Im Gleichschritt marsch - durch die FDP
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09.12.1994 Süddeutsche Zeitung Seite 17 Seite 3
Im Gleichschritt marsch - durch die FDP
Die Liberalen in Berlin können nicht mehr verhehlen, daß ihre Partei
offenbar systematisch von jungen Rechten unterwandert wird
Von Evelyn Roll
Berlin, 8. Dezember - Gerne spricht Michael Tolksdorf ja nicht darüber.
Der Professor ist ein nicht ganz unbedeutender Mann in der Berliner FDP.
Er ist Vorsitzender des gewichtigen Bezirksverbandes Reinickendorf und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.
Und wenn die Berliner FDP wie in diesen aufgeregten Tagen vor dem Bundesparteitag in Gera wieder einmal mit der Arbeitsteilung des Landesvorsitzenden und Bundeswirtschaftsministers hadert, gehört der Name Tolksdorf sogar in rechten Kungelkreisen zu denen, die als Alternative zu Günter Rexrodt genannt werden.
Das macht die Sache für Tolksdorf nicht einfacher.
'Aber wenn ich schon gefragt werde, bin ich auch nicht länger bereit, wissentlich die Unwahrheit zu sagen.'
Die Wahrheit ist: Seit einem Jahr geschieht in einem der drei Reinickendorfer Ortsverbände eine wundersame Mitgliedervermehrung.
Fast 50 Mitglieder sind in Frohnau/Heiligensee neu dazu gekommen.
Und wer meint, daß ein Bezirksvorsitzender einer Partei, der auch in Berlin Mitglieder und Wähler in Scharen davongelaufen sind, sich doch da eigentlich freuen müßte, der muß sich diese wundersame Vermehrung einmal genauer anschauen.
'Das geht aus von Leuten, die ich zwischen Republikanern und CDU- Rechtsaußen ansiedeln würde, mit Reichskriegsflagge, Fremdenhaß und allem was dazugehört', sagt Tolksdorf.
Erst übernähmen die einen Ortsverein, von dort aus den Bezirk - schließlich die gesamte Berliner FDP? In Tempelhof sei es ihnen schon gelungen . . .
Als Carola von Braun 'diese Leute' zum ersten Mal in Tempelhof sah, dachte sie, 'mich trifft der Schlag oder ich bin in einem Film von 1933: ganz junge Männer mit ganz kurzen Haaren, die da im Gleichschritt aufmarschierten'.
Keine Diskussionen, keine Wortmeldung habe es gegeben, immer nur gemeinsame Abstimmungen und frenetischen Beifall, wenn einer aus der Führung sprach.
'In Horden treten die auf. Man sieht im Geist die Uniform. Alles was denen noch fehlt, ist so einer wie Haider. Dann marschieren die . . .' Carola von Braun erzählt, wie einer von denen aufgestanden sei und zackig gemeldet habe: 'Es ist mir eine Ehre, Herrn Gröbig für die Position des Bezirksvorsitzenden vorzuschlagen.'
Als immer mehr Mitglieder dieser Sorte in Tempelhof eingetreten waren, wurde Herr Gröbig, Klaus Gröbig, Vorsitzender und sein Freund Torsten Witt Sprecher des FDP-Bezirksverbandes.
Die beiden hatten schon einmal bundesweit Schlagzeilen gemacht, als es ihnen 1991 für kurze Zeit gelungen war, die Berliner Jugendorganisation der FDP rechts umzudrehen.
Die Zukunft, eine Zeitschrift der damaligen Berliner Julis, sah so aus: Grußwort und Konterfei von Jörg Haider, das quergestellte Logo der FPÖ im Briefpapier der Redaktion und Artikel von K. G. (wie Klaus Gröbig), in denen etwa über die 'linke' Schauspielerin Vera Tschechowa zu lesen war: 'Frau Tschechowa malt sich die Augenbrauen extrem schräger, als eigentlich von der Natur vorgegeben und ist furchtbar stolz darauf, daß sie so kein bißchen germanisch, pfui Spinne, sondern so richtig schön slawisch aussieht.'
'Die sind wie Watte'
Heute ist Gröbig zu alt für die Julis, aber offenbar nicht zu rechts für die Berliner FDP.
Torsten Witt war freier Mitarbeiter der Rechtsaußen-Zeitung Junge Freiheit.
Witt ist Vorsitzender des Verbandes Junger Journalisten Berlin- Brandenburg.
Zu Beginn dieses Jahres trat mit Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) das Kuratorium des Verbandes wegen Witts Kontakten zur rechtsextremen Szene zurück.
