ihr geht ein besonderes Kapitel Justizgeschichte zu Ende; Jutta Hecht war eine der wenigen Richterinnen aus der DDR, die im wiedervereinigten Deutschland Strafrichterin wurde. Als Ehe- und Familienrichterin hatte sie mit der politisch gefärbten Strafjustiz der DDR nichts zu tun. Und sie traute sich die neue Aufgabe zu. Für die damals fast 50-Jährige hieß das, sich erst einmal das neue Strafrecht zu erarbeiten.

Schon an der Humboldt-Universität, wo die gelernte Krankenschwester 1968 erst als 29-Jährige mit dem Studium der Rechtswissenschaften begonnen hatte, hatte sie als Exotin gegolten. Nach der Wiedervereinigung machte sie auch anderen Kollegen Mut: "Wir müssen als Ossis nicht unterm Tisch sitzen bleiben."

Jutta Hecht wurde zur profiliertesten Richterin im Land. Nicht nur, weil kaum eines ihrer Urteile vom Bundesgerichtshof kassiert worden ist. Vor allem wegen ihrer Prozessführung: zuhörend, ausgleichend, konfliktfrei. Eine hohe Kunst, zumal bei Strafprozessen. Mit sachlichen Appellen brachte sie "erst mal Ruhe in den Karton", wie die Juristin es salopp sagt. Für Richterschelte bot sie deshalb selten Angriffsflächen.

Ohne Profil ist Jutta Hecht deswegen nicht - mochten das weiche, sächsisch gefärbte Idiom, ihre sparsame, nur von sanften Kopfbewegungen, aber mit wachem Blick gelenkte Mimik zuweilen auch zu dem (Trug-)Schluss verführen, sie sei durch Störfeuer von Verteidigern und Staatsanwälten zu beeindrucken. "Tja, die haben sich wohl getäuscht", sagt sie heute und lacht verschmitzt. Sie konnte auch "dazwischen hauen", wenn es ihr zu bunt wurde, etwa weil ein Verteidiger Nebenkriegsschauplätze beackern wollte. Freundlich, aber bestimmt.

Selbst Angeklagte waren mitunter beeindruckt. Frank Schmökel bedankte sich in seinem Schlusswort ausdrücklich für die faire Behandlung. Die Verhandlung endete trotzdem mit Lebenslänglich plus Sicherheitsverwahrung. Als Krankenschwester habe sie gelernt, auf Distanz zu bleiben, Leid nicht zu dicht rankommen zu lassen, erklärt Jutta Hecht. "Sonst gehst du kaputt." Wohlbehalten erreicht sie nun den Ruhestand. Für Turbulenzen werden dann allenfalls die vier Enkelkinder und der Drahthaarteckel Emmi sorgen. Große Reisepläne hat die Juristin auch schon - ein zweites Mal nach Australien.