F.D.P.: Niederlage für rechte Fraktionsbildung ?

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Sa 28.01.95 F.D.P.: Niederlage für rechte Fraktionsbildung ?

Ende Oktober 94 machten fünf teils mehr, teils weniger prominente F.D.P.-Mitglieder mit ihrem Thesenpapier ("Berliner Positionen") für eine "nationaliberale Erneuerung" der Partei mit den drei Pünktchen von sich reden.
Gut einen Monat später lenkte ein Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vom 9. 12. 94 ("Im Gleichschritt marsch - durch die FDP") die Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit auf eine augenscheinlich systematische Unterwanderung der Berliner F.D.P. durch rechtsradikale Kräfte.
In dem Bericht der SZ schilderten vier führende Mitglieder der F.D.P., darunter die (im Februar 94 zum Rücktritt gezwungene) ehemalige Landesvorsitzende Carola von Braun und der Bezirksvorsitzende in Reinickendorf, Prof. Michael Tolksdorf, wie Berliner Parteibezirke aufgerollt werden: die Ausgangsbasis dafür ist, daß die Mitglieder der Berliner F.D.P. bei ihrer Mitgliedschaft nicht an ihren Wohnort gebunden sind, sondern sich in einem beliebigen Berliner Bezirk ihrer Wahl anmelden können.
Tolksdorf stellt nun eine "Mitgliederverschiebung per Lastwagendemokratie" (SZ, 9. 12. 94) fest, um gezielt in bestimmten Parteibezirken Mehrheiten zu kippen und Bezirksverbände zu "erobern"; Carola von Braun spricht auch vom "Prinzip Wanderdüne" (SPIEGEL, 29. 12. 94).
Die Bezirke Spandau und Tempelhof seien, so Tolksdorf, bereits fest in rechter Hand; Tolksdorfs eigener Bezirksverband in Reinickendorf, bisher eine Hochburg des sozialliberalen Flügels, bereite sich auf die Kapitulation vor. Tolksdorf hält fest: "Das geht aus von Leuten, die ich zwischen 'Republikanern' und CDU- Rechtsaußen ansiedeln würde, mit Reichskriegsflagge, Fremdenhaß und allem was dazugehört".
Und Carola von Braun schildert ihren ersten Eindruck von der neuen Mehrheit in Tempelhof: sie habe gedacht, "ich bin in einem Film von 1933: ganz junge Männer mit ganz kurzen Haaren, die da im Gleichschritt aufmarschierten", und weiter: "Keine Diskussionen, keine Wortmeldung habe es gegeben, immer nur ... frenetischen Beifall, wenn einer aus der Führung sprach" (SZ); "frenetischer Beifall ertöne auf Funktionärsversammlungen, wenn von der schwarz-weiß-roten Fahne ... oder von Preußen die Rede ist" (SPIEGEL).
Angeblich übernimmt ein Sponsor die Parteibeiträge all der neuen Mitglieder.
Mit der Übernahme der Mehrheit im Bezirksverband Tempelhof wurde dort ein gewisser Klaus Gröbig Vorsitzender und sein Freund Torsten Witt Sprecher.
Beiden zusammen war es bereits im Jahr 1991 vorübergehend gelungen, die Berliner "Jungen Liberalen (JuLis)", Jugendverband der F.D.P., zu "übernehmen". "Die Zukunft", Organ der Berliner JuLis, schmückte sich damals mit Porträt und Grußwort des großen Vorbilds Jörg Haider.
Torsten Witt, übrigens Vorsitzender des Verbandes junger Journalisten Berlin-Brandenburg, war früher freier Mitarbeiter der "Jungen Freiheit".
Wie die SZ nahelegt, ist er identisch mit jenem T(h)orsten Hinz, der neuerdings in fast jeder Ausgabe der "Jungen Freiheit" schreibt und u.a. dort die Entwicklung rund um die F.D.P. kommentiert.
ANMERKUNG DAS IST EINE FEHLINFO

