Friedrich Ludwig Jahn
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DDR: nationaler Sozialismus
Turnvater Jahn
Doping fürs Deutschtum
Friedrich Ludwig Jahn, der als "Turnvater" berühmt wurde, war ein früher Nationalist.
Von Stefan Berg
Dienstag, 31.05.2016
http://www.spiegel.de/einestages/turnvater-friedrich-ludwig-jahn-doping-fuers-deutschtum-a-1096246.html
Friedrich Ludwig Jahn
Vater der Bewegung
Vor 200 Jahren ließ Friedrich Ludwig Jahn in der Märkischen Heide bei Rixdorf den ersten Turnplatz der Welt errichten.
NUn erinnert eine Ausstallung an den Gründer der Turnbewegung.
02.04.2011, von MICHAEL REINSCH
http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/friedrich-ludwig-jahn-vater-der-bewegung-1626530.html
2002
Deutschheit, Mannheit, Freiheit
Die Zeit 07.10.2002 42/02
Hagemann 94 zl Erenz A-Jahn neu Belichtet 096 10.10.2002 Nr.42 * A-Jahn neu* 20021008* Zeitläufte* 42* 94* Zeitläufte Zeitläufte 94 import article 19724 A-Jahn neu 42 2002 42/02 Hagemann 94 zl Belichtet 096 10.10.2002 10.10.2002 Nr.42 (c) DIE ZEIT 42/2002 Zeitläufte Hagemann 5826978138a352d13e54a35c747b23a5 ./2002/42/A-Jahn_neu Sport Modisches Bekenntnis: Jahn in „altdeutscher Tracht“, mit Eisernem Kreuz (Lithografie um 1850) Foto: bpk
Mehr als nur der Turnvater: Friedrich Ludwig Jahn, der vor 150 Jahren starb, ist auch einer der Vorväter des deutschen Nationalismus Von Karen Hagemann Gefesselt lag das deutsche Land / In wälscher Sklaverei, / Das Deutsche war verpönt, verbannt, / Verschwunden Ehr’ und Treu. / Da büßten Viele ein den Muth; / Bei all dem Trug und Wahn; / Doch echtes deutsches Mannesblut / Pocht in der Brust von Jahn!“ Mit dieser Strophe beginnt ein Gedicht, das die Berliner Volks-Zeitung am 11. August 1861 auf ihrer Titelseite veröffentlichte. Anlass war die Grundsteinlegung eines Denkmals für Friedrich Ludwig Jahn. Der anonyme Verfasser präsentiert dessen Lebensgeschichte in sieben Strophen, beschreibt ihn als „echt deutschen Mann“, „mutigen Freiheitskämpfer“, „wackeren Vorturner“, „tapferen Krieger“ und „treuen Volksfreund“. Der Text mag uns in Sprache und Gestus kurios anmuten, doch entwirft er ein Bild, das sehr viel komplexer ist als unser heutiges. Wir erinnern Jahn allenfalls als Turnvater – als Politiker indes kennen ihn nur Historiker wie Heinrich August Winkler, der ihn in seinem jüngst veröffentlichten Werk zur deutschen Geschichte, Der lange Weg nach Westen, als „geistigen Wegbereiter des Waffengangs“ der Freiheitskriege von 1813 bis 1815 und als „Klassiker des deutschen Nationalismus“ beschreibt.
Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, denn bis 1945 galt Jahn in der bürgerlichen Öffentlichkeit als einer der „großen Einzelnen“ der Nationalgeschichte. Zugleich war er einer der umstrittensten „deutschen Helden“. An Jahn schieden sich schon zu seinen Lebzeiten die Geister – „mein Name“, schreibt er 1839, „hat durch die Lügengasse der Zeitblätter Spießruten laufen müssen“.
