Gesinnungs-TÜV im Sport Von Claudia Wangerin

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08.08.2012 / Titel / Seite 1
Gesinnungs-TÜV im Sport
Von Claudia Wangerin
http://anonym.to/?http://www.jungewelt.de/2012/08-08/057.php
(wird nach kurzer Zeit kostenpflichtig - daher hier die Vollcopie)

Die Flagge, die sauber bleiben soll, bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in London
Foto: Markus Gilliar/GES-Sportfoto

Das Bundesinnenministerium erwägt, ein Bekenntnis gegen »Extremismus« 
zur Bedingung für die Vergabe von Sportfördergeldern zu machen.
Das Ressort prüfe, Spitzensportlern und ihren Verbänden in Zukunft eine »Extremismusklausel« vorzulegen,
berichtete die Leipziger Volkszeitung am Dienstag unter Berufung auf das Ministerium.
Zunächst hieß es, Hintergrund sei der Fall der Ruderin Nadja Drygalla,
deren private Beziehung zu einem Neonazi während der olympischen Spiele der breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden war –
»ein bisher nicht vorstellbarer Extremfall«, der zum Nachdenken angeregt habe.
Später sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage,
die Überlegung sei nicht neu und habe nichts mit dem Fall Drygalla zu tun.

An einer »Extremismusklausel«, die sich das Familienministerium bei Vergabe von Fördergeldern unterschreiben läßt,
üben potentiell betroffene antifaschistische Initiativen Kritik –
zumal die Empfänger der Fördermittel bestätigen sollen,
dafür Sorge zu tragen, daß ihre Projektpartner sich ebenfalls der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichten.
Das Verwaltungsgericht Dresden hatte die Klausel im April für rechtswidrig erklärt.
Es sei unklar, wer »Partner« sei und welches Verhalten vom betroffenen Verein erwartet werde.

Den aktuellen Anlaß für die Diskussion um eine ähnliche Klausel für die Sportförderung
lieferte das antifaschistische Internetportal »Kombinat Fortschritt«.
Am vergangenen Mittwoch war dort ein Artikel erschienen,
der die Liaison der Rostocker Spitzensportlerin mit dem Neonazi Michael Fischer thematisierte,
der 2011 bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern für die NPD kandidiert hatte.
Er galt zudem als Anführer der »Nationalen Sozialisten Rostock«.
Massenmedien griffen dies auf und nannten das Portal als Quelle.
Damit konfrontiert verließ Drygalla am vergangenen Donnerstag das olympische Dorf in London.

Was Diskutanten in linken Online-Medien zunächst feierten,
erwies sich spätestens mit der Debatte um die neue Extremismusklausel als Lackmustest für Linke,
die sich für Datenschutz stark machen und die juristische Unschuldsvermutung hochhalten.

Drygalla hatte sich am Sonntag in einem Interview von rechtsextremer Ideologie distanziert
und erklärt, das Thema sei Anlaß für die Überlegung gewesen, sich von ihrem Freund zu trennen.
Fischer sei aber im Mai aus der NPD ausgetreten – was dieser kurz darauf bestätigte.
Während die Glaubwürdigkeit seines »Ausstiegs« aus der Szene
aufgrund verschiedener Indizien angezweifelt wird,
plädieren Politiker dafür, Drygalla nicht für Fischers Gesinnung haftbar zu machen.
Vor einer »Hexenjagd« auf die 23jährige warnte am Dienstag der SPD-Innenexperte und Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Neonaziterror, Sebastian Edathy.
Wenn Drygalla nicht selbst in der rechtsextremen Szene agiere,
sei es eine Privatangelegenheit,
mit wem sie liiert sei, sagte Edathy am Dienstag im Deutschlandfunk.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sagte am Dienstag in Schwerin:
»Wir sind der Meinung, daß eine Beziehung alleine nicht reicht,
sondern daß es auf den Menschen selbst ankommt, was er getan hat.« 
Die Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes, Christa Thiel,
hatte sich zuvor gegen »Inspektionen des privaten Umfeldes« der Athleten ausgesprochen.