Berliner Bezirkswahlen 1992

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NS-Szene | AIB 19 / 3.1992 | 07.09.1992
Berliner Bezirkswahlen 1992

Das Wahlergebnis der Berliner Bezirkswahlen
fiel insgesamt für die extrem rechten „Die Republikaner“ (REP)
nicht so gut aus, wie für die REPs und die „Deutsche Volksunion“ (DVU)
bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Baden Württemberg.
Bemerkenswerterweise lag das jedoch daran, daß die REPs in Ostberlin
deutlich weniger Stimmen erhielten, als im Westteil der Stadt.
In einigen westlichen Bezirken erhielten sie zweistellige Stimmanteile.
In Ostberlin wurde hingegen die PDS mit durchschnittlich 30 Prozent zweitstärkste Partei.
Fazit: Berlin ist eine geteilte Stadt .
Jede/r zehnte BerlinerIn durfte nicht wählen, allein in Kreuzberg waren 15.000 Menschen,
die keinen deutschen Paß besitzen, von der Wahl ausgeschlossen.
Der Grund: Ein kommunales Wahlrecht für hier lebende Ausländerinnen gibt es nicht.

Die Basis und Stammwählerschaft der großen bürgerlichen Parteien bricht weg.
Sie hatten allesamt starke Einbußen zu verzeichnen (eine Ausnahme stellen die „Alternative Liste“ und „Bündnis 90“ dar).
Seit den letzten Wahlen vor anderthalb Jahren verloren CDU und FDP die Hälfte ihrer WählerInnen
und auch die SPD hatte gegenüber den Abgeordnetenhauswahlen 1990 starke Verluste.
CDU und SPD, die in Berlin gemeinsam regieren, wurden lediglich von rund 36 Prozent der wahlberechtigten BürgerInnen gewählt.
Der Anteil der NichtwählerInnen lag mit mehr als 38 Prozent noch über diesem Ergebnis.
Vertreter dieser Parteien versuchten den Wahlausgang als »Protestwahl« zu erklären und als »Momentaufnahme« herunterzuspielen.
Das schöne Wetter sei Schuld daran gewesen, daß viele nicht zur Wahl gegangen seien.
Dabei war es weniger das Wetter, als vielfach eine bewusste Entscheidung
nicht zu wählen, wie selbst konservative Zeitungen feststellen mussten.
Die Wahlbeteiligung hielt sich im übrigen für eine Kommunalwahl im üblichen Rahmen der letzten Jahre (60-70 Prozent).

Große Überraschung herrschte selbst in den Reihen der PDS über deren gutes Abschneiden.
Die PDS erhielt in Ostberlin 30 Prozent und wurde in sechs Bezirken abermals stärkste Partei.
Sie wurde von den sozialen Verlierern des Anschlusses, von alten und jungen WählerInnen gleichermaßen gewählt.
Ihr bestes Ergebnis in Westberlin, wo sie durchschnittlich bei 1 Prozent lag, erreichte sie in Kreuzberg mit 2,4 Prozent.
Dieses Ergebnis unterstreicht den Charakter der PDS als Interessenvertretung der Menschen aus der ehemaligen DDR.
Vorausschauend war nach der Vereinigung in Berlin eine Verwaltungsreform beschlossen worden,
nach der nun in den Bezirken nicht mehr die stärkste Partei automatisch den Bezirksbürgermeister stellt,
sondern dieser von den Bezirksverordneten gewählt werden muß.
In den Bezirken wo die PDS stärkste Partei ist, führt das bei der Wahl der Bezirksbürgermeister
faktisch zum Zusammengehen von SPD, CDU und Bündnis 90 gegen die PDS.

Das Erstarken der Republikaner

Während die Vertreter aller bürgerlichen Parteien, das gute Abschneiden der PDS als ihr größtes Problem ansehen
(CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen sieht darin »die eigentliche Herausforderung«),
wurde über das Wahlergebnis der Republikaner »aufgeatmet«.
Nach dem Motto »Es hätte ja noch schlimmer kommen können«, wird der Erfolg der REP heruntergespielt.
Der Aufwärtstrend der Republikaner ist aber ungebrochen:
Sie hatten die stärksten Zuwächse aller Parteien und kamen insgesamt auf 8,3 Prozent.
Im Westteil der Stadt schnitten die REPs deutlich besser ab: 9,9 Prozent gegenüber 5,4 Prozent im Osten.
Ihre besten Ergebnisse erzielten sie in den Arbeiterbezirken
mit 14,4 Prozent im Wedding und 12,8 Prozent in Neukölln.
In Kreuzberg verbesserten sich die REPs auf 10,2 Prozent
und werden künftig dort ebenfalls einen Stadtrat stellen (insgesamt stellen sie in Berlin 4-5 Stadträte).
Mit diesem Ergebnis dürften sich die REPs stabilisieren.

