Holle Grimm
Aus InRuR
Initiative Recherche und Reflexion
>>> über InRuR <<<
********
Kategorien / Kontext / Metaebene / Rubriken:
verstorbene anti-emanzipatorische Frauen
Holle Grimm
in der deutschsprachigen wikipedia
(* 21. November 1918 in Lippoldsberg; † 19. Februar 2009 in Würzburg)
war eine deutsche Ärztin und Rechtsextremistin.
2013
Das Feindbild der „multikulturellen Gesellschaft“
in der „Jungen Freiheit“ und der „Nation und Europa“
Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie
am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin
vorgelegt von Christian Meyer Berlin 2013
Probekapitel
Martin Finkenberger / Horst Junginger (Hrsg.): Im Dienste der Lügen
Geschichtsrevisionisten vor Gericht PDF
2012
Nordhessen Rechtsextreme
Geehrte Rechtsextremistin,
von Carsten Meyer und Julian Feldmann,
Frankfurter Rundschau 11. September 2012
Es läuft nicht alles rund in Sachen Demokratie in Nordhessen. Foto: dpa
Eine 68-jährige Nordhessin vertreibt seit Jahren
Schriften rechter Gruppen und Institutionen und engagiert sich im Krankenpflegeverein.
Die Trägerin des Ehrenbriefs des Landes Hessen organisiert auch Treffen mit Holocaust-Leugnern.
Margret Nickel ist in Wahlsburg-Lippoldsberg, einem kleinen Ort nördlich von Kassel, wohlbekannt.
Im Vorstand der Häuslichen Krankenpflege führt sie die Finanzen
und hat vor elf Jahren sogar den Ehrenbrief des Landes Hessen für ihre ehrenamtliche Tätigkeit erhalten.
Hinter der bürgerlichen Fassade verbirgt sich jedoch eine rechte Aktivistin.
In ihrer Klosterhaus-Buchhandlung mit angeschlossenem Verlag vertreibt die 68-Jährige rechtsextreme Literatur.
Deshalb soll sie die Ehrung jetzt verlieren.
Nickels Geschäft befindet sich im ehemaligen Kloster von Lippoldsberg.
Der Publizist Hans Grimm, dessen 1926 erschienener Roman „Volk ohne Raum“
später zum Motto der nationalsozialistischen Expansionspolitik wurde, residierte einst dort.
Übernommen hatte Nickel den Betrieb 2008 von Holle Grimm, der Tochter des Schriftstellers.
Sie teilte die politischen Überzeugungen ihres Vaters
und war Gründungsvorsitzende der Häuslichen Krankenpflege in Wahlsburg.
Dort sitzt Nickel heute im geschäftsführenden Vorstand.
Zudem hat der Verein Räumlichkeiten in der Buchhandlung angemietet, firmiert unter derselben Adresse.
seitlicher Infokasten
Braunes Netzwerk
Die „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP) mit Sitz in München
ist mit mehr als 500 Mitgliedern die wichtigste rechtsextreme Kulturvereinigung.
Vor allem Buchhändler, Verleger und Schriftsteller gehören ihr an.
Die GfP versteht sich selbst als „Dachverband der Verlage und Autoren,
die sich der Meinungsfreiheit verschrieben haben“.
Zu dieser „Meinungsfreiheit“ zählt die „Gesellschaft“,
die 1960 von ehemaligen SS- und NSDAP-Funktionären gegründet wurde,
vor allem die Verbreitung von revisionistischem Gedankengut, sagen Verfassungsschützer.
Margret Nickel engagiert sich bei der „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP).
Der Verfassungsschutz beobachtet sie als größte rechtsextreme Kulturvereinigung.
Bereits Holle Grimm war dort aktiv.
Regelmäßig lädt Nickel zu Vortragsveranstaltungen des örtlichen GfP-„Arbeitskreises“.
An einem dieser Treffen nahmen 2009 Bernhard Schaub und Ursula Haverbeck-Wetzel teil.
Die beiden Holocaust-Leugner gehörten einem inzwischen verbotenen Vereinsgeflecht an,
das antisemitische Propaganda verbreitete und den Nationalsozialismus verherrlichte.
Für die 83-jährige Haverbeck-Wetzel
richtete Nickel ein Spendenkonto in Kassel ein,
das auf Neonazi-Webseiten beworben wurde.
Bei einer „Verlegertagung“ in Wahlsburg-Lippoldsberg
war vor drei Jahren die Hamburger Rechtsanwältin Gisela Pahl zu Gast,
die als Initiatorin des „Deutschen Rechtsbüros“ gilt.