Wird nach Tempelhof jetzt auch Reinickendorf umgedreht?
Offenbar ist es schwierig, aus der FDP jemanden aus inhaltlichen Gründen auszuschließen.
Sogar die Linken in der Partei sind dagegen und sagen: Heute sind es die und morgen möglicherweise wir. Außerdem, sagt Tolksdorf, könne man nur schwer beweisen, daß es sich um Rechtsextreme handelt: 'Die kommen ja nicht hierher und sagen, guten Tag, wir sind von der Wiking Jugend und wollen die Berliner FDP umdrehen.
Die bleiben unsichtbar, wie Watte, sind nie da, diskutieren nie mit, verändern nur die Mehrheiten.
Einige sind vielleicht auch instrumentalisiert und wissen gar nicht, was mit ihnen geschieht.' Viel weniger vorsichtig formuliert die frühere FDP-Landesvorsitzende Carola von Braun, die seit ihrem Rücktritt von allen Ämtern nach der 'Figaro-Affäre' möglicherweise auch viel weniger zu verlieren hat: 'Das ist eine rechtsradikale Truppe, die nicht in die Partei gehört.'
Die Berliner FDP kennt das Domizil- Prinzip nicht.
Wer unbedingt in Frohnau mitarbeiten - oder auch nur mitstimmen - will, kann in Frohnau eintreten, auch wenn er in Neukölln wohnt.
Nur wer ganz neu in die Partei eintritt, wird vom Bezirksvorsitzenden geprüft.
Also kann zum Beispiel einer am 2. Mai in Tempelhof in die FDP eintreten und am 3. Mai nach Frohnau wechseln.
Professor Tolksdorf nennt das 'Mitgliederverschiebung per Lastwagendemokratie' und 'Metastasenbildung außerhalb von Tempelhof'.
Der Berliner Abgeordnete und Frohnauer Bundestagskandidat Peter Tiedt sagt: 'Da werden Leute systematisch reingeholt, um die Partei zu verändern.
Der Landesvorstand läßt sich die Partei unterm Hintern umdrehen.
' Die Methode der 'Übernahme ohne Diskussion' finden in der Berliner FDP offenbar sogar diejenigen nicht in Ordnung, die von den neuen Mehrheiten profitieren könnten.
Unter vier Augen würden auch Alexander von Stahl und Wolfgang Mleczkowski, die Mitverfasser des rechtslastigen 'Berliner Manifests' zugeben, daß sie das Vorgehen 'dieser Leute' ganz furchtbar finden, sagt der neue Vorsitzende der Berliner Julis, Bernd Kämpfer.
Gegenüber der SZ ist man da allerdings vorsichtiger.
Der Berliner Abgeordnete Mleczkowski, der einzige unter den Verfassern des Papiers, der eine offizielle Funktion oder ein Mandat in der FDP hat, sagt, er habe von dem Problem der Mitgliederverschiebung sehr wohl gehört, könne aber dazu nichts sagen, weil er die Leute nicht kenne. 'Die treten ja nicht auf.'
Er finde es aber 'in jedem Falle besser, die politische Streitkultur zu bemühen, wie wir das getan haben, als durch reine Mitgliederwerbung Mehrheiten zu verändern'. Carola von Braun meint dazu: 'Klar, die sagen schon, das ist igittigitt. Aber die Stimmen würden sie nehmen.'
'Die FDP ist eine sturmreife Bastion', sagt der Abgeordnete Tiedt. 'Da gibt es eine Struktur, ein liberales Mäntelchen und ein Einfallstor für neue Rechte.
Die haben ja bei den Republikanern gesehen, wie schwierig es ist, als eigenständige Partei auf die Füße zu kommen.'
Noch nennt der Bundesvorsitzende Rechtsaußenpositionen, wie sie im 'Berliner Manifest' artikuliert werden 'totalen Quatsch'.
Noch lehnt der Berliner Landesverband der FDP das rechte Papier mehrheitlich ab.
Warum aber unternimmt niemand etwas gegen die rechte Unterwanderung? 'Rexrodt könnte mit dem Gewicht seiner Person was machen.
Der hält sich aber zurück und engagiert sich nicht', sagt Tolksdorf.
Und in der Kantine des Abgeordnetenhauses wird getratscht, daß Gröbig in rechten Kreisen stolz erzählt, den Landesverband der FDP bald fest in der Hand zu haben. 'Offenbar brauchen Sie nur 500 Mark, um die Berliner FDP zu kaufen', sagt Carola von Braun und spielt damit auf nicht zu klärende Vorwürfe an, ein Sponsor würde die Beiträge der vielen neuen Mitglieder übernehmen.
