Wir fordern einen radikalen Kurswechsel

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Markus Bernhardt, Thomas Zmrzly

"Junge Welt"


27.08.2020 / Schwerpunkt / Seite 3 »Wir fordern einen radikalen Kurswechsel« Landtag NRW soll gezwungen werden, sich für »gesunde Krankenhäuser« einzusetzen. Gespräch mit Thomas Zmrzly Markus Bernhardt

Aus aktuellem Anlass: Die Coronapandemie schwebt noch immer über allem. Wie ist diesbezüglich die Situation in den Krankenhäusern in NRW?

Derzeit haben wir genügend freie Kapazitäten, um Menschen, die sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben, zu behandeln.
Trotzdem wäre es natürlich für alle Beteiligten wünschenswert, wenn die auf den Intensivstationen extra freigemachten und nun vorhandenen Plätze nicht benötigt würden.

Bedeutet das, dass das Virus nicht so gefährlich ist wie bisher angenommen?

Nein, das heißt es keineswegs. Das Virus ist gefährlich. Vieles ist bisher noch nicht bekannt bzw. verlässlich erforscht. Das gilt vor allem für mögliche Langzeitschäden.
Ich kann daher nur davor warnen, das Virus zu verharmlosen oder so zu tun, als sei alles bereits überstanden.

Sie sind einer der Organisatoren der Volksinitiative »Für gesunde Krankenhäuser in NRW – für alle!«. Worum geht es da?

Wir fordern einen radikalen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik. Gesundheit darf nicht noch weiter zur Ware verkommen.
Wir brauchen eine wohnortnahe und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung für alle Menschen, die hier leben.
Unabhängig von ihrem jeweiligen Einkommen, ihrer Herkunft oder ihrem offiziellen Aufenthaltsstatus.
Insgesamt fordern wir ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen, das gänzlich ohne Profite auskommt.

Mit dieser Position dürfte Ihnen mindestens Traumtänzertum vorgehalten werden …

Spätestens die Pandemie hat uns allen den Wert der eigenen Gesundheit vor Augen geführt.
Ebenso die Notwendigkeit einer bedarfsgerechten Versorgung.
Insofern halte ich unsere Forderungen keineswegs für ein Hirngespinst.
Wir wollen, dass Patientinnen und Patienten, ihre Selbsthilfeorganisationen, Sozialverbände und Gewerkschaften gemeinsam mit medizinischem Fachpersonal aktiv werden, um die Gesundheitsversorgung vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Und warum mit dem Mittel der Volksinitiative und nicht etwa mit regelmäßigen Protesten?

Weil der Landtag so gezwungen werden kann, sich mit unseren Vorschlägen zu beschäftigen, wenn 0,5 Prozent der Wahlberechtigten in NRW unsere Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützen.
Das sind rund 65.000 Menschen. Ich bin mir sicher, dass wir diese Hürde reißen werden.
Gesundheitsversorgung ist eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge – das hat die übergroße Mehrheit der Menschen klar auf dem Schirm. Im übrigen schließen sich eine Volksinitiative und regelmäßige Proteste keineswegs aus.

Welche Rolle spielen die Beschäftigten in Krankenhäusern bei Ihren Aktivitäten?

Die meisten unserer Aktivistinnen und Aktivisten arbeiten im Gesundheits- und Pflegebereich.
Wir wollen natürlich, dass deren Situation – sprich unterdurchschnittliche Bezahlung, hohe Arbeitsbelastung, Schichtdienste und die sich daraus ergebenden weiteren Probleme – nicht nur thematisiert, sondern vor allem auch behoben wird.
Bei allem Respekt, aber Klatschen alleine reicht eben nicht.
Wir haben doch klar gesehen, was die wirklich systemrelevanten Berufe sind, die unentwegt Dienst an der Allgemeinheit leisten. Manager sind es jedenfalls nicht.

Wie genau werden Sie nach dem heutigen Start Ihrer Initiative weiter vorgehen?

Wir werden nun mit Informationsständen, Kundgebungen, Flashmobs und anderen Aktionsformen auf unser Ansinnen aufmerksam machen.

Sie wollen also nicht nur stumpf Unterschriften sammeln?

Die Sammlung von Unterschriften ist bei einer Volksinitiative natürlich das Kernelement, also keineswegs »stumpf«.
Aber wir wollen mehr unternehmen, ja.
Wir wollen den Druck auf die politischen Entscheidungsträger und die Klinikleiter erhöhen.
Und außerdem eine breite gesellschaftspolitische Debatte über die Frage befördern, wie die Gesundheitsversorgung nach der Pandemie organisiert werden soll
und wie wir das öffentliche Gemeinwohl und die Versorgung stärken können, statt alles zu privatisieren und so zugleich zu verteuern.

Thomas Zmrzly ist examinierter Krankenpfleger, Sprecher des Düsseldorfer »Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus« und einer der Initiatoren der Volksinitiative »Für gesunde Krankenhäuser in NRW – für alle!« 
https://www.jungewelt.de/artikel/385120.volksinitiative-wir-fordern-einen-radikalen-kurswechsel.html