Angesichts des staatlichen Rassismus und entsprechender Äußerungen und Forderungen bürgerlicher Politiker
können sich die REPs zurücklehnen: Sie sind »das Orginal«.
Geschickt nutzten die REPs diese Tatsache aus
und so war auf dem wohl am meist verbreitenden Wahlplakat dieser Partei
nur das eine Wort zu lesen: »Jetzt«. REP- Funktionär Frank Seifert kündigte an,
daß die Partei nun zur Ausländerpolitik auf den Tisch packen könne,
was während des Wahlkampfs »explizit ausgelassen« worden sei.
Allgemein sehen die REPs ihre Aussichten für den weiteren Parteiaufbau als günstig an
(in Ostberlin haben sie bisher nur 300 Mitglieder).

Die REP-Abspaltung „Freiheitliche Volkspartei“ (FVP) kandidierte in Berlin-Köpenick
u.a. mit dessen Bundesgeschäftsführer Helmut Koelbel,
erhielt aber nur 0,6 Prozent der Stimmen,

»Die Nationalen« und andere neonazistische Kandidaturen

Es gab im Schatten der Republikaner eine Reihe weiterer neonazistischer Kandidaturen:
Die bedeutendste Gruppe war »Die Nationalen«,
ein Wahlbündnis von Mitgliedern aus NPD, „Nationaler Alternative“ (NA) und der »Deutschen Liga für Volk und Heimat« (DLVH).
Bereits 1991 hatten Mitglieder der NPD, der Partei „Die Republikaner“ (REP), der »Deutschen Liga für Volk und Heimat« (DLVH)
sowie der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP)
eine Vorläufer-Gruppe namens „Freiheitliche Wählergemeinschaft – ,Wir sind das Volk‘ “ (WSDV) gegründet.

Bei deren Gründungsversammlung Anfang Oktober 1991 in Berlin-Schöneweide
waren diverse Funktionäre und Aktivisten der Berliner Rechtsparteien zusammengekommen:
Rudolf Kendzia (Deutsche Liga)1, Bernd Witte (DSU), Thomas Salomon (NPD), Thilo Kabus (Junge Nationaldemokraten),
Johannes Koesling2, Peter Boche, Sofia Boche und Michael Dräger (FAP).
Bei den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen erzielte diese zwischen 0,2 und 0,7 Prozent.

An den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus beteiligten sich die Neonazis im Rahmen einer „Freie Wählergemeinschaft - ,Die Nationalen‘ “.
Diese „Die Nationalen“-Wählergemeinschaft erhielt 0,2 Prozent der Stimmen.
Auf den Wahllisten der „Freien Wählergemeinschaft ,Die Nationalen‘“
tauchte neben solch altbekannten Neonazi-Aktivisten wie Oliver Schweigert auch Peter Boche (früher REP) auf.
In Lichtenberg kandidierten mit Sven Ruda und Roy Brandt ("Bomber") zwei Neonazi-Aktivisten aus den Kreisen der "Nationalen Alternative".
 »Die Nationalen« traten in beiden Teilen der Stadt in neun Bezirken zur Wahl an
und erlangten im Wedding mit 0,7 Prozent den größten Stimmanteil der neonazistischen Kandidaturen (ohne REP).
In Berlin wurden insgesamt rund 2.500 Stimmen (= 0,2 Prozent) für »Die Nationalen« abgegeben.

Gleich zweimal versuchten »Die Nationalen« sich kurz vor der Wahl ins öffentliche Gespräch und damit in die Schlagzeilen der Presse zu bringen:
Am 9. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, hatten »Die Nationalen« 
eine Kundgebung vor dem Kapitulationsmuseum in Karlshorst
mit dem Geschichtsverfälscher David Irving angekündigt.
Die erfolgreiche antifaschistische Mobilisierung eines breiten Bündnisses
von Gruppen und Organisationen, aus dem Spektrum von Autonomen bis Gewerkschaften, konnte diese Provokation verhindern.
An einer Gegendemonstration nahmen tausende Menschen teil.
Zwei Tage vor der Wahl hatten »Die Nationalen« wiederum eine Kundgebung vor der jüdischen Gemeinde angekündigt, die aber ebenfalls verboten wurde.
Zu einer Protestveranstaltung von SPD, FDP, AL und Bündnis 90 kamen nur circa 150 DemonstrantInnen.