Diese braune Rechtsberatung gab unter anderem die Publikation „Mäxchen Treuherz: Rechtsratgeber“ heraus,
die als „hilfreicher Ratgeber“ für „nationale Aktivisten“ beworben wurde – erhältlich über Nickels Versandhandel.
Strafrechtlich bekannt
Auch strafrechtlich ist Nickel einschlägig in Erscheinung getreten:
Weil sie eine den Holocaust leugnende Broschüre verbreitet hatte,
wurde sie im vergangenen Jahr wegen Volksverhetzung
zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt.
Geschrieben hatte das Heft Haverbeck-Wetzel, die deswegen vom Landgericht München eine Bewährungsstrafe bekam.
In dem Heft hieß es laut Anklage: „Den Holocaust gibt es gar nicht.
Das ist so etwas wie der Weihnachtsmann oder der Osterhase für Erwachsene.“
Vor einigen Monaten durchsuchte die Polizei erneut den Buchladen.
Der Grund: Nickel hatte eine Publikation verbreitet,
in der die Massenerschießungen im ukrainischen Babyn Jar 1941 geleugnet werden,
bei denen mehr als 33.000 Juden ermordet worden waren.
Nach einem Bericht des HR-Magazins „defacto“ über Nickels Umtriebe
dringt die Landesregierung nun auf eine Aberkennung des Ehrenbriefes.
Die Staatskanzlei forderte nach einem Vorstoß der Grünen-Landtagsfraktion
den Landkreis Kassel per Brief auf, ein Verfahren zum Widerruf der Auszeichnung einzuleiten.
Kandidaten für den Ehrenbrief des Landes wählen seit 1998 die Kreise aus.
Der Landkreis Kassel hat bereits angekündigt, der Aufforderung nachkommen zu wollen.
Diakonie ist besorgt
Die Diakonie, in der die Häusliche Krankenpflege Mitglied ist, sieht die Situation mit Sorge.
Das Diakonische Werk in Kurhessen-Waldeck wirke darauf hin,
„dass es zu einer grundlegenden Entflechtung von Buchhandlung und Pflegeverein kommt“,
sagt dessen Sprecher Eckhard Lieberknecht.
Auch der örtliche Kirchenvorstand dringt auf eine klare Trennung des Pflegedienstes von der Rechtsextremistin.
Die Häusliche Krankenpflege distanziert sich von der Gesinnung Nickels.
„Wir haben nichts mit der Ideologie zu tun“, sagt die Vorsitzende Ellen Fricke auf Anfrage.
Anfang Oktober soll über die Causa Nickel im Vorstand diskutiert werden.
2012
Unrühmliche Tradition
Klosterhof: Junge Grimm-Generation distanziert sich vom rechten Spuk
Von Gerd Henke HNA 06.09.12 10:36
In der Kritik: Der Klosterhausverlag existierte viele Jahre
Im Klosterhaus in Lippoldsberg, wo Hans Grimm vor gut 90 Jahren
seinen umstrittenen Roman Volk ohne Raum (im Bild eine frühe Ausgabe) schrieb.
Heute distanziert sich seine Familie von den Werken.
Lippoldsberg. Der Klosterhof in Lippoldsberg hat eine jahrzehntelange unrühmliche Tradition.
Bereits zu Lebzeiten Hans Grimms und auch nach seinem Tod im Jahr 1959
entwickelte sich das Anwesen alljährlich zu einem Treffpunkt nationalsozialistisch gesinnter Kreise.
Bis in die 80er Jahre hinein fanden dort die von Holle Grimm fortgeführten „Lippoldsberger Dichtertreffen“ statt.
Bei diesen Veranstaltungen sei Hans Grimm und der Nazi-Ideologie gehuldigt worden,
erinnert sich Iris Resch-Grimm, deren Ehemann Bernd ein Enkel von Hans Grimm ist.
Lebensunterhalt verdient
Die junge Generation der Grimms habe nichts gegen dieses Treiben von Holle Grimm unternehmen können, sagt Iris Resch-Grimm.
Zum einen, weil es die Tochter Hans Grimms
auch nach dem Krieg nicht geschafft habe,
„umzusteuern“ und sich vom nationalsozialistischen Unrechtsstaat loszusagen.
Zum anderen, weil die alte Frau mit Verlag und Buchhandel ihren Lebensunterhalt verdiente.
Doch als Holle Grimm 2008 mit einer Demenz ins Altersheim gekommen war,
„hat für die junge Grimm-Generation der große Kehraus begonnen“.
Buchladen und Verlag wurden aufgelöst.
Und als Holle Grimm 2009 verstarb, sei die Beisetzung heimlich und ohne Trauerfeier abgehalten worden.
