Wer verhinderte Bernie Sanders?
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Wer verhinderte Bernie Sanders? illustrierte Version
Ein Verschwörungstheoretiker stiftet mit antisemitischen Plakaten mitten in Berlin Unfrieden
Neues Deutschland 11. April 2018
Usama Zimmermann unterwegs in Berlin Von Ralf Hutter
Foto: Katia Vasquez Pacheco
Usama Zimmermann sorgt mit seinen wirren Parolen auf den Berliner Straßen für Aufregung.
Es ist verblüffend, wie viel Zustimmung er erfährt.
Nachdem ein jüdisches Mädchen in Berlin von muslimischen Schülern angepöbelt und bedroht wurde, gab es eine hitzige Debatte über religiöses Mobbing an Schulen.
Das verwundert, denn Fachleute weisen schon lange darauf hin, dass Antisemitismus im Grunde bundesweit zum Schulalltag gehört.
Als die Verlegung der USamerikanischen Botschaft in Israel nach Jerusalem im Dezember bekannt wurde,
kam es auch in Berlin zu Protesten dagegen, die teilweise offen antisemitisch waren.
Auch bei diesen Vorfällen war das Entsetzen groß.
Der Bundestag beschloss mittlerweile, einen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen.
Wie gravierend die Lage ist, dürfte aber vielen Menschen immer noch nicht klar sein. Verschwörungsglaube ist längst kein Randphänomen mehr.
Ein schon eine Weile zurückliegendes groteskes Erlebnis zeigt, dass ein Herunterspielen fehl am Platz ist.
An einem sommerlichen Freitag komme ich an der Kreuzung am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof in Berlin-Kreuzberg vorbei
und entdecke auf dem Mittelstreifen der dort beginnenden Wiener Straße einen Mann,
der sich vorne und hinten große Schilder umgehängt hat und ein weiteres, doppelseitig beschriftetes über dem Kopf hält.
Zu lesen sind insgesamt vier Aufschriften: »USA Zionisten wollten in der Türkei putschen wie sie es schon in Ägypten gemacht haben. /
Die Zionisten verbergen sich in dem Geheimdienst darum führen sie den Terror in die Welt. /
Die zionistischen niederländischen und deutschen Staatsanwälte und Rechtsanwälte beteiligten sich am Mord der Ausländer und Psychischen Folter. /
Der zionistische Staat und deutsche und internationale Zionisten terrorisiert die Deutschen, die Ausländer und die ganze Welt.«
Ich gehe zu dem Mann und beginne ein Gespräch.
Nachdem er anfangs mit mir redet, äußert er schon bald seinen Unwillen über unsere Unterhaltung, kann sich dann aber doch nicht zurückhalten.
Aus den wirren Erzählungen,
die ich im Lauf der folgenden Dreiviertelstunde zu hören bekomme
und die der Mann in kaum verständlichem Deutsch auch im Internet verbreitet, lässt sich folgende Zusammenfassung geben:
Usama Zimmermann, so nennt sich der Mann,
ist als ägyptischer Staatsbürger 1986 »illegal«, wie er sagt, nach Amsterdam eingereist.
Dort kam er mit einer jüdischen Frau zusammen.
Kurz vor der Heirat wirft sie ihn jedoch aus der Wohnung. Nur zwei Tage später lernt er seine nächste »Freundin« kennen.
Das gemeinsame Glück können sie aber offenbar nicht lange genießen, weil er schon bald in Abschiebehaft kommt.
Dort, so schreibt er, habe er mitbekommen, wie Wärter einen Marokkaner erwürgten.
Die Justiz habe von dem Vorfall mitbekommen, vertusche ihn laut Zimmermann aber und stelle ihn als Suizid dar.
Seine neue Freundin verspricht ihm einen guten Anwalt, der sich als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde herausstellt.
Zimmermann kommt bald darauf frei und findet jemanden,
der ihm einen Pass fälscht.
Als er das Dokument seiner Freundin zeigt, kommt es zum Streit – weil sie dagegen ist,
dass er sich so ein Bleiberecht verschafft.
Zimmermann schildert, wie es zu einem Gerangel um den Pass kommt, beide fallen zu Boden, die Frau ist tot.
