Schmeiß raus

Aus InRuR

"Der Spiegel" 05.07.1971
HOCHSCHULEN
Schmeiß raus

Handfeste Attacken radikaler Studenten auf den Berliner Politologie-Professor Schwan beflügelten nicht nur die Gegner der Hochschulreform, sondern brachten auch linke Gruppen gegen die Saalstürmer auf.
Professor Alexander Schwan, Ordinarius am Otto-Suhr-Institut (Osi) der Freien Universität Berlin, hatte ein volles Haus.
Im Hörsaal B des Osi-Domizils an der Dahlemer Ihne-Straße, wo sich sonst donnerstags nur rund zwei Dutzend Interessenten versammelten, drängten diesmal, am 24. Juni, an die hundert Gäste ins Schwan-Seminar über "Theorie und Praxis der Demokratisierung als Aufgabe einer emanzipatorischen Politik-Wissenschaft".
An Theorie freilich war den Neulingen nicht gelegen.
Sie reizte die Praxis: Sie bewarfen den Professor mit Farbeiern, malten "Schwan raus" ans Fenster, "Schwan Schwein" an die Wand und packten den beschmutzten Gelehrten schließlich an Händen und Füßen, um ihr Go-in mit einem Schmeiß-raus zu vollenden.
Schwan-Gegner und Osi-Revoluzzer Götz Aly verhinderte das Äußerste:
Er überzeugte seine Genossen davon, daß der Sturz dieses Bourgeois aus dem Parterre-Fenster
weder Freund noch Feind als Akt emanzipatorischer Politik-Wissenschaft "zu vermitteln" sei.
Die Aktion der Hörsaalstürmer gegen den Politologen Schwan -- vor vier Jahren noch einer der eifrigsten Hochschul-Erneuerer, mittlerweile für die radikale Linke jedoch "professioneller Konterrevolutionär" (Studenten-Flugblatt) -- traf West-Berlins Universitäts-Reformer um den FU-Präsidenten Rolf Kreibich in ihrer bisher kritischsten Situation seit Inkrafttreten des neuen Hochschulgesetzes im Jahr 1969: mitten in ihrem erbitterten Zweifrontenkrieg gegen Reformgegner innerhalb wie außerhalb der Universität.
Denn im Akademischen Senat der FU wie im Berliner Parlament, in den Fachbereichen der Universität wie in den politischen Parteien der Stadt gewinnen die Kritiker an Boden, wachsen die Zweifel an der Funktionsfähigkeit der neuen Hochschulordnung:
* Bereits im April erörterten die regierenden Sozialdemokraten, ob eine Novelle zum Hochschulgesetz notwendig sei.
* Ende Mai verließen 14 Hochschullehrer aus Protest gegen die angebliche Machtfülle des Universitätspräsidenten und die Pressionen der Roten Zellen (SPIEGEL 26/1971) den Akademischen Senat.
* Zwei Wochen später beantragte die oppositionelle CDU die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen FU-Präsident Rolf Kreibich.
Reform-Gegnern und Reform-Skeptikern, die den Einfluß der Studenten an den Hochschulen zurückdrängen möchten und -- wie etwa SPD-Genosse Alexander Schwan Pläne für die Stärkung staatlicher und professoraler Autorität vorbereiten, kam zustatten, daß sich mit Beginn des Sommersemesters an der Dahlemer Alma mater eine Renaissance studentischer Pressions-Taktiken abzuzeichnen begann.
So schlossen Mitte Mai Mitglieder der Roten Zelle Anglistik (Rotzang) aus Protest gegen obligatorische Lehrveranstaltungen zur englischen Sprachgeschichte den Anglisten Bitterling in seinem Seminarraum ein.
Mitte Juni besetzten Mitglieder der Roten Zelle Historiker (Rotzhist) aus Protest gegen Lücken im Lehrplan das Friedrich-Meinecke-Institut.
Ende Juni schließlich mit dem Go-in bei Professor Schwan, schwappte diese neue Welle auf das Otto-Suhr-Institut über.
Die Verantwortung dafür übernahmen diesmal nicht irgendwelche Roten Zellen, sondern die "Schweinejagd- und Lerneinheiten" (Flugblatt-Text) der "Grundstudienorganisation" (GSO) am Osi -- ein Verband zumeist brachial-sozialistischer Gefühlsmaoisten aus den Anfangssemestern.
Alexander Schwan, Mit-Reformer aus den sechziger Jahren bekam prompt Beifall von den Reformgegnern vom "Bund Freiheit der Wissenschaft"; und die "Welt" applaudierte: "Der Bund Freiheit der Wissenschaft zieht aus dieser Situation den Schluß, daß das zuerst am Otto-Suhr-Institut mit Zustimmung der Hochschullehrer begonnene Experiment "Drittelparität" gescheitert ist.
Auch in der Front der Reformanhänger zeigen sich nun Risse. Professoren wie Hartmut Jäckel und Ossip K. Flechtheim, die sich gemeinsam mit Gesinnungsfreunden zur Gruppe der "Reformsozialisten" zusammengeschlossen haben, stellten gemeinsam mit 13 weiteren Professoren ihre Lehrtätigkeit bis zum Semesterende ein und erwägen zudem den Auszug aus dem Osi-Fachbereich "Politische Wissenschaft".
Die etablierte marxistische Linke, von jüngeren Lehrern wie Elmar Altvater oder Johannes Agnoli repräsentiert, zeigte sich zum erstenmal geneigt, offene Kritik an ihren radikaleren Genossen zu üben.
Altvater: Kampf gegen bürgerliche Wissenschaft bedeute nicht physischen Kampf gegen bürgerliche Lehrer.
Ob freilich Altvaters Rat bei den jungen Osi-Studenten Einsicht bewirkt.
ob die eifernden Jungsemester dem Erhalt des Osi zuliebe künftig auf "Schweinejagden" verzichten werden, ist ungewiß. Denn vielen der Polit-Eleyen ist auch der Marxist Altvater nicht radikal genug.
Sie kritisieren den nach ihrer Ansicht geringen Praxis-Bezug seiner Lehrveranstaltungen und schrieben ihm wie seinesgleichen an die Osi-Tür: "Kampf den Marx-Pfaffen!" Auch die Altvater-Empfehlung, wenigstens die Methoden der "bürgerlichen Wissenschaft" zur Kenntnis zu nehmen, schlugen sie bislang in den Wind: "Bürgerliche" Lehrer besuchen sie einfach nicht.
Professor Hans-Hermanp Hartwich, Reform-Politologe, Sozialist und Vorsitzender des Fachbereichs Politische Wissenschaft, ist gleichwohl noch Optimist. Er führt die Unruhe der Studien-Anfänger auf die Überfüllung des Osi durch mittlerweile rund 2000 Politologen zurück (Kapazität; 450), aber auch auf den Zulauf "von frustrierten Leuten aus den noch nicht reformierten westdeutschen Universitäten und Oberschulen"
Hartwich, hoffnungsvoll: "Auch diese Studenten werden noch begreifen, daß es momentan nicht auf Expansion, sondern auf Verteidigung gegen die Reaktion ankommt"