Erfolglos verlief eine Demonstration der neonazistischenFreiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) am 1. Mai im Prenzlauer Berg,
wo sie auch zur Wahl antrat.
Die FAP und die übrigen neonazistischen Gruppierungen kandidierten jeweils nur in einem Ost-Berliner Bezirk.
Bemerkenswert ist, daß sie nicht gegeneinander antraten,
was auf gemeinsame Absprachen schließen läßt.
Die FAP ("Wählergemeinschaft der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei") erlangte mit ihren KandidatInnen
Lars Burmeister, Daniela Seemann und Bernd Suhr im Prenzlauer Berg 0,4 Prozent
und die „Nationalistische Front“ (NF) mit ihren Kandidaten Marco Löwe und Uwe Messner in Hohenschönhausen 0,3 Prozent der Stimmen.

Zur Situation in Ost-Berlin

Die Besonderheit der Berliner Wahl liegt darin,
daß sie im Ost- und Westteil der Stadt zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führte,
die auch getrennt bewertet werden müssen.
Unfreiwillig gerät die Verkehrsplanung am Brandenburger Tor,
gerne als Symbol der Einheit bezeichnet, zum Zeichen für den Zustand in der Stadt.
Für Autofahrer, die durch das Tor in die andere Hälfte der Stadt wollen, gilt:
Vorfahrt hat, wer aus dem Westen kommt.
Während fast alle politischen Vertreter mit DDR-Vergangenheit demontiert wurden
und die gefühlte Bevormundung durch die »Besserwessis« sich auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt,
steht ein großer Teil der Menschen in Ostberlin mit dem Rücken zur Wand:
Massenentlassungen und hohe Arbeitslosigkeit, steigende Mieten und Preise,
niedrige Löhne, Verdrängung großer Bevölkerungsteile der Innenstadtbezirke
im Zuge der Hauptstadtplanungen, um nur einige Beispiele für die drängenden Probleme zu nennen.

Die hohen Erwartungen der ehemaligen DDR-Bevölkerung nach dem Anschluss, gespeist durch die Versprechungen der Politiker,
schlagen in Ablehnung der politischen Parteien um.
Die Anbiederung der regierenden CDU, die auf Wahlplakaten »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« forderte,
aber bei den öffentlichen Tarifverhandlungen im Ostteil der Stadt den Beschäftigten
wohl nicht einmal 80 Prozent Lohn- und Gehaltsangleichung an West-Gehälter bescheren wird, wurde durchschaut.

Im Westen nichts neues

Was den Wahlausgang im Westteil der Stadt angeht, wollen wir an dieser Stelle nicht wiederholen,
was wir in früheren Ausgaben des Antifaschistisches Infoblatts (AIB) zur Beurteilung der Wahlen
in Bremen, Schleswig-Holstein und Baden Württemberg
und zu den Aufgaben der antifaschistischen Bewegung geschrieben haben.
Nur so viel noch;
Möglicherweise hat der Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst kurz vor der Wahl
ein noch besseres Abschneiden der REPs im Westen verhindert.

Mit den Motiven die zur Stimmabgabe für die REP führen,
setzte sich in jüngster Zeit eine Studie des SPD- Parteivorstandes auseinander.
Die Studie geht davon aus,
daß die hohen Anteile der REPs im Westen
auf einen »gewissen westdeutschen Wohlstandschauvinismus, Ängste vor Deklassierung und Statusverlusten,
Sozialneid und kleinbürgerliche Unduldsamkeit« zurückzuführen sei.
Einem Umstand schenkt die Studie offenbar keine Aufmerksamkeit;
Es ist allerdings auch kaum anzunehmen,
daß die SPD ihre eigene Rolle in der »Asyldebatte« hinterfragt,
und welch günstiger Nährboden der, von den bürgerlichen Parteien geschürte, Rassismus für das Erstarken neonazistischer Parteien darstellt.

Die Parolen der REPs wurden von Politikern aller Parteien aufgegriffen und salonfähig gemacht.
Von da ist es nur ein kleiner Schritt, bis zu dem Bekenntnis
eines Heinrich Lummer (CDU-Bundestagsabgeordneter und früherer Berliner Innensenator):
 »Die Republikaner sind nun eine dauerhaft etablierte Partei, mit der man Gespräche nicht ablehnen darf.«


1.
1990 auf einer REP-Kandidaten Liste für Berlin Wilmersdorf

2.
1990 auf einer REP-Kandidaten Liste für Berlin-Treptow.
In Berlin wurde der Name Johannes Koesling u.a.
als früherer NPD-Vorsitzender von Westberlin-Schöneberg,
als früherer Berliner Führer der „Deutschen Volkspartei“ (DVP),
als ein früherer Bevollmächtigter des »Freundeskreis zur Förderung der Wehrsportgruppe Hoffmann«,
als früherer Funktionär der „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung" (NDBB)
und als ehemaliger Geschäftsführer des Landesverbandes Berlin der DVU in der Presse und Fachpublikationen bekannt