Revolutionäre Viren
Aus InRuR
Initiative Recherche und Reflexion
>>> über InRuR <<<
********
Kategorien / Kontext / Metaebene / Rubriken:
Anschlag
Asylstelle des Berliner Landeseinwohneramtes
Friedrich-Krause-Ufer in Berlin-Moabit
1987
„Revolutionäre Viren“ sorgen für Abschiebestopp
taz vom 9. 7. 1987 Inland S. 2 mow
Berlin (taz) - Einen Tag nach dem Brandanschlag auf die Berliner Asylbehörde,
bei dem 6.000 Asylakten vernichtet wurden, hat sich eine „Jugendorganisation der RZ, die Revolutionären Viren“ zu der Tat bekannt.
In einem Bekennerschreiben drücken sie die Hoffnung aus, daß der Anschlag „für viele Flüchtlinge hoffentlich die positive Folge hat,
daß die menschenverachtenden Maßnahmen der Ausländerbehörde verzögert werden“.
Gefordert wird die Abschaffung der Abschiebehaft und ein Abschiebestopp für alle Flüchtlinge.
Ganz Berlin solle „zu einer Fluchtburg“ werden.
Für die Berliner Asyl– und Abschiebepolitik hat der Brandanschlag tatsächlich gravierende Folgen:
Asylverfahren werden sich monatelang verzögern, erklärte der Berliner Innensenat.
Da auch Hunderte von Pässen verbrannten, können viele Flüchtlinge nicht so schnell abgeschoben werden.
Der Spiegel und die irre Extremismus-Doktrin:
RADIKALE
Revolutionäre Viren
Anschläge auf Asylheime und auf Asylbehörden offenbaren:
Unter Rechts- wie Linksradikalen wächst die Gewaltbereitschaft.
12.07.1987, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 29/1987
https://www.spiegel.de/politik/revolutionaere-viren-a-614c0543-0002-0001-0000-000013523808
m Morgengrauen kletterten Unbekannte auf das Flachdach des Bungalow-Traktes,
vergossen sechs Blechkanister Benzin und aktivierten einen Säurezünder.
Binnen Minuten brannte die Asylstelle des Berliner Landeseinwohneramtes lichterloh.
Als Staatsschützer wenig später, am Dienstag letzter Woche, den Tatort im Stadtteil Tiergarten sichteten,
waren von der Dienststelle nur ausgeglühte Metallträger übriggeblieben.
Fast der gesamte eingelagerte Dokumentenbestand, rund 4500 Asylbewerber-Akten, war zu Asche geworden.
Schadenssumme: mindestens fünf Millionen Mark.
Über den Täterkreis herrschte zunächst Ungewißheit.
Hatten Rechtsradikale zugeschlagen, um gegen eine vermeintlich zu lasche Behördenhaltung zu protestieren?
Die Täter, kommentierte Berlins Innensenator Wilhelm Kewenig,
hätten »vielen Asylbewerbern geschadet,
da auch Beweismittel für eine politische Verfolgung vernichtet wurden und somit eine schnelle Anerkennung nicht mehr möglich« sei.
Oder waren Linksradikale ans Werk gegangen, die Asylbehörden generell für überflüssig halten -
weil jedem Ausländer, ob politisch verfolgt oder nicht ihrer Ansicht nach ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik zusteht?
Für politisches Rätselraten sorgt eine neue Entwicklung in der Terrorszene:
Die Asyldiskussion, die letztes Jahr ihren Höhepunkt fand, hat rechte wie linke Gruppierungen so sehr radikalisiert,
daß beide Seiten seither die Bonner Ausländerpolitik zum Anlaß nehmen, um Brände zu stiften und Bomben zu legen.
Linke Gewaltkader, heißt es im jüngsten Verfassungsschutzbericht,
hätten republikweit die »Flüchtlings- und Asylproblematik« zu ihrem »zentralen Thema« gemacht.
Militante Rechte wiederum sehen sich durch Bonner Unionspolitiker ermuntert,
die ihnen mit asylkritischen Aussagen »Legitimation und Motivation« lieferten,
wie der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte, selber CDU-Mitglied, kritisiert.
Schwer durchschaubar sei die Gewaltszene,
klagte letzte Woche ein Berliner Ermittler,
weil es »bei den Herren von rechts nicht mal zum Selbstbezichtigungsschreiben« reiche.