Unklar ist zunächst, inwieweit die beiden Erscheinungen (das Berliner Manifest der Herren um Alexander v. Stahl und die Ubernahme diverser Berliner Bezirke durch rechtsradikale junge Männer) miteinander zu tun haben oder nicht.
Carola von Braun meint abwägend: "Klar, die sagen schon, das ist igitt.
Aber die Stimmen würden sie nehmen." Höchst verdächtig, was einen Zusammenhang zwischen der rechtsradikalen Eintrittswelle und den Urhebern des "nationalliberalen Manifests" betrifft, ist jedoch die Tatsache, daß Rainer Zitelmann (Co-Autor der "Berliner Positionen") selbst just im August 1994 in die F.D.P. eingetreten ist und anscheinend im selben Augenblick auch schon im Bezirksvorstand Berlin-Spandau saß, dem wiederum Wolfgang Mleczkowski als Bezirkschef vorsteht; Spandau zählt gerade zu jenen Bezirken, die als "umgedreht" gelten.
Jedenfalls meldete die "Junge Freiheit" am 12. 8. 94 in ein und derselben Meldung auf der Titelseite, daß Zitelmann "neuestes Mitglied der Berliner F.D.P." sei und daß er im besagten Vorstand sitze, und erwähnt dabei auch Mleczkowski als Vorsitzenden.
(Was insofern zumindest bemerkenswert ist, als Mleczkowski zu jenem Zeitpunkt ziemlich unbekannt war und erst zwei Monate später als Unterzeichner der "Berliner Positionen" prominent wurde.
Die "JF" scheint eine recht intime Kenntnis der abgelaufenen und sich anbahnenden Vorgänge in der Berliner F.D.P. zu besitzen.)
Insofern hat auch die "Süddeutsche Zeitung" unrecht, die schreibt, Mleczkowski sei "der einzige unter den Verfassern des Papiers, der eine offizielle Funktion oder ein Mandat in der F.D.P. hat".


Am 6. Januar 95, während des traditionellen "Dreikönigstreffens" der F.D.P. in Stuttgart, begingen die "Nationalliberalen" eine offene Provokation. Parallel zum "Hochamt" der Partei, wie Alexander v. Stahl die alljährliche Traditionsveranstaltung nennt, trafen sich die Rechten separat mit, je nach Angaben, 80 oder 100 Leuten - demonstrativ auch in Stuttgart: ein paar Straßenecken weiter im Hotel "Am Schloßgarten". Genauer gesagt fand das Treffen der Rechten am Vorabend statt, doch keiner der "Nationalliberalen" besuchte anschließend noch die offizielle F.D.P.-Veranstaltung.
"Was sollte ich da", begründet v. Stahl, denn dort "spricht Ignatz Bubis - der kann über nichts anderes reden als über Rechtsradikalismus" ("Stern", 12. 1. 95).
Und so was läßt man sich natürlich nicht bieten.
Er sei sich, so wird v. Stahl zitiert, insgeheim unsicher gewesen, ob da nicht "nur Spinner" kämen zu dem Stttgarter Separattreffen.
Es kamen "nicht Krawallmacher, ... sondern der gutsituierte Mittelstand: Rechtsanwälte, Kleinunternehmer, Studienräte, Freiberufler" (SPIEGEL, 9. 1. 95).
Auch die baden- württembergische Landesvorsitzende des "Bund freier Bürger" von Manfred Brunner nahm teil, die im Falle des Scheiterns ihrer Fraktionsbildung die F.D.P.-Rechten zum Übertritt zum "BfB" aufforderte.
Und ein F.D.P.- Kommunalpolitiker brachte das große Vorbild ins Spiel:
"Wir treffen uns doch hier konspirativ, wieso hat eigentlich keiner den Mut und lädt den Haider ein ?" (SPIEGEL)


