19. Mai 2011 Brief an Angela Merkel

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Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten

Palästinensische Gemeinde Deutschland

Brief an Angela Merkel
19. Mai 2011

Am 16. Mai 2011 schickten die Palästinensische Gemeinde Deutschland
und die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten
einen Brief an Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Westerwelle.

Aus dem Inhalt:
Die jetzt stattfindenden Veränderungen sind eine echte Chance für die Befriedung der Region
und dürfen nicht ungenutzt verstreichen.
Ohne dass die Palästinenser endlich einen eigenen lebensfähigen und unabhängigen Staat bekommen,
wird es keinen Frieden in dieser Region geben.
Ohne Frieden gibt es Krieg und Terrorismus.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister Dr. Westerwelle,

die Meldungen aus dem Nahen und Mittleren Osten überschlagen sich in den letzten Wochen.
Die arabischen Völker – durstig nach Demokratie – bringen einen Diktator nach dem anderen zum Sturz.
Die Palästinenser stellen ihre Einheit wieder her.

Der Wunsch, aber auch der Weg zu Demokratie, Freiheit und Frieden scheint geebnet zu sein.
Die Schaffung eines echten Friedens im Nahen Osten ist von immenser Bedeutung, nicht nur weil es sich um eine Region handelt,
die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft liegt und wirtschaftlich für Deutschland und Europa beträchtliche Bedeutung hat,
sondern auch weil hier die westliche Welt und die islamische Welt zusammenstoßen,
weil hier jede Gewalttat
und jede Ungerechtigkeit weltweite Resonanz findet
und weil die Ernsthaftigkeit des westli­chen Diskurses von Demokratie,
Menschenrechten und Völkerrecht auf dem Prüfstand steht
und bisher diese Prüfung nicht bestanden hat.

Die jetzt stattfindenden Veränderungen sind eine echte Chance für die Befriedung der Region
und dürfen nicht ungenutzt verstreichen.
Ohne dass die Palästinenser endlich einen eigenen lebensfähigen und unabhängigen Staat bekommen,
wird es keinen Frieden in dieser Region geben.
Ohne Frieden gibt es Krieg und Terrorismus.

Der UNO-Beschluss 181 aus dem Jahr 1947 sah die Teilung Palästinas in einen arabischen und in einen jüdischen Teil vor.
Es wurde nicht beschlossen, dass Palästina durch Israel ersetzt wird.
Es wurde auch nicht beschlossen, dass ein unabhängiger palästinensischer Staat
erst durch Verhandlungen oder gar Zustimmung Israels entsteht.
Die Entstehung eines palästinensischen Staates ist eine längst überfällige Selbstverständlichkeit.

Die Palästinenser unter Führung von Mahmud Abbas streben die Ausrufung dieses Staates an.
Ein demokratischer palästinensischer Staat ist ein Eckpfeiler für die Friedenssicherung in der Region.
Diesem die Anerkennung zu verweigern, ist nur Wasser auf die Mühlen von Extre­misten.

Mit Entsetzen stellen wir fest, dass die Bundesregierung,
entgegen der seit Jahren verlauteten offiziellen Position für eine Zwei-Staaten-Lösung,
offensichtlich nunmehr den auszurufenden Palästinensischen Staat nicht anerkennen will.
Die verwendete Begründung der Bundesregie­rung ist, dass Israel dem erst zustimmen soll.

Wir, in Deutschland lebende Juden und Palästinenser, fordern gemeinsam unsere Bundes­regierung auf,
an der bisherigen Position, die auch Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, mehrfach öffentlich erklärt haben,
festzuhalten und den palästinensischen Staat unverzüglich nach seiner Ausrufung anzuerkennen.
Wir haben kein Verständnis für Ihre Haltung, dass ein palästinensischer Staat seitens Deutschlands nur dann anerkannt wird,
wenn dies durch Verhandlungen erreicht wird.
Damit legen Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
das Schicksal der Palästinenser ausschließlich in israelische Hand.

Seit 20 Jahren gibt es Verhandlungen zur Bildung eines unabhängigen lebensfähigen palästinensischen Staates, ohne dass dies bis heute erreicht wurde.
In dieser Zeit wurde das potentzielle palästinensische Staatsgebiet durch israelische Besatzer zersiedelt, entflammte die zweite Intifada, wurde die Trennmauer mitten im potenziellen palästinensischen Staatsgebiet errichtet, und mehrere Kriege brachen aus, die tausenden Menschen das Leben kosteten. Verhandlungen haben bisher keinen Frieden gebracht.
Vielleicht sollte jetzt gehandelt statt verhandelt werden. Der Frieden verdient es, endlich eine Chance zu bekommen.

Mehrere europäische Staaten haben bereits ganz konkrete Schritte
in Vorbereitung zur Anerkennung eines palästinensischen Staates bekundet,
indes nimmt Deutschland über­raschend eine Position ein, die für uns weder nachvollziehbar noch gerechtfertigt ist.
Deutschland wird durch das Abweichen von der bisherigen Position viel an Glaubwürdigkeit verlieren.

Wir sind sowohl Juden als auch Palästinenser, die in Deutschland leben.
Das internationale Ansehen Deutschlands ist auch unser Ansehen.

Der Frieden im Nahen Osten braucht Mut und Entschlossenheit, aber auch unsere Unter­stützung.
Es ist an der Zeit, im Einklang mit den UNO-Beschlüssen neue Wege zu gehen.


Erstunterzeichner:
Dr. Yazid Shammout (Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Hannover)
Prof. Dr. Rolf Verleger (i.A. der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.)
Weitere Unterzeichner:
Dr. Hisham Hammad MdL a.D. (NRW),
Dr. med. Ernest S. Far (Bonn),
Nirit Sommerfeld (Ebersberg),
Sylvia Finzi (Berlin),
Jamila Al-Yousef (Hildesheim),
Palästinensische Gemeinde Paderborn,
Ruth Fruchtman (Berlin),
Erica Fischer (Berlin),
Palästinensische Gemeinde Dortmund,
Michael Fleischhacker (Berlin),
Dr. Kate P. Katzenstein-Leiterer,
Wolf Ehrenberg (Knittlingen),
Palästinensische Gemeinde Deutschland e.V.,
Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V.,
Lorena Atrakzy (Berlin),
Michele (Mike) Gentile, Cinema Jenin e.V.,
Gideon Boss (Remscheid),
Volker Z. Scholz-Goldenberg (Köln),
Dr. Ronit Land (Remscheid),
Tanya Ury (Köln),
Dipl.-Ing. Klaus J. Graf,
Maria Krieger,
Veronika Avraham (Hannover),
Yusef Muzlah (Berlin),
Dagmar Quentin,
Margalith Pozniak,
Dr. Omar Abo Basha,
Daniel Junglas,
Martin Hüneke (Bad Iburg),
Girina Holland,
Ruben Frankenstein (Freiburg),
Ibo Gauter (Kempten),
Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München,
Palästinensische Gemeinde Deutschland – Hannover e. V.