Hier die Schlauen, da die Dummen
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Hier die Schlauen, da die Dummen?
Jan Rathje über Verschwörungstheorien,
Feindbilder und falsche Selbstwahrnehmungen
Neues Deutschland 29.10.2015
Es läuft nicht so, wie es soll.
Wer die Strippen zieht, ist leider nicht klar auszumachen.
Foto: 123rf/akz
Herr Rathje, waren Sie selbst einmal Fan von Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien sind in mein Leben getreten
mit Robert Anton Wilsons und Robert Sheas Romantrilogie »Illuminatus«.
Das Werk behandelt riesige Weltverschwörungserzählungen und Anarchisten, die dagegensteuern.
Das fand ich damals als junger Mensch sehr interessant.
Zur Person
privat
In der vergangenen Woche veröffentlichte
die Amadeu-Antonio-Stiftung eine neue Broschüre
zum Umgang mit Verschwörungsideologien:
»No World Order – Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären«.
Sebastian Loschert sprach mit dem Autoren der Studie,
dem Stiftungsmitarbeiter und Politikwissenschaftler Jan Rathje.
Ohnehin dürfte es schwierig sein,
ganz ohne Verschwörungsdenken auszukommen, oder?
Ja, das denke ich auch.
Gerade wenn man sich anschaut, woraus diese Art des Denkens resultiert.
Ich würde die These vertreten,
dass die Gesellschaft selbst, wie sie funktioniert,
eine Form von Verschwörungsdenken in den Menschen anregt, den Schein erzeugt,
dass hinter den Kulissen Menschen an Fäden ziehen
und sich dann bestimmte Sachen in der Welt ereignen.
In der Broschüre ist von »Verschwörungsideologie« die Rede.
Warum nicht Verschwörungstheorie?
Ich denke, es wäre falsch, von Theorien zu sprechen,
weil eine Falsifizierbarkeit dieser Verschwörungserzählungen häufig nicht gewollt ist.
Deshalb mache ich den Begriff der Ideologie stark.
Auch weil er auf mögliche Ursprünge von diesem Verschwörungsdenken hinweist:
Ideologie als notwendig falsches Bewusstsein
verweist auf eine Gesellschaft,
die eine solche Form von Denken befördert und immer wieder reproduziert.
Gibt es richtige Verschwörungstheorien?
Verschwörungen existieren, das ist evident,
in der Geschichte finden sich verschiedene Beispiele für Verschwörungen -
auch wenn sie nicht immer genau das bezweckt haben,
was ursprünglich geplant war.
Es gibt ja auch die durchaus legitime Verschwörungshypothese,
also die Annahme, dass irgendwo eine Verschwörung stattgefunden hat.
Solange sie sich falsifizieren lässt,
also solange Gegenbeweise akzeptiert werden,
dann ist das im Bereich des demokratischen Meinungsspektrums.
Schwierig wird es, wenn sich die Hypothese
zu einer Ideologie verhärtet
und sie sich gegen ihre Widerlegung immunisiert.
Gab es bestimmte Ereignisse, die zur Herausgabe der Broschüre motiviert haben?
Einmal sind im Zuge der aufkommenden Montagsmahnwachen für den Frieden
Reichsideologinnen und Reichsideologen stärker sichtbar geworden.
Zweitens gibt es in der Pegida-Bewegung
diese Vorwürfe gegen »Volksverräter« und »Lügenpresse«.
Diese Ereignisse haben dazu geführt,
dass die Stiftung beschlossen hat,
diesen Bereich der Verschwörungsideologien und Antisemitismus näher zu beleuchten.
Vor circa anderthalb Jahren habe ich schon eine Broschüre
zum Themenkomplex »Reichsideologie« geschrieben
und in gewisser Weise schließt diese Broschüre jetzt daran an.
Sind »Lügenpresse« und »Volksverräter« überhaupt verschwörungsideologisch gemeint,
oder können das nicht auch Kampfbegriffe sein,
die zum Beispiel rassistisch motiviert sind?
Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen,
sondern da steckt beides drin.
Und zwar vermittelt durch Identitätskonstruktionen.
Also wenn die gesamte Presse als »Lügenpresse«
oder die Politikerinnen und Politiker als »Volksverräter« bezeichnet werden,
dann konstruiert man damit ein bestimmtes Feindbild
und gleichzeitig auch ein positives Selbstbild.
Gerade bei dem Vorwurf der »Lügenpresse« geht’s ja darum, dass eine Mehrheit,
zu der man sich zählt, manipuliert würde.
Die Freund- und Feindbilder bieten Anknüpfungspunkte
für eine rassistische Komponente,
aber auch zum Populismus,
wo klare Grenzen
zwischen »denen da oben«
und »wir hier unten« aufgemacht werden.
In den letzten Jahren
hört man immer mehr von Verschwörungsideologien -
parallel zum Aufstieg des Internets.
Ist das Internet also das Problem?
Nein, das Internet ist ein Medium wie jedes andere.
Es hat aber den Vorteil, dass jede Person nicht nur empfangen, sondern auch senden kann.
Also macht das Internet Wissen zum einen leichter verfügbar, abrufbar, auch in der Provinz.
Und gleichzeitig kann man es teilen und weiterverbreiten,
die Menschen können ihre Meinung in Blogs und sozialen Netzwerken kundtun.
Das machte Verschwörungsdenken in den letzten zehn, 15 Jahren auf jeden Fall sichtbarer.