„Ein Erscheinen der rechtsradikalen Szene
wollten wir unter allen Umständen vermeiden“, sagt Iris Resch-Grimm.
„Wir gingen davon aus, dass der rechte Spuk endgültig vorbei war.“
Doch es sei anders gekommen.
Denn Margret Nickel, die zwei Jahrzehnte Sekretärin von Holle gewesen sei,
habe im anderen Flügel des Klosterhofes Verlag und Buchhandel weitergeführt.
Leckerbissen Kundenliste
Nickel fühle sich offenbar dazu berufen, dort als einzige -
„entgegen der undankbaren jungen Grimm-Generation“ -
das Andenken Hans Grimms hochzuhalten
und seine Werke weiter anzubieten.
Iris Resch-Grimm ist sicher,
dass „die Kundenliste der Buchhandlung ein Leckerbissen für den Verfassungsschutz sein dürfte“.
Für die heutige Familie Grimm,
einige Mitglieder wohnen noch im Klosterhof -
sei die Tatsache, dass „das braune Treiben dort weitergeht“, eine große Belastung.
Die Ehefrau des Grimm-Enkels empört zudem,
„wie der Bürgermeister sich verhält“.
Dass sich im Rathaus und auch im Ort kein Widerstand gegen diese Buchhandlung rührt,
sei ein Skandal, sagt Iris Resch-Grimm.
2002
MIT AUSUFERNDER "FANTASIE" EKELHAFT GESCHRIEBEN
ROTE ARMEE FRAKTION Trophäen für den Panzerschrank
Von Jürgen Dahlkamp,
"Der Spiegel" 14.10.2002
Baader, Ensslin, Raspe - die Häftlinge von Stammheim
landeten 1977 auf dem Seziertisch von Hans Joachim Mallach.
25 Jahre später reden erstmals dessen Söhne
über einen Gerichtsmediziner mit SS-Vergangenheit und sein Geheimnis: die Masken der Toten.
Von Jürgen Dahlkamp
Tübinger Bergfriedhof, 19. Oktober 1977, 0.30 Uhr. Leichensache L 250/77:
Auf dem stählernen Obduktionstisch lag der tote Terrorist Andreas Baader und starrte Hans Joachim Mallach an.
Aufgesetzter Kopfschuss von hinten - auch Baader, der brutalste RAF-Führer, hatte sich Mallach also ans Messer geliefert,
und das Messer schnitt nun rasch durch die Haut, bis ins Innerste des Feindes.
Ein Feind? Gegen Feinde hatte der Mann am Messer im Krieg gekämpft,
Russland, Normandie, Ardennen,
so einen wie Baader nannte Mallach, wenn er zu Hause über ihn redete, einen "Strolch".
Einen, der auf alles gespuckt hatte, was Mallach heilig war.
Die Ordnung, den Respekt, das was Mallach meinte,
wenn er seinen eigenen Söhnen Wolfgang und Detlef "preußisches Männertum" einimpfte.
Die Schädelhöhle: Mit der Routine eines Handwerkers
hatte der Ordinarius der Tübinger Gerichtsmedizin zuerst Baaders Hirn herausgenommen.
Im Gewebe entdeckte er mit seinem Stuttgarter Kollegen Joachim Rauschke
eine fingerstarke Rinne, quer durch Kleinhirn, Stammhirn und Mantelkante des rechten Stirnlappens.
Da war er, der Schusskanal.
Vor allem aber hatten ausgerechnet diese mordenden Strolche
seiner, Mallachs, Generation einen Krieg vorgeworfen,
für den sich damals auch ein junger Hitlerjugend-Führer
in Flatow, Westpreußen, so begeistert hatte,
dass er sich 1942 freiwillig zur Elitetruppe meldete.
Und der sich jetzt, 35 Jahre später,
mit einer fast unsichtbaren Narbe am Arm
über den toten Baader beugte,
links, oben, innen, dort wo sich Hans Joachim Mallach nach dem Krieg die eintätowierten Buchstaben hatte herausschneiden lassen.
Seine Blutgruppe - das Erkennungszeichen der SS.
In dieser Nacht des deutschen Herbstes, vom 18. auf den 19. Oktober 1977,
seziert Hans Joachim Mallach sieben Stunden,
erst Gudrun Ensslin, dann Baader, dann Jan-Carl Raspe.
Er arbeitet zügig, zielstrebig, bis zur Erschöpfung.
Nichts verrät einen Gedanken, eine Gesinnung.
An diesem Ort, in diesem Moment ist er eine Koryphäe der Gerichtsmedizin,
der Obduzent der Roten Armee Fraktion (RAF).
