Aussage gegen Aussage

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Aussage gegen Aussage
"Junge Welt" 22.02.2013 / Titel / Seite 1

Neonaziterror: Früherer Vizechef des Thüringer Verfassungsschutzes weist Vorwurf zurück,
seine Behörde habe der Polizei wichtige Informationen vorenthalten
Von Claudia Wangerin

http://anonym.to/?http://www.jungewelt.de/2013/02-22/058.php

Verfassungsschützer a.D. Peter Nocken am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages
Foto: dpa/Rainer Jensen


Gelegentlich heißt es im Volksmund, die Aussage eines Polizisten habe so viel Gewicht wie die Aussagen dreier unbescholtener Bürger. Im Untersuchungsausschuß des am Bundestags zum Terror des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) kam es Donnerstag zum Kräftemessen über die Frage, was die Aussagen von Polizisten wert sind, wenn ein Inlandsgeheimdienst das Gegenteil behauptet. Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) hatten dem Verfassungsschutz vorgeworfen, wichtige Informationen über das 1998 untergetauchte Kerntrio des NSU nicht an die Polizei weitergeleitet zu haben. Der frühere Vizechef des Thüringer Verfassungsschutzes, Peter Nocken, beharrte am Donnerstag darauf, seine Behörde habe das LKA mündlich über eine brisante Quellenmeldung aus einem anderen Bundesland informiert. Der Kontaktmann Jan Werner sollte demnach Waffen für die Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besorgen, um ihnen einen Überfall zur Finanzierung ihrer Ausreise nach Südafrika zu ermöglichen.

Der damalige Leiter des LKA Thüringen, Egon Luthardt, erinnert sich allerdings nicht an diese »persönliche Unterrichtung«, über die es im Untersuchungsbericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer heißt, ihr genauer Inhalt sei »nicht aktenkundig«.

Als Nocken erklärte, es sei zwar aus Quellenschutzgründen ein »Affront« gegen ein anderes Landesamt für Verfassungsschutz, eine solche Information an die Polizei weiterzugeben, aber mündlich habe man dies trotzdem getan, da wurde der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy laut: Die Quellenmeldung, daß die Gesuchten bald Schußwaffen haben könnten, sei »eine Information geben, die für Leib und Leben der bei einer Festnahme eingesetzten Polizeibeamten relevant sein könnte«, betonte Edathy. Auch CDU-Obmann Clemens Binninger und sein Parteifreund Armin Schuster, beide gelernte Polizisten, hakten hier ein. Welchen Nutzen die »Quellen« überhaupt hätten, wenn in so gut wie gar keinem Fall brisante Informationen weitergegeben würden, wollte Binninger wissen. Schuster meinte zu Nocken ironisch, dieser habe seine Abwägung in Sachen Quellenschutz »mutig getroffen«.

Der Verfassungsschützer a.D. beschwichtigte, er wisse zwar die Einzelheiten nicht mehr, sei aber sicher, daß die Information »in geeigneter Form vorgetragen« worden sei. »Das sind doch keine Einzelheiten, Herr Nocken«, betonte Edathy mit Blick auf die mögliche Bewaffnung. Bei der Polizei sei die Nachricht jedenfalls nicht angekommen. »Irgendeine Seite muß ja hier die Unwahrheit sagen«, konstatierte der SPD-Abgeordnete Sönke Rix.

Nocken wies auch den von Zielfahndern geäußerten Verdacht zurück, seine Behörde habe eine schützende Hand über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehalten. »In keinster Art und Weise haben wir mit einem der drei auch nur den geringsten Kontakt gehabt«, sagte er vor dem Untersuchungsausschuß. Dem Zielfahnder Sven Wunderlich warf Nocken vor, dieser habe seinen ausbleibenden Fahndungserfolg in diesem Fall einfach nicht verwinden können und spreche daher seit 2001 von einer schützenden Hand.

Nocken bestritt auch, daß seine Behörde den langjährigen V-Mann Tino Brandt, seinerzeit Anführer der NSU-Brutstätte »Thüringer Heimatschutz«, vor Polizeiaktionen gewarnt habe . Er selbst habe Brandt nicht mal gekannt, sagte Nocken. Auch bei seinen Mitarbeitern sei er sich »sehr sicher«, daß niemand ihn gewarnt habe.