Eine gute Woche später, am 14. 1. 95, fand in Berlin ein Sonderparteitag der Landesverbands der F.D.P. statt, der speziell zum Thema der rechtsradikalen Unterwanderung der F.D.P. anberaumt worden war.
Nach außen hin hielten die Bezirksverbände Spandau (mit Mleczkowski als Vorsitzendem - von der FR "Salonrechte" genannt) und Tempelhof (mit Klaus Gröbig als Vorsitzendem - von der FR "Extrem-Rechte" genannt) zwar Distanz zueinander.
Den Verbindungsmann zwischen beiden spielte jedoch ausgerechnet Alexander v. Stahl junior, der - selbst zun den "Spandauern" zählend - auf dem Parteitag zwischen den jeweiligen Reihen hin und herpendelte (vgl. den Parteitagsbericht der "Frankfurter Rundschau", 16. 1. 95). (Der ehem. Generalbundesanwalt v. Stahl selbst war, da Mitglied der F.D.P. in Baden-Württemberg - wo er ein Eigenheim in Ettlingen besitzt - persönlich nicht anwesend.)
Auf dem Parteitag wird auch offenkundig, daß auch bisher nicht genannte hochstehende Personen im Hintergrund der v. Stahl-Gruppe angehören:
"Schließlich gehören dem illustren Kreis (um v. Stahl) die Spitzenmänner der inneren Sicherheit Berlins an. Daß Manfred Kittlaus, Chefermittler in Sachen Vereinigungs- und Regierungskriminalität (der DDR), als Mitautor des umstrittenen Positionspapiers diente, war bekannt.
Weniger allerdings, daß zu dem rechten Insiderkreis auch Leute wie Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz ('Honeckers Ankläger') und Carlo Weber, Leiter der Staatsschutz-Abteilung gegen rechte Gruppengewalt (!), zählen."
(FR, 16. 1. 95) Auf dem Berliner Sonderparteitag standen zwei Anträge des Landesvorstands zur Abstimmung. Der eine zielte darauf ab, daß sich die Berliner F.D.P. von den "nationalliberalen" Thesen der v. Stahl und Co. distanzierte und die Gruppe dazu aufforderte, nach außen hin deutlich zu machen, daß sie nicht im Namen der F.D.P. spreche. Nur 20 von 348 Delegierten stimmten gegen diesen Antrag. Allerdings kolportiert die FAZ (19. 1. 95), die Abstimmung sei "eine Farce" gewesen, denn "ein großer Teil der ihnen (v. Stahl und Co.) nahestehenden Delegierten habe an der Abstimmung nicht teilgenommen."
Dies kann, so es denn stimmt und keine Schutzbehauptung zur Vertuschung der Niederlage darstellt, taktische Ursachen haben (dazu unten).
Der andere Antrag des Vorstands strebte eine Satzungsänderung dahingehend an, daß die Berliner F.D.P. künftig mit einer Landesliste statt mit Bezirkslisten bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus antritt.
Dieser Antrag, der als Satzungsänderung eine Zweidrittelmehrheit benötigte, scheiterte am Fehlen von 10 Stimmen zur erforderlichen Mehrheit.
Die entsprechendwe Satzungsänderung hätte zwei Auswirkungen gehabt:
einerseits hätte sie den mitglieder- und stimmenschwachen Ostberliner Bezirksverbänden erlaubt, über die Landesliste mit höherer Wahrscheinlichkeit Vertreter ins Abgeordnetenhaus zu entsenden.
Andererseits aber hätte sie den von Rechten "eroberten" Bezirksverbänden den Einzug ins Berliner Parlament wohl versperrt, da dann nicht mehr der Bezirk selbst, sondern ein Landesparteitag über die Listenaufstellung entschieden hätte.
"Jeder Delegierte weiß, daß damit den Nationalliberalen die erste Tür zum Abgeordnetenhaus geöffnet ist", kommentiert die FAZ (16. 1. 95), und: "Der innerparteiliche Einfluß des nationalliberalen Flügels, der in einigen Bezirken die Mehrheit stellt, bleibt also erhalten" (19. 1. 95).


Diesem Abstimmungserfolg (wenngleich er nur in einer Verhinderung besteht) können zwei mögliche Ursachen zugrundeliegen.
Auf der einen Seite wäre es möglich, daß innerparteilich die Gruppe um v. Stahl im Augenblick deutlich mehr Sympathisanten besitzt, als sich derzeit zu ihr bekennen.
Dies könnte damit zusammenhängen, daß diese bürgerlichen Parteischichten durch die Art und Weise des Auftretens der rechten Fraktion vor den Kopf gestoßen werden und in anderer Lage deutlich mehr Entgegenkommen aufbringen würden. Prof. Tolksdorf hatte in dem ersten SZ-Bericht das Vorgehen der Tempelhofer Rechten folgendermaßen beschrieben:
"Die bleiben unsichtbar, sind wie Watte, sind nie da, diskutieren nie mit, verändern nur die Mehrheiten."
Martina Fietz bei der "Welt", die höchste Sympathie für die "Nationalliberalen" verkörpert, kritisiert in einem Kommentar (16. 1. 95):
"Geeigneteren Foren - statt konspirativen Sitzungen seiner Gruppe - wie dem Dreikönigstreffen der F.D.P. und dem Berliner Parteitag blieb er (v. Stahl) fern." Der Berliner Landesvorsitzende, Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, formulierte seine Kritik an der v. Stahl- Gruppe folgendermaßen:
"Das ist die Summe aller Punkte, die Art der Wortwahl. Da gibt es Ressentiments gegen Europa, da sind Ressentiments gegen die Integration von Ausländern, da sehe ich Ressentiments gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben, da ist die Forderung nach dem Großen Lauschangriff.
Jede dieser Positionen ist innerhalb einer liberalen Partei tragbar, verantwortbar, vielleicht sogar mehrheitsfähig, die Summe aber ist gefährlich" (8. 1. 95).
Will heißen: jedes Ressentiments ist bei uns tragbar und vielleicht mehrheitsfähig, aber bitte nicht so viel auf einmal, wegen der Vermittlung und so. F.D.P.-Chef Klaus Kinkel (der die "Berliner Positionen" einmal als "Quatsch" qualifizierte) rügt das Stuttgarter Separattreffen: "Ich hätte mir gewünscht, daß diese Diskussion auf dem Landesparteitag