Vor einem Jahr Ulrike Meinhof, jetzt Baader, Ensslin, Raspe, drei Jahre später noch Juliane Plambeck und Wolfgang Beer.
Und hätte einer behauptet, der Professor werde sich hinterher an den drei Leichen zu schaffen machen,
werde sich heimlich Totenmasken besorgen,
als Trophäe für seinen Panzerschrank,
die Zeugen im Raum - darunter auch Otto Schily,
damals Ensslins Anwalt, heute Bundesinnenminister -
hätten es sich wohl nicht vorstellen können.
Genau ein Vierteljahrhundert ist seit jener Nacht vergangen,
aber erst jetzt reden Wolfgang und Detlef Mallach
über ihren im Januar 2001 gestorbenen Vater,
der die Spitze der RAF sezierte.
Ein "Rachefeldzug der Söhne", sagt die Witwe Dürten Iris Mallach,
"die Wahrheit", sagen Wolfgang und Detlef Mallach -
eine sehr deutsche Familiengeschichte, das auf jeden Fall.
Erstmals kommt damit ans Licht, wen der Zufall damals zusammenführte.
Dass sich - als Konzentrat einer ganzen Epoche -
in diesen sieben Stunden auf dem Tübinger Bergfriedhof
der Irrweg der RAF-Terroristen
ausgerechnet mit jener Hauptstraße kreuzte,
auf der die Vätergeneration aus der Nazi- in die Nachkriegszeit entkommen war.
Und dass der Gerichtsmediziner Mallach diesen Zufall noch nutzte,
sich illegal ein Souvenir von den toten Terroristen zu nehmen.
Eine Geschichte von Vätern und Söhnen:
Auf dem Tisch lagen die irregegangenen Terrorkinder
einer Revolte, die 1967 damit angefangen hatte,
dass der Muff von 1000 Jahren
hochgeblasen werden sollte.
Und über ihren Leichen, mit dem Seziermesser in der Hand,
stand ein Professor, der diesen Muff bis zum Oberarm unter dem Talar hatte.
Ein Mann, der - so ihre Erinnerung -
seinen Sohn Wolfgang einen "Revoluzzer" nannte
und seinen Sohn Detlef ein "rotes Schwein".
Die Geschichte beginnt 1942:
Mallach ist 17 Jahre alt, als er sich freiwillig meldet,
die Welt zu erobern.
Deutschland wird gerade größer und größer,
und der Hitlerjunge Hans Joachim will dabei sein,
an der richtigen Stelle, bei der Waffen-SS, in der Leibstandarte Adolf Hitler.
Doch seine Einheit kommt nicht mal bis Stalingrad,
mit einem Granatsplitter in der Rippe, einem abgefrorenen großen Zeh
schlägt er sich zu einem Sani-Zug durch, zurück nach Berlin.
Ist Mallach da schon desillusioniert, fertig mit dem Regime, wie sein Kriegskamerad Erich B. sagt?
Oder besitzt er nur den Instinkt, wie man am besten durchkommt?
Mallach beschützt nun Adolf Hitler und Martin Bormann,
er steht Wache in der Reichskanzlei, ganz nah am Führer.
Dann kommt die Abkommandierung in den Westen.
Mit anderen aus der SS-Leibstandarte soll er die erfahrene Kerntruppe einer neuen Einheit bilden, die später an der Invasionsfront als "Babydivision" berühmt wird:
die SS-Panzerdivision "Hitlerjugend",
kriegsunerfahrene Hitlerjungen, die von ihren Führern auf den Endsieg eingeschworen und verheizt werden.
Mallach ist Unterscharführer beim Regiment 26, 14. Kompanie;
auf dem Rückzug rettet er dem angeschossenen Erich B. das Leben,
erhält das Eiserne Kreuz 2. Klasse.
Schließlich sitzt er bei Darmstadt in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager,
bis er sich mit einer Drahtschere den Weg in ein neues Leben freiknipst.
Bis hierhin ist er 21, ein junger Mann mit dem Recht der Jugend, Fehler zu machen
und diese einzusehen oder gar zu bereuen.
Sein Schwager Armin, Assistenzarzt am Stuttgarter Olga-Hospital,
schneidet ihm die Blutgruppen-Tätowierung aus dem Oberarm,
macht das so, dass er Mallach auch noch auf der anderen Seite ein Loch in den Arm bohrt.
So sieht es nach einem Durchschuss aus, wenn der SS-Mann, Parteinummer 9154986, irgendwann mal die Arme heben müsste.
Sein Kriegskamerad B. und Mallachs zweite Frau Dürten Iris halten das für einen klaren Schnitt.