Nach seinem Tod wurde sein Erbe zunächst von nationalliberalen Kreisen vereinnahmt, später dann von konservativ-nationalistischen und schließlich von nationalsozialistischen. Sahen die „Turnfreunde“ in ihm 1861 noch einen „Werber für Freiheit und Einheit“, einen „Mann des Volkes, der den Gedanken der Einigung Deutschlands … zuerst in’s Volk warf“, so reduzierte sich die öffentliche Erinnerung zunehmend auf den „Vorkämpfer“ der „deutschen Einheit“. Diese Tendenz deutete sich schon in den Reden an, die im August 1872 – ein Jahr nach der Reichsgründung – bei der Enthüllung des Berliner Jahn-Denkmals gehalten wurden. Sie verstärkte sich in den nächsten Jahrzehnten, zusätzlich aufgeladen durch völkische und rassistische Ideen. Vor allem die bürgerliche Turnbewegung heroisierte Jahn mehr und mehr in diesem verengten Sinne.
Durch Nationalerziehung zur Wehrhaftigkeit
1928, zu seinem 150. Geburtstag, erreichte der nationalistische Kult um Jahn seinen Höhepunkt. Die Deutsche Turnerschaft versuchte, mit Jahn-Ehrungen, Jahn-Feiern, Jahn-Schriften und zahllosen Jahn-Devotionalien dafür zu sorgen, dass der „Turnvater … bei allen Deutschen zu den größten und führenden Geistern des deutschen Volkes gerechnet wird“. Man setzte die Taufe von Jahn-Schulen, Jahn-Straßen und Jahn-Plätzen durch, ja sogar seine Aufnahme in die vom Bayernkönig Ludwig I. errichtete Walhalla bei Regensburg. In der Deutschen Turnzeitung wurde er nun zum „ersten Großdeutschen im modernen Sinne“ stilisiert. Sein Wirken in „schwerer Zeit“ müsse Vorbild für eine neue „nationale Erhebung“ sein. An diese Interpretation konnten die Nationalsozialisten nahtlos anknüpfen.
Die ideologische Vereinnahmung Jahns durch das nationalistische und nationalsozialistische Lager führte bei den politischen Gegnern zu einer fast reflexartigen Ablehnung. Zwar hatte der 1893 gegründete Arbeiter-Turnerbund zunächst noch eine progressive Deutung durchzusetzen versucht und Jahn 1902 in der Arbeiter-Turnzeitung zum „Märtyrer der freien, volkstümlichen Turnsache“ stilisiert, doch änderte sich das nach 1919 grundlegend. „Wenn er heute lebte, wäre er wahrscheinlich Nationalsozialist“, hieß es 1928 im selben Blatt. Vor diesem Hintergrund ist der Versuch der DDR umso bemerkenswerter, Jahn erneut zu einem rebellischen Vorkämpfer für „Einheit und Freiheit“ zu stilisieren.
Jahn, der Turnvater; Jahn, der erste freie Deutsche; Jahn, der erste Großdeutsche – wer immer auch Jahn wirklich war, er ist zweifellos eine der schillerndsten und widerspruchsvollsten Persönlichkeiten unter jenen „Patrioten“, die nach der preußisch-sächsischen Niederlage von 1806/07 für eine nationale „Erhebung“ gegen die französische Fremdherrschaft kämpften. Als Mann einer Periode des Umbruchs, der Kriege und Krisen verkörpert er bei allen Eigenheiten viel Zeittypisches. Nur so ist überhaupt seine enorme Wirkung in den entscheidenden Jahren zwischen 1810 und 1819 zu erklären.
Geboren wurde er am 11. August 1778 in Lanz bei Lenzen in der Prignitz. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter eine Pastorentochter. Nach erstem Unterricht durch die Eltern kam er 13-jährig auf das Gymnasium in Salzwedel, drei Jahre später wurde er wegen fortgesetzter „Händel und Raufereien“ mit Lehrern und Mitschülern der Schule verwiesen. Aus dem gleichen Grund musste er ein Jahr darauf das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin verlassen. 1796 begann er auf Wunsch des Vaters in Halle mit dem Studium der Theologie, beschäftigte sich aber bald nur noch mit deutscher Philologie und Geschichte. Statt sich wie die meisten Mitstudenten einer landsmannschaftlichen Verbindung anzuschließen, trat er 1798 dem geheimen Studentenorden der Unitisten bei.