Linksextremisten dagegen liefern nach den Erfahrungen der Staatsschatzer in aller Regel die Begründung frei Pressehaus-
nach dem Motto, so Lochte: »Der jeweilige Anschlag zum aktuellen Thema.«
Die Einschätzung trog auch im jüngsten Fall nicht.
Wenige Stunden nach dem Anschlag rühmte sich mit der Forderung,
»ganz Berlin zu einer Fluchtburg für Flüchtlinge« zu machen,
eine Gruppe »Revolutionäre Viren« der Tat, Untertitel: »Die Jugendorganisation der RZ«.
Das Kürzel steht für die linksterroristischen »Revolutionären Zellen«, zu deren Repertoire Beinschüsse,
wie sie letztes Jahr dem Chef der Berliner Ausländerbehörde verabreicht wurden,
ebenso zählen wie Attentate auf Institutionen der »herrschenden Asylpolitik« - vom Asylgericht bis zur Meldestelle.
Als Feierabend-Terroristen, oft mit bürgerlichem Background,
zeichneten RZ-Gruppen allein im vergangenen Jahr für 17 »sinnlose Gewaltakte« (Senator Kewenig)
vom Stile der Brandstiftung im Bezirk Tiergarten verantwortlich.
Die Kommandogruppen operieren durchweg autark und dezentral.
Berlins Staatsschutzchef Manfred Ganschow: »RZ ist, wer sich dazu bestimmt.«
Gleichwohl gibt es in der RZ-Szene offenbar ein Minimum an Koordination. Beispiel:
Am 28. Oktober letzten Jahres dem Tag des Attentats auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde -
vorgeblich Bestrafungsaktion für dessen »Repressions- und Selektionsstrategien« -,
zündeten Unbekannte am Kölner Hauptquartier der Lufthansa eine Bombe.
Das sei, hieß es in einem RZ-Brief, die Quittung für »Hilfspolizeileistungen« der Lufthansa bei Abschiebe-Aktionen.
Bundesweit Schlagzeilen machten RZ-Bombenleger im Spätsommer
auch mit einem Sprengsatz im Montageschacht des Kölner Ausländer-Zentralregisters,
der den dortigen Computer lahmlegen sollte.
Die Aktion habe, so das RZ-Credo, einem »rassistischen und totalitären Register« gegolten.
In Hamburg brannte im August eine Dienststelle der Ausländerkripo aus.
Mit unverminderter Militanz wollen die linken Ausländerfreunde offenbar
_(Links: Brandanschlag auf Berliner ) _(Asylbewerber-Zelte am 26. Juli 1986; ) _(rechts: Brandanschlag auf die Asylstelle ) _(des Berliner Einwohneramtes am Dienstag ) _(letzter Woche. )
den rechten Ausländerfeinden den Rang ablaufen, die schon vor Jahren das Thema Asyl für sich entdeckt haben.
Erste spektakuläre Tat dieser Art war, am 22. August 1980,
ein Brandflaschen-Anschlag auf ein Hamburger Übergangswohnheim für Asylbewerber - zwei junge Vietnamesen kamen ums Leben.
weiterer Text im Original
2000
Der Prozeß gegen Tarek Mousli im Dezember 2000
https://archive.ph/lfRM9
Der Vorsitzende Richter gerät hier in leichte Verwirrung.
Gleichzeitig mit der Sprengung habe doch eine andere Gruppierung namens Revolutionäre Viren versucht, das Gebäude anzuzünden, das sei wohl gar nicht gelungen?
Bundesanwalt Griesbaum winkt desinteressiert ab, Tarek Mousli bequemt sich, dem Vorsitzenden Richter die Sachlage zu erklären.
Tatsächlich habe der eigene Anschlag kaum Schaden verursacht, derjenige der Revolutionären Viren hingegen, der später stattfand, ganz erheblichen.
Es seien seines Wissens zahlreiche Akten dabei vernichtet worden.
Die Revolutionären Viren hätten sich selbst als "Jugendorganisation der RZ" bezeichnet, seien aber nicht Teil der RZ gewesen.
Es habe Überlegungen zu einer Verschmelzung gegeben, die aber schließlich nicht weiterverfolgt worden seien,
da es personelle Überschneidungen zum "Koordinierungsausschuß" gegeben habe,
von dem die "Viren" auch Geld erhalten hätten.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters nennt Tarek Mousli den Namen eines Mannes,
der zu den Revolutionären Viren gehört habe
und den er zuvor auch schon als eventuelles Mitglied in dem "Koordinierungsausschuß" benannt hatte.