Tausende hätten das so gemacht, weil die Tätowierung nach dem Krieg
"unterschiedslos als Zeichen politischer Belastung" gewertet worden sei.
Dabei, sagt die Witwe, sei ihr Mann schon im Krieg
wegen "weltanschaulicher Lässigkeit" gerügt worden
und habe das System "kritisch" gesehen.
Nach der Kapitulation habe er nicht nur äußerlich,
sondern auch innerlich abgeschlossen mit den Nazis.
Nur: So wenig es zu einem Ewiggestrigen passt,
dass Mallach nach dem Krieg ein großer Jazzfan wird,
so wenig passt es zu einem Demokraten,
in welchem Geist er nun - nach deren Schilderung - die beiden Söhne erzieht.
Wolfgang wird 1957 geboren, Detlef zwei Jahre später;
da diente sich der Vater an der Freien Universität in Berlin schon an eine Habilitation heran.
Mallach will seine Söhne flink, hart, zäh.
Fotos von ihnen klebt er sorgfältig auf Karton
und bringt die Seiten mit Wolfgang mehr als zehn Kilometer weit nach Wilmersdorf, zum Buchbinder Hubertus von Hagen.
An das Geschäft kann sich der Sohn kaum noch erinnern,
umso besser an den Satz des Vaters: "Das war der Hofbuchbinder Adolf Hitlers."
Von Hagen hatte im Dritten Reich tatsächlich für Hitler Bücher gebunden,
dem Reichsmarschall Hermann Göring Passepartouts für Bilder gefertigt.
Und so wie ihm wird der Vater nun häufiger Menschen mit braunem Schatten begegnen,
Menschen, von denen Detlef und Wolfgang heute sagen:
"Die haben sich gerochen wie Wölfe."
1974 etwa schleppt Mallach seine Söhne
im nordhessischen Lippoldsberg in den einschlägigen Buchladen von Holle Grimm, der Mitbegründerin der rechtsextremen "Gesellschaft für freie Publizistik"
und Tochter des völkischen Schriftstellers Hans Grimm.
Der hessische Verfassungsschutz betrachtet den Laden
und den "Klosterhaus-Verlag" von Holle Grimm bis heute als "rechtsextrem".
Seinem Sohn Wolfgang kauft Mallach dort das Hauptwerk von Hans Grimm: "Volk ohne Raum".
Die Söhne empfinden diese siebziger Jahre,
als der Vater schon in Tübingen Ordinarius der Gerichtsmedizin ist,
als bleierne Zeit, vor allem nach dem Tod der leiblichen Mutter 1973.
Immer länger werden die Monologe des Vaters:
Die Beatles - sind mit schuld an 68.
Rommel, der widerspenstige Wüstenfuchs - ein Verräter.
Sebastian Haffner - jüdisch infiltriert.
Sohn Detlef - kommunistisch verführt.
Für Wolfgang und Detlef Mallach steht fest:
Ihr Vater hat diese Republik, in der er Karriere machte, verachtet.
Aber diejenigen, die sie mit Gewalt verändern wollten,
mit Anarchie, mit Terror, die verachtete er noch mehr.
Und so zufällig es sein mochte, dass die Toten der RAF auf seinem Tisch landeten,
weil sie im nahen Stammheim starben,
so sehr nutzte er die Macht,
die ihm dieser Zufall bescherte.
Er holte sich, was die Söhne einen "Skalp" nennen - die Totenmasken der RAF-Führer.
Auf dem Tübinger Bergfriedhof
sind die Rollen in jener Nacht klar verteilt.
Mallach seziert, Rauschke - wiewohl nominell erster Obduzent -
diktiert die Ergebnisse auf Band,
und das Ergebnis ist: Selbstmord.
Tatsächlich gibt es nichts, keinen belastbaren Hinweis,
dass Mallach bei diesen drei Obduktionen etwas anderes war als der preußisch korrekte Professor,
als den ihn alle im Raum sahen.
Keine Bemerkung, wie er sie sich später bei den Söhnen erlaubt haben soll - "jetzt herrscht endlich wieder Ruhe".
Und erst recht kein Indiz, dass er getrickst hätte,
um aus drei Morden drei Selbstmorde zu machen.
Vielleicht hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal geplant,
die Köpfe der Toten heimlich in Gips zu drücken, für ein Souvenir.
Aber die Leichen bleiben nach der Obduktion
noch einen Tag und eine Nacht bei Mallach,
und was dann beginnt, ist ein merkwürdiges,
bis heute geheim gehaltenes Defilee der Maskenjäger.
