Wir trafen auf eine Mauer des Schweigens

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braune / anti-emanzipatorische Personen in der CDU
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Spangenberg

"Junge Welt" 07.12.2021 / Inland / Seite 2
»Wir trafen auf eine Mauer des Schweigens« 
Gespräch mit Torsten Felstehausen
Gitta Düperthal

http://anonym.to/?https://www.jungewelt.de/artikel/416027.nach-waffenfund-nbsp-wir-trafen-auf-eine-mauer-des-schweigens.html
Hessen: Schwarz-grüne Regierung
hält sich zu mutmaßlichem Rechtsterroristen und CDU-Politiker betont bedeckt.


Marvin Euhus, im März bei der CDU in Spangenberg als Kandidat auf der Kommunalwahlliste,
ist des Rechtsterrorismus verdächtig
und sitzt seit Mitte September in Untersuchungshaft.
Bei ihm waren zuvor Hunderte selbstgebastelte Sprengkörper sowie ein rassistisches Manifest gefunden worden.
Weshalb schwiegen Staatsanwaltschaft und CDU-Innenminister Peter Beuth lange dazu?

Dazu haben wir im Innenausschuss am 25. November nachgefragt.
Es kam uns merkwürdig vor, dass die Öffentlichkeit über solch bedeutsamen Fund in Nordhessen erst drei Monate später informiert wurde.
Allerdings wollte der Innenminister keine Fragen zum Tatkomplex beantworten.
Beuth erklärte wortreich, weshalb nicht er verantwortlich sei, sondern nur die Staatsanwaltschaft, allenfalls Mitarbeiter des Justizministeriums.
Wir gehen davon aus, dass der Vorfall die CDU in Nordhessen zwei Wochen vor der Bundestagswahl in helle Aufregung versetzt hat.
Die Partei hatte kein Interesse daran, dass bekannt wird:
Ein Kandidat auf einer ihrer Listen wird verdächtigt,
rechtsextremistische Schriften und Anleitungen zum Waffen- und Strengstoffbau verfasst zu haben.
Keine Spur von Beuths üblicherweise eiligem Informieren der Öffentlichkeit,
um im Licht eigener Erfolge zu glänzen!

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main äußerte gegenüber dieser Zeitung am 12. November,
die Untersuchungen in dem Fall liefen zunächst gegen eine Einzelperson.
Was wissen Sie darüber?

Auf eine unserer Nachfragen hin rutschte dem Innenminister im Ausschuss heraus, dass gegen mehrere Personen ermittelt wird.
Auf die Frage, wie groß der Personenkreis sei, verwies er auf die Staatsanwaltschaft.
Die sagte, Auskünfte dazu könnten Ermittlungsergebnisse gefährden.
Die Frage, woher die Erkenntnisse stammten, wurde mit dem Hinweis beantwortet,
sie seien aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht aus dem Landesamt.
Ansonsten trafen wir auf eine Mauer des Schweigens;
auch als wir fragten, ob das Manifest Berührungspunkte zu anderen rechtsextremistischen Tätern enthält, etwa in Hanau, Halle oder München.

Die »Antifaschistische Gruppe Kassel« hatte den Namen des Verdächtigen
sowie dessen Engagement für die CDU im Internet publik gemacht.
Die Gruppe kritisierte, dass anders als in diesem Fall die Verhaftung der Antifaschistin Lina E. in aller Öffentlichkeit im Detail breitgetreten worden ist.
Wie erklären Sie sich das?

Da wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.
Zwar liegt der Leipziger Fall von Lina der Bundesanwaltschaft vor,
und dieser Fall des rechten Terrorismusverdächtigen in Hessen.
Allerdings sind Staatsanwaltschaften weisungsgebunden.
Neben ihrem Amt als Justizministerin
ist die zuständige Eva Kühne-Hörmann stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Hessen.
Sie wollte sich wohl nicht mit Fragen auseinandersetzen wie:
Was wusste die CDU in Nordhessen darüber?
Hat sie etwa einen mutmaßlichen Rechtsterroristen in ihren Reihen toleriert?

Ist es plausibel, dass Marvin Euhus bei der CDU in Spangenberg nicht auffiel?

Parteien vor Ort haben oft Probleme, ihre Listen zu füllen.
Fällt ein Kandidat nicht weiter auf, überprüft man nicht.
Dieser junge Mann hat sich offenbar im Internet radikalisiert.
Wir wissen nicht, ob er gegenüber CDU-Leuten seine Auffassung zum Staat offengelegt hat,
ob seine Manifeste, die zur Vernichtung des jüdischen Volkes aufrufen, dort bekannt waren.
Anders als beim Fall eines Neonazis aus Helsa in Nordhessen,
der auf der Liste der AfD kandidierte,
war bei Marvin Euhus nicht mit wenigen Klicks festzustellen, dass er ein Neonazi ist.

Handelt es sich bei der benannten Mauer des Schweigens um ein strukturelles Problem?

Bei den vielen Fällen rechts­extremistischer Strukturen und Gewalt fällt auf,
dass das hessische Innenministerium Informationen darüber häufig erst auf öffentlichen Druck herausgibt.
Zu unter Geheimhaltung stehenden NSU-Akten entschieden die hessische CDU
und ihr Koalitionspartner, die Grünen, diese zunächst für 120 Jahre zu sperren.
Später wurde das auf immer noch 30 Jahre reduziert.
Entweder fehlt es bei den Sicherheitsbehörden an Erkenntniswillen oder an Kompetenz.

Torsten Felstehausen ist Abgeordneter der Fraktion Die Linke und Mitglied im Innenausschuss des ­Hessischen Landtags