Der Großlieferant des rechten Wahns

Aus InRuR

Mo 13.05.1996 Süddeutsche Zeitung Seite 3
Hamburg: Das Verfahren gegen den amerikanischen Neonazi Gary Lauck
Der Großlieferant des rechten Wahns

Jahrzehntelang hat der Hitler-Fan von den USA aus die Szene mit Hetzmaterial eingedeckt -
doch noch ist unsicher, ob ein deutsches Gericht ihn verurteilen kann

Von Michaela Haas

Hamburg, 12. Mai - Die Frage ist diesmal ganz sicher nicht: Was hat der Angeklagte getan?
Selten zuvor hat ein Beschuldigter sich so viel Mühe gegeben, seine Schandtaten weltweit publik zu machen.
Alles liegt offen: Hunderte, ja Tausende von Seiten,
in denen Gary Rex Lauck über sich selbst und das, was er getan hat, deutlich Auskunft gibt.
Daß er dem 'Weltjudentum' den 'totalen Krieg' erklärt,
hat er in zehn Sprachen von Holland bis Rußland verbreiten lassen.
Daß er Politiker liquidieren möchte, druckte er in vieltausendfacher Auflage in seiner Zeitung NS-Kampfruf.
Daß er sich bemühen werde,
ein würdiger Nachfolger Adolf Hitlers zu sein,
auch dessen hat er sich öffentlich gerühmt.
Das alles aber hat er von Amerika aus gemacht,
dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Die Frage ist nun: Darf ein Gericht in Deutschland ihn dafür verurteilen?

Jedenfalls steht dieser amerikanische Neonazi nun vor einem deutschen Gericht.
Die Anklage der Hamburger Staatsanwaltschaft lautet auf
antisemitische Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß,
Aufruf zur Gewalt und Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen.
Wenn der weltgrößte Produzent von NS-Propagandamaterial
in allen Punkten schuldig gesprochen wird, könnte das für ihn 14 Jahre und 11 Monate Haft bedeuten.
Das Urteil im Fall Lauck
könnte zum Exempel für viele Rechtsextremisten im Ausland werden,
darin liegt die Bedeutung und Brisanz dieses Prozesses, der am vergangenen Donnerstag begonnen hat.

Die Tagebücher sprechen

Den Kopf gesenkt, die Lider halb geschlossen,
kauert Gary Lauck auf der Anklagebank,
als ginge ihn das Gericht nichts an.
Meist hält er das Kinn auf die verschränkten Hände gestützt und bohrt beide Daumen in die Kehle.
Hört er überhaupt zu?
Nimmt er Notiz von den mehr als 50 Reportern,
die am ersten Prozeßtag seinetwegen angereist sind?
Oder von dem Dutzend Autonomer und Punks,
die ihn teils neugierig, teils angewidert
vom Zuschauerraum durch das schußsichere Glas hindurch besichtigen?
Es ist, als warteten alle auf einen großen Auftritt,
auf eine Provokation. Doch Lauck schweigt.

Der 43jährige läßt durch seinen Anwalt erklären,
er werde jede Aussage verweigern.
Er halte es für ein Unrecht,
daß ihm überhaupt in diesem Land der Prozeß gemacht werde.
Nur die stämmigen, angespannten Nackenmuskeln,
die der Kragen unter dem Haaransatz freigibt,
verraten die Anstrengung und Verkrampfung,
die ihn diese Selbstbeherrschung kostet.
Wenn er aufsteht oder sich setzt,
bewegt er sich steif, zu ungelenk
für seine 1,95 Meter Körpergröße und 119 Kilogramm Gewicht.
Der blaugraue Einreiher, ein bißchen zu knapp geraten,
spannt um den massigen Rücken und die Oberarme.
Hanteln stemmend hat er sich in der Haft fit gehalten.
Lauck riskiert keinen Blick nach links oder rechts.
Er versinkt in sich selbst.

Statt dessen wird die Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg zu seinem Sprachrohr.
Stunde um Stunde lesen die beiden Schöffinnen
aus seinen Aufzeichnungen,
fast intimen Tagebüchern,
die er in Dänemark anfertigte,
während er auf seine Auslieferung nach Deutschland wartete.
In ihnen verschwimmen 'die schlanken Beine der hübschen Angestellten des Hotels' -
gemeint ist das Gefängnis - mit dem Pornoplakat an der Zellenwand; die antisemitischen Rassenbelehrungen der SS
mit der geplanten 'Weltoffensive';
alles bündelt sich zu größenwahnsinnigen Phantasien.
'Sie sind ein Filmstern', habe einer im Gefängnis zu ihm gesagt,
manchmal seien ihm 'Sieg- Heil!'-Rufe in seiner Zelle entgegengeschallt -
und Lauck saugt alles dankbar auf,
notiert es, gierig danach,
in seinem grandiosen Selbstbildnis bestätigt zu werden.
Diese Notizen offenbaren seine Träume,
Deutschland in einen 'wunderschönen Hakenkreuz-Garten umzuwandeln',
und dazu den viel größeren Traum:
Daß den Schulkindern einmal sein Name 'gelehrt werden soll'.