An jenem 19. und 20. Oktober werden vermutlich vier Sätze Totenmasken von Baader, Ensslin und Raspe gefertigt.
Nur ein Satz, der des Tübinger Künstlers Gerhard Halbritter,
entsteht mit Einverständnis eines Angehörigen, Ensslins Vater Helmut.
Die restlichen drei sind offenbar Mallachs Werk.
Um eine Serie bittet Josef Ring, Dezernatsleiter im Stuttgarter Landeskriminalamt (LKA) -
ohne Einwilligung der Angehörigen, ohne Auftrag der Staatsanwaltschaft,
nur falls das LKA damit irgendwann mal irgendwas anfangen kann. "
Mallach hat sie gemacht", sagt Ring heute;
jahrelang liegen die Abdrücke in Rings Amtsstube,
seit kurzem - bislang ungezeigt -
im Fundus für das künftige "Haus der Geschichte Baden-Württemberg" in Stuttgart.
Auch in der Polizeiakademie Freiburg
gibt es ein Tripel der Gesichter des Terrors.
Ein Beamter der Soko Baader-Meinhof hat sie dort abgegeben.
Auch sie müssen in den Stunden entstanden sein,
in denen die Leichen in Mallachs Hand waren.
Und dann sichert sich Mallach selbst sein Andenken an die RAF.
"Da kam wohl die Idee:
,Das machen wir selber", sagt seine Witwe.
Das sind die Abdrücke, die Wolfgang Mallach Anfang der achtziger Jahre sieht,
als er seinen Vater im Institut besucht.
Der Tresor steht offen, drinnen liegt der RAF-Schatz,
und der Vater bekennt, dass er die Abdrücke nicht hätte nehmen dürfen.
Heute sind sie verschwunden.
"Möglicherweise hat mein Mann sie weggeworfen",
spekuliert Dürten Iris Mallach.
Es muss Mallach schwer gefallen sein, das Antlitz der "Strolche"
im Augenblick ihrer größten Niederlage aus der Hand zu geben.
Seine eigenen Söhne verliert er, ohne dass es ihn sichtbar berührt.
Wolfgang bricht mit ihm 1987, da ist er 30,
unverheiratet, und die Freundin erwartet ein Kind.
Er will einen Termin vereinbaren,
damit die Familien sich kennen lernen, sein Vater sagt: "Ein Bastard also."
Letzte Worte.
Detlef bleibt noch fünf Jahre - drei länger,
als die letzte Achtung für seinen Vater gereicht hat.
Es war im Sommer 1989, der Vater wurde emeritiert
und sollte das Bundesverdienstkreuz bekommen.
"In meinen 30 Lebensjahren hatte ich 25 Jahre lang nur gehört,
dass diese Demokratie Scheiße ist,
zum Sterben verurteilt, dass er von diesem Staat nichts haben will.
Wenn er wenigstens konsequent ist, dachte ich, dann lehnt er das ab."
Doch Hans Joachim Mallach nimmt an.
Am Tag, als er annimmt, am 29. September 1989,
hängt an der Wand in seinem Arbeitszimmer ein gerahmter Spruch,
den ihm seine Frau geschenkt hat.
"Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln, wie ich handelte,
auch wenn ich wüsste, dass am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt."
Ein Satz aus Nürnberg, gefallen am 31. August 1946, aus dem Schlusswort des Angeklagten Rudolf Heß.
* Am 17. Dezember 1935 in Berlin-Lichterfelde beim Abschreiten durch Hitler.
1965
"Der Spiegel" 08.09.1965
NPD
Wahre Liebe
Vorweg dröhnt der Badenweiler
Marsch. Als Echo bleiben die drei Strophen des Deutschlandliedes zurück.
Am Wegesrand künden Texte in weißem Feld auf rotem Grund vom kommenden Vaterland: Die gerade neun Monate alte "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) befindet sich auf Deutschlandfahrt "von den Alpen bis an die See".
Ziel der Tour ist es, wenigstens die Hälfte der noch unentschlossenen Wähler nach letzten Umfragen: rund zwölf Prozent - für die "nationale Opposition" zu mobilisieren.
NPD-Chef Fritz Thielen, 48, Betonfabrikant aus Bremen (SPIEGEL 50/1964): "Wir rechnen mit 15 Prozent."
Und das Parteiorgan, die "Deutschen Nachrichten", meldete: "Überall Kundgebungen überfüllt."
Laut Führer Thielen, der 1958 die von ihm mitgegründete bremische CDU verlassen hatte und nach rechts in die Deutsche Partei abgewandert war, schauen auf die NPD voll Hoffnung schon Millionen, die "nicht mehr bereit sind, sich dem Monopolanspruch der Bonner Parteien ... zu unterwerfen" und "völlig ratlos vor dem Bonner Durcheinander stehen".