Dieser Orden war eine der vielen überregionalen Jungmännerverbindungen, die nicht nur die „mannliche“ Sozialisation ihrer Mitglieder befördern wollten, sondern in denen auch langjährige Freundschaften entstanden – Netzwerke, die der individuellen und kollektiven Selbstfindung dienten und die zugleich wichtig waren für das berufliche und literarische „Avancement“. In der Zeit der Antinapoleonischen Kriege zwischen 1806 und 1815 bildeten sie zudem die soziale Basis für das patriotisch-nationale Engagement mit Feder und Degen. Dies zeigt sich deutlich auch in der Lebensgeschichte Jahns, der die Verbindung zu den alten Freunden nie abreißen ließ, die er an seinen Studienorten, vor allem in Halle, Jena und Greifswald, zwischen 1796 und 1803 kennen gelernt hatte.
1803 musste Jahn sein Studium nach 13 Semestern abbrechen, wieder einmal hatte er handfesten Streit gesucht. Das Consilium Abeundi – der Verweis von der Universität – war die Folge. Bis 1805 verdiente er sich wie viele andere stellungslose Jungakademiker sein Brot als Hauslehrer. Der Krieg gegen Napoleon hatte begonnen, und die Hoffnung, das Examen in Göttingen nachholen und dann eine akademische Laufbahn antreten zu können, zerschlug sich nach dem preußisch-sächsischen Debakel von 1806/07 jäh. Alle Versuche, in den folgenden Jahren mithilfe von Vorstellungsreisen, von „Konnektionen“ und „Empfehlungen“ eine Anstellung zu erlangen, scheiterten.
Zu den vielen nachhaltigen Folgen der Niederlage und der Okkupation gehörte es, dass der halbierte preußische Staat zwischen 1807 und 1815 ständig vor dem Bankrott stand und niemanden mehr einstellte. (Ähnlich sah die Situation in den meisten anderen Territorialstaaten aus.) Eine ganze Generation gebildeter junger Männer sah sich um die schönsten Berufshoffnungen gebracht – und damit um ihre Heiratschancen. Auch Jahn konnte seine Geliebte Helene Kollhof erst 1814 nach einer neunjährigen Verlobungszeit heiraten. Auf diese Weise wirkten sich die politischen und militärischen Einbrüche unmittelbar auf das persönliche Schicksal dieser Männergruppe aus und trugen nicht unwesentlich zu ihrer Politisierung und Nationalisierung bei.
Jahn wurde neben Ernst Moritz Arndt, den er seit seinen Greifswalder Studientagen kannte, zu einem Vordenker der entstehenden patriotisch-nationalen Bewegung. Er versuchte sich zunächst als politischer Netzwerker und Geheimkurier im Staatsauftrag sowie als Publizist. 1810 erschien sein bekanntestes Werk, das Deutsche Volksthum. Dieses Buch wurde wegweisend nicht nur für den zeitgenössischen Diskurs über „Volk“ und „Nation“, sondern auch für die praktische und symbolische Politik der frühen Nationalbewegung. In ihm verknüpfte er alte Vorstellungen von den „physischen“ und „moralischen“ Ursachen für die Unterschiede zwischen den Nationen mit neuen ethnischen und kulturellen Ideen. Das „Volk“ – dieses „deutsche Wort“ sollte das „fremdländische Wort“ Nation ersetzen – war für ihn eine Abstammungs- und Kulturgemeinschaft mit einer langen gemeinsamen Geschichte, die alle sozialen Schichten umfasste. Als das Gemeinsame eines „Volkes“ definierte er das „Volksthum“: „sein innewohnendes Wesen, sein Regen und Leben, seine Wiedererzeugungskraft, seine Fortpflanzungsfähigkeit“. Dies alles sah er durch den langjährigen französischen Einfluss in Deutschland bedroht.
