Kulturboykott gegen Deutschland: Ein BDS gegen die BRD
Aus InRuR
Die Kampagne "Strike Germany" ruft zum Boykott deutscher Kulturinstitute auf.
Offen bleibt, ob das Ernst ist oder Parodie.
Bekommt es die Bundesrepublik mit einer Bewegung zu tun,
die den deutschen Staat auf ähnliche Weise boykottieren will
wie die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), dies seit Längerem zur Isolation Israels propagiert?
Unter dem Titel "Strike Germany" kursiert jedenfalls seit einigen Tagen
ein anonymes Google-Dokument im internationalen Kulturbetrieb,
das dazu aufruft, deutsche Kulturinstitutionen zu bestreiken.
Inzwischen gibt es den Aufruf auch aus Social Media sowie auf einer Website,
die am Wochenende auf den Bahamas registriert wurde
und über die Adresse "strikegermany.org" besucht werden kann.
Die Kampagne bezichtigt deutsche Kulturinstitutionen -
und gemeint sind damit,
wie später deutlich wird, stets staatlich finanzierte oder geförderte Häuser -
der Unterdrückung freier Meinungsäußerungen,
speziell des Ausdrucks der "Solidarität mit Palästina".
Ihr Aufruf wendet sich konkret an internationale "Kulturarbeiter" -
der englischsprachige Text verwendet den Begriff "cultural workers"
und dürfte in einem breiteren Sinne zu verstehen sein
als die deutsche Bezeichnung Kulturschaffende,
die wegen ihrer Verwendung in der Kulturbürokratie des Nationalsozialismus zuletzt ohnehin in Kritik geraten ist.
Die angesprochenen Personen jedenfalls werden aufgerufen, deutsche Kulturinstitutionen zu meiden und "Festivals, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen" fernzubleiben,
bis eine Reihe von Forderungen erfüllt sei.
Deutschland wird aufgefordert, die BDS-Resolution von 2019 zurückzuziehen
Punkt eins der Forderungsliste ist der "Schutz der Kunstfreiheit" und richtet sich dagegen,
dass sich (staatlich finanzierte) deutsche Kulturinstitutionen darüber informieren, ob sich Leute, mit denen sie zusammenarbeiten wollen, in Petitionen, offenen Briefen oder auf Social Media gegen Israel ausgesprochen haben.
Dies verstoße gegen verfassungsgeschützte Rechte
und stelle "de facto verschleierte Formen von Racial Profiling" dar.
Punkt zwei betrifft die Definition von Antisemitismus.
Er fordert Deutschland auf,
der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu entsagen und stattdessen der konkurrierenden Jerusalem Declaration of Anti-Semitism (JDA) zu folgen.
Kern ist hier, dass erstere auch bestimmte Formen der Gegnerschaft zu Israel als Staat und zum Zionismus als antisemitisch wertet.
Punkt drei lautet: "Struktuellen Rassismus bekämpfen" und fordert die Bundesrepublik auf,
die Anti-BDS-Resolution des Bundestages von 2019 zurückzuziehen,
da diese "effektiv ein Instrument des strukturellen Rassismus" sei.
Unterfüttert werden diese Forderungen mit Ausführungen zum "politischen Kontext",
der unter anderem die jeweiligen Debatten um die umstrittenen Preisverleihungen an die Autorinnen Adania Shibli und an Masha Gessen auflistet.
Die aktuellen Diskussionen um das Verlangen der Berliner Kulturverwaltung,
finanzielle Förderung von einem zu ausdrücklichen Bekenntnis
zum Existenzrecht Israels abhängig zu machen,
finden erstaunlicherweise keine Erwähnung.
Israel
:Hier kommt der Kontext Die Yale-Politologin Seyla Benhabib stand in gesellschaftlichen Konflikten meist links.
In einem Essay erklärt sie jetzt, warum sie im Gaza-Krieg davon abweicht.
Weniger erstaunlich dürfte sein, dass auch Umstände und Vorgeschichte des gegenwärtigen Krieges im Nahen Osten
keine Erwähnung finden, nicht die Terrorangriffe der Hamas vom Oktober
und nicht die Geiseln in Gaza.
Der Aufruf gleicht insofern früheren Aufrufen und offenen Briefen,
die im Kulturbetrieb, speziell im Kunstbetrieb zirkulierten.
Die Form des anonym herumgeschickten Google-Dokuments erinnert zudem an die mittlerweile nicht mehr öffentlich zugängliche Liste, auf der seit dem Skandal um die vorige Documenta internationale Kulturinstitute nach ihrer vermeintlichen Stellung zum ............ kt eingestuft wurden, was ebenfalls schon an geplante Sanktionen denken ließ.
Die Frage, wie ernst so etwas genommen werden muss, stellt sich immer.