Lauck weist beharrlich auf deutsche Vorfahren in seiner Familie hin.
Er wäre gerne deutsch,
mehr noch, 'ein Superdeutscher'.
So gerne, daß sich Gary als Gerhard anreden läßt.
Aufgewachsen in einer Atmosphäre der Gewalt,
mit einem Vater, den er 'Sklavenherrn' nennt,
las er bereits mit 13 'Mein Kampf';
mit 19 gründete er die in Deutschland illegale NSDAP/AO,
die 'Auslandsorganisation' der 'Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands' in Lincoln, Nebraska, USA.
Hitler, Röhm und Heß ernannte er zu Ehrenmitgliedern.
Oftmals ließ er sich in Posen photographieren, die denen Hitlers bis ins Detail gleichen: das dunkelbraune Oberlippenbärtchen, das er auch jetzt noch trägt, akkurat gestutzt,
den Seitenscheitel ein wenig tiefer ins Gesicht gezogen als heute,
die Hakenkreuzbinde am Arm.
Daß er nun, wie einst sein Vorbild,
in einem deutschen Gefängnis in Haft sitzt,
scheint fast als konsequente Fortsetzung seines Wahns,
Hitler bis ins letzte zu kopieren.
Nicht 'Mein Kampf' hat Lauck seine Aufzeichnungen genannt,
sondern 'Operation Brandübung'.
Aber die Formulierungen gleichen sich aufs Wort.

Das Simon Wiesenthal Center
stuft Gary Rex Lauck als einen der 'gefährlichsten Neonazis der Welt' ein,
der Verfassungsschutz hält ihn mittlerweile für weniger bedeutend,
obwohl Deutschland zum Hauptverbreitungsgebiet von Laucks Hetzpropaganda zählt.
Denn von vielen Gesinnungsgenossen wird Lauck schlichtweg belächelt.
Sogar den Ewiggestrigen galt er als zurückgeblieben,
weil er, so sagt es ein ehemaliger Weggenosse,
'immer nur vom Dritten Reich sprach und nie von heute'.
Zwei ehemalige V- Leute, Michael Wobbe und Peter Schulz,
die unter den Decknamen 'Rehkopf' und 'Fraga'
jahrelang die militante Neonazi- Szene für den Verfassungsschutz ausspioniert haben,
beschreiben Lauck unabhängig voneinander
beinahe wortgleich als 'in der persönlichen Begegnung
sehr unscheinbar und sehr rechthaberisch.
Er ließ den Führer raushängen,
aber das nahm ihm keiner ab.
Alle dachten: ,Das ist ein Spinner.
Der 24 Jahre alte Wobbe und der 23 Jahre alte Schulz
waren beide in ihrer aktiven Zeit
'Party Officer' der NSDAP/AO und Abonnenten des Kampfrufs.

Inspiriert von den Anleitungen der NSDAP,
baute Schulz alias 'Fraga',
damals Kreisvorsitzender der Republikaner,
mit einem Dutzend junger Rechtsradikaler
ein Wehrsportkader auf.
Schulz empfand es als 'durchaus aufputschend',
Mitglied einer Partei zu sein,
'die es vor über 50 Jahren schon gegeben hat'.
Vielleicht deshalb seien fast alle führenden Neonazis NSDAP-Mitglieder gewesen,
fügt Wobbe hinzu,
angefangen von dem mittlerweile verstorbenen Michael Kühnen,
über den Berliner Arnulf Priem,
den in rechtsextremen Kreisen populären Liedermacher Frank Rennicke
und den Österreicher Gottfried Küssel
bis hin zu Harald Neubauer,
dem früheren stellvertretenden Republikaner-Vorsitzenden.