Die Niederlage von 1806/07 schien ihm, wie vielen Gesinnungsgenossen, vorrangig eine Folge der „Ausländerei“, „Verweichlichung“ und „Entartung“ der Deutschen zu sein. Deshalb propagierte er, ganz auf der Linie der preußischen Reformer, zum einen die Umwandlung von Heeres- und Staatsverfassung. Er wollte die stehende Armee abschaffen und die allgemeine Wehrpflicht in Form einer Landwehr einführen und plädierte für ein „allgemeines Bürgerrecht“. Damit forderte er, anders als die meisten „Patrioten“, für alle „wehrbereiten“ und „rechtschaffenden“ christlichen „Hausväter“ mehr politische Rechte, nicht nur für die Besitzenden und Gebildeten. Zum anderen trat er vehement für eine patriotisch-nationale „Erhebung“, eine „Ermannung“ des deutschen Volkes ein. Vor allem mittels einer „Sprachreinigung“ wollte er dem „zersetzenden“ Einfluss des „welschen Gestammels“ entgegenwirken, durch nationale Feiern, Symbole und Rituale das „Volksgefühl“ stärken und die Knaben, Jünglinge und Männer nach „alter germanischer Sitte“ mithilfe einer Körper und Geist umfassenden „Nationalerziehung“ wieder „wehrhaft“ machen.
Ein „Nationalfest der Teutschen“ für alle „deutschen Gaue“ Im Winter 1809 zog Jahn nach Berlin. Er verdiente sich seinen Unterhalt nun als Hilfs- oder Unterlehrer an verschiedenen privaten und staatlichen Schulen, zuletzt an der Plamannschen Erziehungsanstalt, und begann auch praktisch für seine politischen Ziele zu wirken. Im November 1810 gründete er gemeinsam mit dem Pädagogen Friedrich Friesen und anderen den Deutschen Bund als straff gegliederte Geheimorganisation, deren Hauptziel die Propaganda gegen die französische Fremdherrschaft war. Zugelassen waren nur Männer „deutscher Abstammung“, damit blieben selbst getaufte Juden ausgeschlossen. Zu den 50 bis 80 Berliner Mitgliedern zählten überwiegend Offiziere, Studenten und Bildungsbürger, darunter viele alte Freunde Jahns.
Zur gleichen Zeit begann er mit dem Turnen; auf der Hasenheide bei Berlin entstand 1811 der erste Turnplatz. Von Anfang an diente die Körpererziehung erklärtermaßen nationalpolitischen Zwecken. Schüler und Studenten, Handwerkslehrlinge und -gesellen sowie junge Kaufleute sollten sich in der schichtenübergreifenden Männergemeinschaft zu „echt deutschen“ Männern ausbilden. Ihre erklärten Hauptziele waren „Deutschheit, Mannheit und Freiheit“. Die Bewegung wuchs schnell über Berlin hinaus. 1818 existierten rund 100 Turngemeinden (davon 84 in Preußen) mit etwa 12 000 Mitgliedern. Ihre Bibel war das 1816 von Jahn und Ernst Eiselen herausgegebene Buch Die Deutsche Turnkunst.
Doch Jahn wollte mehr. Er wollte mit der Waffe für die „Befreiung“ vom „welschen Joch“ kämpfen. Mit seinem „Turnfreund“ Friedrich Friesen half er deshalb beim Aufbau des Lützower Freikorps, einer im Februar 1813 (mit Billigung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.) von Ludwig Adolf Wilhelm Freiherr von Lützow in Breslau gegründeten Freiwilligenformation, die vornehmlich junge Männer aus dem nichtpreußischen Ausland aufnehmen sollte. Das Korps wuchs bis August 1813 auf 3666 Mann aus allen Teilen Deutschlands an und wurde zu dem Symbol für die Breite der „nationalen Erhebung“. Seinen Ruhm mehrten weniger seine militärischen Leistungen als zahllose Lieder und Gedichte.