Der niedersächsische NPD-Chef Dr. Lothar Kühne, Rechtsanwalt und Notar in Hannover,
befand sogar, daß "unsere Demokratie von fremden Eroberern verfügt worden ist" und das Grundgesetz "total außerhalb der Legalität" entstanden sei.
Die Folge: "Seit zwei Jahrzehnten lähmen der Ungeist der Unterwerfung und Anerkennung einer Kollektivschuld die deutsche Politik."
Ungeist soll fortan durch nationale Haltung ersetzt werden.
Kühne: "Wir wehren uns ... gegen die Fortsetzung der Vernichtungspolitik der Rache und der unersättlichen Vergeltungssucht.
Wir haben es satt, am Pranger der Welt zu stehen."
An den Pranger gehören nach nationaldemokratischem Gedankengut vielmehr alle, "die ihr ... Vaterland verraten haben und die während des Krieges im Ausland gegen das kämpfende Deutschland wirkten". Denn: "Deutschland braucht ... ein wahres Geschichtsbild."
An diesem Geschichtsbild pinseln die Nationaldemokraten mit den Farben Schwarz, Weiß und Rot, seit sie im November vergangenen Jahres mit 708 Mann von Hannover aus aufbrachen, um für ein Deutschland zu kämpfen, "das sich wieder mal erneuert".
Viele alte Kämpfer, die unter dieser Parole schon einmal angetreten waren, marschierten fortan nicht nur im Geiste, sondern leibhaftig in Thielens Reihen mit: Von den 218 Vorstandsmitgliedern der 51 nordrhein-westfälischen NPD -Kreisverbände beispielsweise gehörten 86 (39,4 Prozent) einst der NSDAP an, und von den fünfzig Kandidaten der nordrhein-westfälischen NPD-Landesliste für die Bundestagswahl konnten auf Anhieb 21 (42 Prozent) als ehemalige Parteigenossen 'ausgemacht werden.
Nur fünf Bewerber (zehn Prozent) sind mit Sicherheit nicht Nationalsozialisten gewesen.
Entsprechend eingefärbt sind auch die Führungsgremien der neuen Nationalpartei: Von den 18 Mitgliedern des NPD: Vorstands waren zwölf, Nazis, darunter
- Thielen-Stellvertreter Wilhelm-Gutmann mit der NSDAP-Mitgliedsnummer 966 564,
- Professor Dr. Hans-Bernhard von Grünberg, ehemals Gauamtsleiter im NS-Gau Ostpreußen,
- Otto Heß, ehemals Gauredner, Kreisleiter und SA-Obersturmführer,
- Georg Körner, Reichsredner und Träger des Goldenen Parteiabzeichens ehrenhalber,
- Waldemar Schütz, Junker der Ordensburg Vogelsang, und
- Emil Maier-Dorn, ehemals Leiter der Gauschulungsburg in Schwaben.
In ihrem Wahlkampf legen die Nationaldemokraten deshalb Wert darauf, auch andere als NS-Prominenz zur Wahl zu offerieren - so den Raketenforscher und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes Professor Hermann Oberth, den ehemaligen Ratzeburger Goldruderer Dr. Frank Schepke, die Tochter des "Volk ohne Raum"-Autors Hans Grimm, Dr. med. Holle Grimm, und eine Marie Adelheid Prinzessin Reuß zur Lippe, die soeben ihr 70. Lebensjahr erreichte.
Doch nicht allein die Personen, auch die Orte der von der NPD bevorzugten nationalen Handlungen sind an längst vergangene Zeiten fixiert. Nicht ohne Vorbedacht wählte die NPD zum Ausgangspunkt ihrer Deutschland-Wahlfahrt die Stadt Coburg, wo Hitlers Sturmabteilungen beim "Dritten Deutschen Tag" im Oktober 1922 zum erstenmal außerhalb von München die Straßen beherrschten und wo die Nationalsozialisten sieben Jahre später zum erstenmal die parlamentarische Mehrheit in einem Stadtrat erringen konnten.
Von Coburg zogen die NPD-Kolonnen vorletztes Wochenende über Kulmbach und Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage, nach Landsberg am Lech, wo das Programm ein "stilles Gedenken auf dem Friedhof der Strafanstalt" eingeplant hatte.