Zimmermann kommt daraufhin zu dem Schluss: Die erste Freundin war eine Zionistin und Bekannte der zweiten Freundin.
Zusammen mit dem Anwalt haben sie ihn reingelegt,
wollten ihn sogar im Gefängnis töten lassen.
Aus seiner verlassenen Wohnung sollen Zionisten Elektrogeräte gestohlen haben.
Zimmermann setzte sich anschließend nach Deutschland ab, wo er,
wahrscheinlich durch Heirat,
seinen deutschen Nachnamen und die Staatsbürgerschaft erhält.
Seiner drei Kinder wegen habe er sich der niederländischen Justiz gestellt, die eng mit der deutschen Justiz zusammenarbeite.
Für den Paranoiker ist auch das ein Beweis, dass überall Zionisten lauern, die seine Familie zerstören wollen.
Das klingt nach sehr viel Unsinn,
aber die Reaktionen auf Zimmermanns Aktion an der Kreuzung lassen befürchten,
dass nicht wenige Menschen die Geschichten glauben.
Einige Passanten drücken Zustimmung zu den Plakaten aus.
Einer von ihnen muss eine Weile direkt neben mir halten, weil es einen Stau gibt.
Durchs offene Autofenster bemerkt er: »Genau. Die Zionisten haben Jugoslawien zerstört.«
Ich frage ihn, wie er darauf kommt, und er antwortet: »Genscher hat damals Kroatien anerkannt, das war das Ende von Jugoslawien.«
Ich: »Ja, aber was haben die Zionisten damit zu tun?«
Er: »Die waren das.«
Ich: »Woher weißt du das?«
Er: »Ich bin Jugoslawe.«
Dann muss er weiterfahren.
Später fährt eine Frau auf dem Fahrrad vorbei, die Zimmermann zuruft:
»Yeah, free Palestine! Endlich spricht mal jemand Klartext!«
Daraufhin ruft einer der beiden kleinen Jungen, die Zimmermann und mich fast die ganze Zeit von einer Bushaltestelle aus beobachtet haben, ebenfalls: »Free Palestine!«
Das ist vielsagend, denn auf Zimmermanns Schildern steht nichts von Palästina.
Wenige Minuten später kommt die Frau zu Fuß zu uns und reicht Zimmermann etwas zu trinken. Sie trägt nun ein Shirt mit der Aufschrift: »Free Palestine«.
Da steht schon die Polizei bei uns. Ich habe ein vorbeifahrendes Polizeiauto angehalten.
Der darin sitzende Beamte, der in der Sache nicht selbst aktiv werden will und im Auto bleibt, hat einen anderen Streifenwagen gerufen.
Während nun zwei andere Polizisten Zimmermanns Aufschriften inspizieren
und die Texte per Telefon an Fachleute vom Landeskriminalamt durchgeben, um zu überprüfen,
ob sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind,
fragt die Frau Zimmermann, ob ich ihn angezeigt hätte.
Ich verneine, aber sie entgegnet sofort: »Haste toll gemacht.
Bist du’n Antideutscher? Ach so, du bist Antideutscher!«
Ich wechsle trotz allem noch ein paar Worte mit Zimmermann.
Da behauptet er zur Untermauerung seiner Ansichten,
am 11. September 2001 seien Tausende Juden nicht zur Arbeit im New Yorker World Trade Center erschienen.
Ich sage: »Das ist eine Lüge, die die Hisbollah in die Welt gesetzt hat.«
Er lacht auf: »Die Hisbollah? Warum sollte die das tun?«
Da schaltet sich die Frau ein.
Das World Trade Center sei nicht wegen der Flugzeuge eingestürzt, sondern ge- sprengt worden.
Hunderte Architekten hätten gesagt, dass die Gebäude nicht so zusammengestürzt wären, wenn es nur an den Flugzeugen gelegen hätte.
Ich entgegne, dass andere Architekten das anders sehen,
aber sie winkt gelangweilt ab – »jedes Kind« wisse, dass die offizielle Version gelogen sei.
Überhaupt, alles Lüge, wie zuletzt im Präsidentschaftswahlkampf in den USA.