In diesem Fall kommt allerdings noch die Frage hinzu,
wie ernst das gemeint ist.
Der Aufruf "Strike Germany" birgt tatsächlich auch Indizien, dass er eine Parodie sein könnte.
Zwar ähneln Argumentation und Sprache ähnlichen Verlautbarungen aus dem Spektrum derer, für die "Solidarität mit Palästina" oft nicht nur auf die Ablehnung israelischer Politik, sondern auf die Ablehnung Israels als Staat hinausläuft.
Aber hier wirken sie mitunter fast verdächtig zugespitzt und simplifiziert.
Dass "Strike Germany" sich dem "Befreiungskampf" verpflichtet fühlt, ist ein alter rhetorischer Standard.
Dass die Versuche von Kulturinstitutionen, sich gegen Israelfeindlichkeit zu verwahren, als "McCarthyismus" bezeichnet werden, ist inzwischen auch einer.
(Es bezieht sich, nur zur Erinnerung, auf Senator Joseph McCarthy,
der in den frühen Fünfzigern für seine Verdachtskampagne gegen eine angeblich kommunistische Unterwanderung amerikanischer Institutionen bekannt war.)
Spätestens wenn Richard Wagner ins Spiel kommt, liegt der Verdacht der Comedy nahe
Aber wenn "Strike Germany" der Bundesrepublik "anti-palästinensischen Rassismus" vorwirft:
Würde das nicht zunächst einmal voraussetzen, dass,
wer auch immer dahintersteckt, damit die Palästinenser zu einer Rasse erklärt?
Andererseits wird der Begriff des Rassismus offensichtlich immer variabler und taktischer gehandhabt,
wie rund um die letzte Documenta deutlich wurde,
wo er bis zuletzt zur Abwehr von Kritik an israelbezogenem Antisemitismus eingesetzt wurde.
Ernsthafte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Kampagne sät aber vor allem das Bildmaterial, das sie auf Social Media und ihrer Website verwendet.
Die gebrauchsgrafischen Kacheln zeigen, meist in den Farben der palästinensischen Flagge, Slogans wie "I can't work in Germany" oder "Germany doesn't work for me".
Aber da ist auch das Brandenburger Tor, über dem in großen Buchstaben "Strike" steht, und Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" in der Hamburger Kunsthalle.
Besonders bizarr in diesem Zusammenhang ist der Schriftzug "STRIKE" über dem Porträt von Richard Wagner.
Spätestens an dieser Stelle liegt der Verdacht von Comedy nahe, denn das einzige Land, das wirklich einen offiziellen Bann über Wagner verhängt hat, war nun einmal ausgerechnet der Staat Israel, was nicht nur mit den judenfeindlichen Einlassungen des Komponisten selbst zu tun hatte, sondern auch mit dem Einsatz seiner Musik durch die Nazis.
Aufschlussreiche Ausführungen dazu finden sich übrigens auf der Website von Daniel Barenboim, der vor zwanzig Jahren den Bann brach und mit seiner Berliner Staatskapelle Stellen aus "Tristan und Isolde" in Israel spielte.
(Darin übrigens durchaus kritische Ausführungen über den Umgang Israels mit den Palästinensern.)
Manche tippen auch schon auf eine Aktion des Zentrums für Politische Schönheit Es ist nicht ersichtlich, wer hinter "Strike Germany" steckt, und Versuche, derlei öffentlich zu machen, werden in dem Aufruf gleich mit als feindselige, letztlich rassistische Maßnahme angeprangert, Fachbegriff: doxxing.
Es kann gut sein, dass es das Milieu ist, in dem "Dekolonialisieren" ein Tätigkeitswort ist, das den Einsatz von Maschinenpistolen, Handgranaten, Vergewaltigungen und Geiselnahmen nicht ausschließen will.
Es kann aber genauso gut auch sein, dass hier Leute am Werk sind, die Kritik am massiven Vorgehen der israelischen Streitkräfte in Gaza diskreditieren wollen.
Oder sind es rechte, identitäre Scherzbolde, die ohnehin im öffentlich finanzierten deutschen Kulturbetrieb künftig diejenigen am liebsten nicht mehr sehen wollen, die jetzt hier zum "Boykott" aufgerufen werden?
Oder Putins Trolle?
Manche tippen auch schon auf eine besonders verdrehte Aktion des Zentrums für Politische Schönheit.
Wer auch immer es ist, ein Detail weist darauf hin, dass sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik haben und sich ihrerseits, wie alle hier, oft von den Paketz .......ustellern der Deutschen Post boykottiert fühlen.
Auf gleich mehreren Kachelbildchen der Kampagne steht, was sonst nur der Bote auf der Karte hinterlässt, die besagt, wann man seine Sendung im DHL-Store abholen kann: "Heute jedoch nicht."