Jahn selbst gab bereits im Frühjahr 1813 eine Sammlung Deutscher Wehrlieder für das Königlich-Preußische Frei-Corps heraus. Hauptziel der intensiven Propaganda, die von Kriegsbeginn an wie eine Flutwelle über das Land ging, war eine „wehrhafte Ermannung“: Männer seien nur dann „wahrhaft mannlich“ und „ehrhaft“, wenn sie „wehrhaft“ Familie, Heimat und Vaterland verteidigten. „Kein Wesen, männlichen Geschlechts, so nicht Wehr ist“, heißt es etwa in der Vorrede zu den Wehrliedern, „kann als Mann gelten, nur als Mannsbild und Mannspuppe. Wehrlos! Ehrlos!“ An die Pflicht zur Vaterlandsverteidigung wurde zugleich der Anspruch auf mehr Bürgerrechte geknüpft.
Zum Leidwesen Jahns und seiner Lützower Mitkämpfer entsprach ihr Kriegseinsatz nicht den eigenen heroischen Erwartungen. Zudem rieben sich ihre Vorstellungen von einem „abentheuerlichen“ Zusammenleben in der „brüderlichen“ Männergemeinschaft des Freikorps an dem grauen Alltag im Militär, das gebieterisch Disziplin und Gehorsam forderte. Jahn, der in kurzer Zeit bis zum Bataillonsführer aufstieg, bat deshalb bereits im Juli 1813 um andere Aufgaben. Er musste jedoch noch vier Monate, bis zur Umwandlung der Lützower in ein normales preußisches Regiment, bei der Truppe bleiben. Für seine „kriegerischen Leistungen“ in den Schlachten des Jahres 1813 wurde ihm das gerade erst gestiftete Eiserne Kreuz zugesprochen. Bis Kriegsende wirkte er im mitteldeutschen Raum als Propagandist und organisierte Rekrutenaushebungen für das in Frankfurt am Main ansässige „Zentralverwaltungsdepartement“.
Im April 1814, nach dem ersten Sieg über Napoleon, kehrte er nach Berlin zurück. Doch seine Versuche, eine Anstellung im Staatsdienst zu bekommen, scheiterten auch weiterhin. Immerhin sprach die preußische Regierung ihm im September 1814 als Anerkennung für seine „bleibenden Verdienste für das Vaterland“ einen „Ehrensold“ von zunächst 500 Talern zu, der zwei Jahre später auf 1000 Taler erhöht wurde. Dies war eine stattliche Summe, entsprach sie doch dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Hochschullehrers. Zu dieser Zeit stand Jahn noch so hoch in der Gunst des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, dass dieser ihn persönlich mit Kurieraufträgen zum Wiener Kongress und in das besetzte Paris entsandte.
Jahns Wirken und Wirkung hatten ihren Höhepunkt erreicht. Das Turnwesen expandierte, und man erörterte, es regulär im preußischen Schulwesen einzuführen. Die von ihm im Deutschen Volksthum vorgeschlagene „altdeutsche Tracht“ mit langem, hochgeschlossenen, dunklen Rock und Barett setzte sich nach Kriegsende zumindest in national-oppositionellen Jungmännerkreisen als politisches Erkennungszeichen durch. Sein Vorschlag einer alle „Deutschen Gaue“ verbindenden Nationalfeier fand sich in dem „Nationalfest der Teutschen“ wieder, das im Oktober 1814 zum ersten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht in mehr als 780 Orten des deutschsprachigen Raums gefeiert wurde, und auch bei der Vorbereitung des Wartburgfestes drei Jahre später war Jahn dabei.