Alles Verleumdung?
Gröbig nennt das alles 'eine üble Verleumdung'.
Seine Rolle werde 'maßlos überschätzt', und Mitgliederwerbung sei in diesen schlechten Zeiten doch etwas Gutes. Und seine Leute? 'Wir treten doch eigentlich nirgendwo auf', sagt er. In der Jungen Freiheit vom 4. November, in der jetzt nicht mehr Torsten Witt, sondern Torsten Hinz schreibt, werden die Leser aufgefordert: 'Jetzt müssen die nationalliberalen Kräfte in den Reihen der FDP sichtbar werden und mutig rechtsliberale Pflöcke einschlagen.'
Am besten, hat Klaus Gröbig uns noch geraten, solle man all diese Dinge überhaupt nicht mit einem so unbedeutenden Mann wie ihm besprechen, sondern andere fragen, 'zum Beispiel Rainer Zitelmann'. - Rainer Zitelmann, der ultrarechte Journalist?
Ach ja, der war ja Mitunterzeichner des 'Berliner Manifests'. Und er ist sogar Mitglied der Berliner FDP: seit August diesen Jahres.
Textergänzung:
Bildunterschriften:'ICH DACHTE, ich bin in einem Film von 1933': Die FDP-Politikerin Carola von Braun warnt ihre Partei vor einer braunen Gefahr.
Photo: Schoelzel/SZ
Do 05.01.1995 Süddeutsche Zeitung Seite 17 Leserbriefe
FDP-Wahlverlierer behielten entscheidende Positionen
'Im Gleichschritt marsch - durch die FDP' von Evelyn Roll in der SZ vom 9. 12.:
Wieviele kurzgeschorene Horden in die FDP einsickern, könnten Nichtmitglieder natürlich nur erahnen;
immerhin liefern Sie als Beweis für die üble Gesinnung dieser Leute das Zitat: 'Es ist mir eine Ehre, Herrn Gröbig vorzuschlagen.'
Aha! Das muß bei traditionellen FDP-Mitgliedern also anders sein; denen ist es vermutlich keine Ehre, einen Parteifreund für ein Amt vorzuschlagen?
Und das läßt auch den Rückschluß zu, der ja auch aus dem Artikel spricht, daß nur die neuen FDPler Mitglieder werben, während die von Ihnen geschätzten FDP-Politiker (Tiedt, Tolksdorf und Carola von Braun) offensichtlich keine Neumitglieder vorzuweisen haben.
Politikverdrossenheit zeigt sich auch im Einsatz für die eigene Partei und Position,
und zwar sowohl die Anhängerschaft innerhalb der Partei zu begeistern, als auch darin neue Bevölkerungskreise anzusprechen.
Das ist der früheren Parteiführung vermutlich nur in geringem Umfang gelungen; jedenfalls sprechen die Landtagswahlergebnisse der letzten Zeit eine deutliche Sprache hierfür.
Und die Wahlergebnisse legen auch die Vermutung zwingend nahe, wie groß das Ansehen der von Ihrer Zeitung hochgeschätzten FDP-Politiker in der Bevölkerung sein dürfte.
Zur Erinnerung: Bei den Landtagswahlen fiel die FDP nicht nur aus den jeweiligen Parlamenten, sie war, z. B. in Brandenburg, an der Regierung beteiligt.
Es wurden also regierende Minister abgewählt.
Dennoch behielten diese Personen nach den Wahlniederlagen als Landesvorsitzende bzw. im Landesvorstand entscheidende Positionen.
Carola von Braun hat in der Berliner FDP zuletzt weder Amt noch Mandat.
Auf einen weiteren Satz in dem Artikel bezogen - 'Carola von Braun hat auch viel weniger zu verlieren' - lautet dies wohl: Carola von Braun möchte etwas gewinnen, indem sie Mitglieder, die ihre sozialliberalen Positionen nicht uneingeschränkt teilen, mit nationalsozialistischer Diktion belegt.
Dies zu tun, um den innerparteilichen Meinungsbildungsprozeß zu beeinflussen, ist unverantwortlich.
Wer in der Vergangenheit auf Parteikosten gut lebte und unter anderem Friseurrechnungen mit Fraktionsgeldern bezahlte, trauert sicherlich den guten alten Zeiten nach, es darf aber nicht jedes Mittel erlaubt sein, um den alten Zustand wieder herzustellen. Außerdem muß man sich am eigenen Tun messen lassen, um als moralische Institution auftreten zu können.
Mitglied der FDP Berlin-Tempelhof
Eiswaldtstraße 15
12249 Berlin