'Das lief nach dem Zellenprinzip,
keiner wußte von den anderen,
alle hielten direkt Kontakt zur Zentrale in Amerika.'
Doch die geheime Kommandozentrale der deutschen Neonazi-Szene
sei die NSDAP/AO nie gewesen, sagt Wobbe,
nur der größte Nachschublieferant -
nicht mehr und nicht weniger.
Bei Lauck habe man 'einfach alles' bestellen können:
Nazi-Filme wie 'Der ewige Jude', Hitlers 'Mein Kampf',
Anleitungen zum Bombenbasteln
und, vor allem, verbotene Hakenkreuz-Aufkleber und Plakate.
'Ausländer-raus'-Aufkleber,
das hat ja schon die NPD gedruckt', sagt Wobbe,
der für die Nationalistische Front neue Mitglieder warb,
'aber die Aufkleber ,Die Juden sind unser Unglück'
oder ,Bin gleich zurück' und darüber das Hakenkreuz, das war eben geil.
Je verbotener, desto reizvoller.
Da kam man mit den Jugendlichen ins Gespräch.'
Dennoch seien viele aus Angst
nicht Mitglied der NSDAP/AO geworden,
denn 'wer sich dort registrieren ließ,
wußte, daß er gleichzeitig beim BKA und beim FBI registriert wird'.

Tatsächlich wurden Laucks Telephonate nach Deutschland abgehört,
viele seiner Pakete mit dem Tarnabsender
'Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr' abgefangen.
Gegen mehr als hundert Besteller
laufen derzeit Ermittlungsverfahren,
die Antifa-Mitglieder im Zuschauerraum schreiben fleißig die Empfängeradressen mit.
Laucks Verteidiger, der Frankfurter Hans-Otto Sieg,
bastelt genau daraus seine Strategie:
'Die müssen ihm bei jedem Päckchen nachweisen,
daß er davon gewußt hat.
Alles, was er gemacht hat, ist in Amerika legal.
Wird Lauck verurteilt -
und selbst sein Anwalt rechnet nicht mit einem Freispruch -,
wird dieser Prozeß Konsequenzen haben:
als eine Versuchsanordnung für viele weitere.

Im sicheren Ausland

Seitdem fast alle namhaften rechtsextremen Gruppierungen in Deutschland verboten wurden,
haben viele ihre Aktivitäten in Länder mit liberaleren Gesetzen verlagert.
Meinolf Schönborn beispielsweise agitierte jahrelang
von Dänemark aus seine Gesinnungsgenossen von der Nationalistischen Front.
Der greise Auschwitz-Leugner Thies Christophersen findet seit Jahren in Skandinavien Exil,
Laucks Kollege Ernst Zündel fabriziert seine revisionistischen Hetzpostillen in Kanada.
Und der Rechtsanwalt Jürgen Rieger, als Verteidiger zahlreicher deutscher Neonazis
eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene,
will seinen Wohnsitz von Hamburg nach Schweden verlegen.
In seinem riesigen neuen Schloß,
so argwöhnen Beobachter,
sei genügend Platz für jene militanten Aktivitäten,
die ihm in Deutschland verwehrt werden.
Bisher haben skandinavische Länder
fast immer die Auslieferung nach Deutschland verweigert,
zu hoch galt ihnen das Gut der Meinungsfreiheit,
auch mit Dänemark rang die Staatsanwaltschaft ein halbes Jahr um Lauck -
trotz internationalen Haftbefehls.

Kein Wunder also, daß rechtsextreme Netzwerke
wie die 'nationalen Info-Telephone' zur Solidarität mit Lauck aufrufen:
'Angeklagt ist Gerhard Lauck,
doch gemeint sind wir alle',
tönt eine männliche Stimme unter der Nummer 0211745065.
'Kommt alle zum Prozeß-Auftakt am 9. Mai! Heil Deutschland!'
Doch das Tonband bietet vergeblich Busse nach Hamburg an.
Der angekündigte Neonazi- Aufmarsch bleibt aus.
Oder wollen Laucks Gesinnungsgenossen
sich nur nicht in der Öffentlichkeit zeigen?

V-Mann Fraga hatte im Zuge der Ermittlungen
sein Wissen über Lauck der Polizei zu Protokoll gegeben.
Jetzt ermittelt die Polizei wieder:
wegen Brandstiftung.
Vier Tage vor dem Prozeßauftakt, am Montag letzter Woche,
brannte das Haus des V-Manns Fraga bis auf die Grundmauern ab.
'Wäre ich zu Hause gewesen', sagt er,
'hätte ich keine Chance gehabt zu überleben.'

Textergänzung:

Bildunterschriften:TRAUM VOM 'Hakenkreuz-Garten' Deutschland: Gary Lauck,
der wüsteste Propagandist der Neonazis,
steht nun in Hamburg vor Gericht.
Photo: Leroy/Sipa