Das Problematische dabei ist, dass Leute sich in sozialen Netzwerken isolieren können
und keine Kritik mehr an sich heranlassen,
sich verschließen in eigenen Gruppen, die nur noch die eigene Meinung widerspiegeln.
Man bestätigt sich in diesen Echokammern eigentlich immer nur selbst.
Das ist ein Teil des Problems von Verschwörungsideologien im Internet.
Warum sperren sich Menschen so komplett gegenüber Gegenbeweisen und rationalen Argumenten?
In der Wissenschaft werden drei Ursachen genannt, warum Menschen dieses Verschwörungsdenken ausbilden.
Zum einen, auf der individuellen Ebene,
bilden manche Menschen im Zuge ihrer frühkindlichen Erziehung eine Art Verschwörungsmentalität aus.
Ein wichtiger Teil davon ist der Glaube, dass das Böse in der Welt existiert.
Diese Menschen sind später leichter anfällig für Verschwörungsdenken.
Dann gibt es noch gesellschaftliche Ursachen.
Große Krisen und andere Umbrüche gesellschaftlicher Art
lösen in den Menschen die Frage nach einer Erklärung für diese Vorgänge aus,
besonders, wenn dies mit einem starken Wandel des eigenen Wertesystems verbunden sind.
Dann gibt es eine politische Dimension:
Es braucht auch Leute, die die Propaganda betreiben,
die agitieren, die auf die Straße gehen, das Schild hochhalten.
Im Zeitalter des Internets, wo jeder und jede senden kann, kann auch jeder und jede zur Agitatorin oder zum Agitator werden.
In Ihrer Broschüre legen Sie einen Schwerpunkt auf Antisemitismus.
Sind Verschwörungsideologien immer antisemitisch? Es wurden in der Geschichte auch Freimaurer, Jesuiten oder Hexen bezichtigt.
Ich würde nicht sagen, dass jede Verschwörungserzählung notwendigerweise antisemitisch sein muss.
Ein Problem ist allerdings, dass sowohl der Antisemitismus als auch das Verschwörungsdenken,
sobald sie auf einer Welterzählungsebene angekommen sind, die gleiche Funktion erfüllen.
Beide geben vor zu erklären, wie die gesamte Welt funktioniert.
Und im modernen Antisemitismus wird ein Bild vom »Juden« als Verschwörer, Vergifter, Weltstrippenzieher gezeichnet -
und zwar sowohl als Finanzkapitalisten als auch als Antikapitalisten oder Kommunisten.
Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein fiktives Dokument,
aber es ist gleichzeitig die Blaupause
für alle großen Weltverschwörungserzählungen geworden.
Ich würde sagen, es besteht immer eine große Nähe zwischen beiden.
Am morgigen Freitag findet in Berlin die Verleihung des »Goldenen Aluhuts« statt.
Esoteriker und Verschwörungsideologen sind ja teilweise durchaus sehr komisch.
Sollte man die als Witzfiguren abtun, ist das die richtige Strategie?
Als alleinige Strategie würde ich die Satire nicht empfehlen.
Das Problem an der satirischen Auseinandersetzung ist,
dass Verschwörungsideologen keinen Spaß verstehen, man erreicht sie damit nicht.
So wurde der Fake vom sogenannten »Antifa e.V.« in verschwörungsideologischen Kreisen geglaubt.
Und selbst als der Fake aufgedeckt wurde,
haben diese Leute gesagt:
»Ihr musstet das als Satire verpacken, damit wir nicht aufdecken,
dass ›die Antifa‹ in Wirklichkeit vom Staat gekauft ist.«
Zweitens tut man mit diesen Scherzen so, als sei es ein Problem am Rand der Gesellschaft
und als würde dieses Denken nicht auch in seiner Mitte existieren.
Oftmals wird ein simples verschwörungsideologisches Schwarz-Weiß-Schema einfach umgedreht:
Wir sind die Schlauen, ihr seid die Dummen.
Und so einfach ist es dann doch nicht.
Hilft argumentieren überhaupt?
Das kommt darauf an, an wen man sich wendet.
Ich glaube nicht, dass das eine Wirkung entfalten kann bei Leuten,
die schon ein geschlossenes Weltbild ausgebildet haben.
Da muss der Zweifel an anderer Stelle gesät werden, vielleicht aus dem persönlichen Umfeld dieser Person kommen.
Man darf nicht vergessen, dass Verschwörungsideologien auch eine Funktion der Identitätsbildung haben.
Die Menschen glauben das nicht nur, weil ihnen das logisch erscheint
oder weil die Faktenlage eine bestimmte ist,
sondern weil es ihnen auch das Gefühl gibt,
zu den Guten zu gehören.
Dieses positive Selbstbild kann nicht angegriffen werden, indem man sagt:
Aber die Flugzeuge sind in das Gebäude geflogen, wir haben folgende Beweise und Dokumente.
In der jüngsten Zeit gab es Ereignisse in der Politik, die Verschwörungsdenken beförderten.
Stimmt.
Dazu gehört etwa das, was sich um Edward Snowden, den NSA- oder auch den BND-Abhörskandal dreht.
Das gesamte Handeln von Geheimdiensten basiert darauf, Informationen im Geheimen zu streuen.
Es gibt diese Tendenzen.
Aber es bleibt festzuhalten:
Es gibt nicht einen großen Masterplan, nach dem die gesamte Welt umgestaltet werden soll.
Gesellschaftliches Handeln ist so komplex, dass eine Zentralsteuerung überhaupt nicht stattfinden kann.
Broschüre zum Umgang mit antisemitischen Verschwörungstheorien PDF