Besonders aber lag ihm die „Sprachreinigung und -veredelung“ am Herzen; Anfang 1815 gründete er gemeinsam mit anderen Pädagogen und Philologen die Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache. Heute erscheinen uns die Vorschläge dieser Sprachgelehrten als lächerlich. Damals jedoch wurden sie in den Zeitungen heftig diskutiert: Schließlich ging es darum, sich von den gehassten „Welschen“ und allen „Franzosenfreunden“ symbolisch abzusetzen. Jahn allerdings übertrieb es selbst nach Ansicht wohlmeinender Zeitgenossen mit seiner Eindeutschungsmanie. Seine Texte wurden schlichtweg unverständlich, so, wenn er statt von „Patrioten“ nunmehr von „Biedermännern“ sprach. Dennoch: 1817 verliehen ihm die Universitäten Jena und Kiel die Ehrendoktorwürde – die lang erhoffte akademische Anerkennung empfand er als Krönung seiner rastlosen Arbeit.
Jahns umtriebiges Engagement trug, wie bei vielen „Patrioten“ seiner Generation, ein Janusgesicht: zur einen Seite propagierte er frühliberale Ideen, zur anderen Franzosenhass und Judenfeindschaft. Vor allem Ersteres passte nach dem endgültigen Sieg über Napoleon im Juni 1815 immer weniger in die Zeit. Ruhe sollte allerorts wieder die erste Bürgerpflicht sein. Es setzte eine restaurative Wende ein; die nationalpolitische Oppositionsbewegung geriet ins Visier der obrigkeitlichen Kritik und der Zensur.
In der Paulskirche fühlt er sich fremd Nach dem Attentat des Turners und Burschenschafters Karl Ludwig Sand im März 1819 auf den populären Dramatiker August von Kotzebue, der in russischen Diensten stand und als „Vaterlandsverräter“ galt, wurden Burschenschaften und Turnvereine verboten, ihre führenden Mitstreiter verfolgt. Allein in Preußen kam es im Zuge der Karlsbader Beschlüsse vom September 1819 zu 345 Verfahren. Jahn war bereits im Juli verhaftet und wegen „demagogischer Umtriebe“ und des „Verdachts der Mitgliedschaft in geheimen, hochverräterischen Verbindungen“ angeklagt worden. Bis zu seinem Freispruch 1825 blieb er inhaftiert. Diese „dunkle Zeit“ zerstörte seine Familie. Seine erste Frau verstarb 1823. Mit seiner zweiten Frau Emilie Hentsch und seiner Mutter zog er 1825 nach Freyburg an der Unstrut, wo er weiterhin unter Polizeiaufsicht stand.
Erst Friedrich Wilhelm IV. rehabilitierte Jahn wie andere verfolgte „Patrioten“ nach seiner Thronbesteigung im Juni 1840. Er händigte Jahn endlich auch das Eiserne Kreuz aus, das ihm 26Jahre lang vorenthalten worden war und das er nun bis ins hohe Alter stolz tragen sollte. Jahn erlebte 1842 zwar noch die Wiederzulassung des Turnwesens in Preußen, zog im März 1848 gar als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung ein, doch der Zenit seines Wirkens war lange überschritten.
Den neuen politischen Entwicklungen stand er fremd gegenüber. In der Paulskirche trafen alte und junge „deutschbewußte“ Abgeordnete aufeinander; jeder Dritte war ein ehemaliger Burschenschafter. Jahn gehörte zu den Ältesten im Parlament. Er wirkte schon durch seine Erscheinung im dunklen „altdeutschen Rock“ und mit dem lang wallenden weißen Vollbart wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Zwar plädierte er nach wie vor für das allgemeine und gleiche Wahlrecht, doch andere Forderungen vor allem der demokratischen Abgeordneten lehnte er ab. Die neue Zeit war ihm fremd geworden. „Meine Zeit ist gewesen“, musste er resigniert erkennen, „und das verlöschende Licht meines Lebens mag still verglimmen.“ Am 15. Oktober 1852 starb er in Freyburg – ohne Ahnung des unheimlichen Nachlebens, das ihm noch beschieden war.
Mehr als nur der Turnvater: Friedrich Ludwig Jahn, der vor 150 Jahren starb, ist auch einer der Vorväter des deutschen Nationalismus Sport Mehr als nur der Turnvater: Friedrich Ludwig Jahn, der vor 150 Jahren starb, ist auch einer der Vorväter des deutschen Nationalismus