Die Vorwahlen seien doch »getürkt« gewesen, damit »Bernie« (Sanders) nicht Präsident wird, ereifert sich die Frau.
Kurz danach geht sie.
Die Polizisten bekommen am Telefon mitgeteilt, dass Zimmermanns Aufschriften von der Meinungsfreiheit gedeckt seien,
erteilen ihm aber einen Platzverweis für die Kreuzung.
Für Zimmermann offenbar kein Problem: »Dann komme ich morgen wie-
»Ein Verfahren gegen Usama Z. wurde unseres Wissens bisher nicht eingeleitet,
auch weil die Staatsanwaltschaft seine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen kann.«
Benjamin Steinitz, Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin
der.« Mir gegenüber werden die Polizisten ungehalten.
Ich folge ihnen zum Auto und frage, ob ich gegen Zimmermann Anzeige erstatten kann.
Der Beamte, der das Wort führt, verneint und entgegnet mir harsch: »Ich bin froh, dass wir in Deutschland noch Meinungsfreiheit haben, auch wenn das manchen Leuten nicht passt!«
Als ich Zimmermann frage, ob er wegen dieser Schilder nicht schon Ärger bekommen habe,
antwortet er, er habe damit schon am Bundestag gestanden.
Zudem hätten ihm an dieser Stelle schon einmal Leute gegen einen Kritiker beigestanden.
Auch ich habe das im Ansatz erlebt.
Als ich mit den beiden Polizisten diskutiere, stellen sich ein paar Männer dazu,
die höhnisch Dinge riefen wie: »Das ist doch Meinungsfreiheit.
Warum darf er das nicht sagen?«
Dennoch: Ich bin nicht alleine.
Zwei Menschen versuchen eine Anzeige bei dem ersten Polizisten zu stellen.
Ein anderer reicht mir während meines langen Gesprächs mit Zimmermann wortlos
(ich hatte den Eindruck, dass er nicht gut Deutsch sprach) Wasser. Und ein Fahrradfahrer, der die Situation sofort erfasst, ruft mir im Vorbeifahren zu: »Einfach auf die Fresse hauen!«
Der vom Berliner Senat und der Amadeu-Antonio-Stiftung geförderten Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) liegen zahlreiche Meldungen zu Zimmermanns Auftritten vor.
Seit 2016 wurde ihr 114-mal seine Aktivität gemeldet, davon über 90 Mal 2017.
Fast die Hälfte der Meldungen kam aus dem Bezirk Mitte, ein knappes Viertel aus Neukölln.
Demnach hat Zimmermann auch zwei Mal Leute angegriffen,
die seine Plakate kritisiert hatten.
Die Polizei nehme aber »nur sehr widerwillig« Anzeigen gegen ihn auf,
sagt RIAS-Leiter Benjamin Steinitz, denn die Plakataufschriften seien nicht strafbar.
Er fügt hinzu: »Ein Verfahren gegen Usama Z. wurde unseres Wissens bisher nicht eingeleitet,
auch weil die Staatsanwaltschaft seine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen kann.«
Dabei habe Zimmermann auf Facebook mehrfach das antisemitische Machwerk »Die Protokolle der Weisen von Zion« beworben.
Zudem suche er sich seine Auftrittsorte gut aus:
Sowohl beim AlQuds-Marsch, bei dem es um die Delegitimierung Israels geht, als auch »direkt neben der Jewish Parade« im Stadtteil Charlottenburg sei er schon gesehen worden.
Im Internet ist Zimmermanns Treiben auch bei anderen Demonstrationen dokumentiert.
Es gibt ein Foto, das auf einem von Zimmermanns Schildern einen polizeilichen Beschlagnahmungsaufkleber zeigt.
Die Polizei möchte aber aus Datenschutzgründen nichts zu seiner Person sagen
und verweist auf die Staatsanwaltschaft.
Der liegt nichts zu Zimmermann vor, weil jegliche Verfahren eingestellt wurden.
Immerhin: Ende Januar ist Zimmermanns Facebook-Seite mit seinem schwer verständlichen Lebensbericht sowie Fotos von eigenen Aktionen und anderen Hetzbildern verschwunden.