Dort in Landsberg, wo Hitler seinen "Mein Kampf" schrieb und wo NS -Kriegsverbrecher von Alliierten gehenkt und begraben wurden, sprach der bayrische NPD-Vorsitzende Franz Florian Winter das Kredo seiner Partei: "Wir haben hier all derer gedacht, die aus Willkür und Machtgier unschuldig durch Gewalt ihr Leben verloren. Während an solche Opfer in Dachau und Bergen -Belsen alle Welt denkt, besucht diese Gräber hier ... niemand. Wir tun das."
NPD-Vorsitzender Fritz Thielen: "So klingt die Sprache der wahren Vaterlandsliebe."
NPD-Delegation in Landsberg*: Kredo am Grob der Gehenkten
NPD-Wahlplakat
Alte Kämpfer marschieren mit
- Von links: NPD-Funktionäre Adolf von Thadden, Franz Florian Winter, Otto Heß, Sieghardt von Pannwitz, Fritz Thielen, Waldemar Schütz.
1963
Sie graben und graben in der Muttererde
Der Lippoldsberger Dichtertag 1963
Von Uwe Nettelbeck "Die Zeit"19. Juli 1963
Es war ein schönes Wochenende.
Ein linder Wind streichelte den deutschen Wald,
und blau strahlte der deutsche Himmel über dem Geviert des Klosterhofes zu Lippoldsberg.
Zum einundzwanzigsten Male wurde der beschauliche Landsitz
des seligen Hans Grimm für zwei Tage Wallfahrtsort
für jene, denen sein deutscher Geist noch immer im Blute west;
die betagte Frau Doktor Holle Grimm
hatte wieder einmal zum „Lippoldsberger Dichtertag“ geblasen.
„Es geht uns um das volksbewußte,
um das familienbewußte Schrifttum“,
schreibt sie auf dem Programmzettelchen,
und wahrlich, die Dichter ließen sie auch diesmal nicht im Stich.
Von der deutschen Mutter
sangen sie und vom frischfröhlichen Feindzug,
vom kühnen Jüngling,
der mit der Manneswunde in der Brust im Welschland modert,
aber auch von der Lerche,
die jauchzend überm Kornfeld steigt.
„Wind! Kommst du nach Osten in Steppe und Sumpf“,
klagte es, und es raunte heldisch-bitter:
„Es lebt in uns nur ein Gebet,
das bittet nicht um eignes Glück –
es fleht nur Deutschlands Kraft zurück, die stolz auch diese Zeit besteht.“
Gemeint ist die „nationale Katastrophe“ im Frühjahr 1945.
Lautsprecher teilten die Barden-Worte
den lauschenden Hundertschaften mit.
Auf harten Holzbänken saßen sie, stillfriedlich in der Julisonne,
harmlos genug anzuschauen: Mütterchen und Bäuerlein,
deutsche Frauen mit Haarknoten und langem Rock,
ergriffene Jugend dazwischen, Mägdelein
und stramme Burschen in Windjacke und Lederhose.
Dann und vor allem die Frontgeneration,
zahlreich herangerollt mit Messerschmitt und Heinkel,
aber auch mit schwarzem Mercedes plus Chauffeur,
Hemd offen, Sonne im Gesicht und innig gelöst.
Nichts Drohendes, nichts Böses,
nur die stille Einfalt schien aller Herzen zu bewegen.
Warm und voll war der Beifall,
und wohlig-tiefempfundene Seufzer begleiteten
das zustimmende Kopfnicken.
Es lasen, das Programmheft nennt sie: Heyck Han („Siedler in Oberbayern; ... fast alle Bücher seit 1945 vergriffen“),
Erich Kern („1941 kriegsfreiwillig zur Waffen-SS,
Kriegsroman ‚Der große Rausch‘“, Verfasser ländlicher Scherze und hanebüchener Rechtfertigungstraktate),
Ursel Peter („Sportlehrerin, von 1945–1949 Hilfsarbeiterin“),
Wilhelm Pleyer („1924 bis zur Vertreibung Schriftleiter in Reichenberg und Gablonz ...
Nach verschiedenen Militärdiensten traf ihn der Zusammenbruch in der sudetendeutschen Heimat...
1946 an die Tschechei ausgeliefert,
nach 1 1/2 Jahren wieder abgeschoben...“,
Verfasser einer skandalösen Hymne auf Kolbenheyer und Vesper,
vorgetragen vor einem Jahr in Lippoldsberg)
und Gerhard Schumann („1942/1945 Chefdramaturg des Württ. Staatstheaters ...
1956/1962 Geschäftsführer des Europäischen Buchklubs Stuttgart“).
Einen Festvortrag gab es auch.
Eigentlich sollte er „Das Recht des Weißen Mannes“ heißen
und Peter Kleist („Internationalismus – Mistbeet für Landesverrat“ nennt er seinen Artikel
in der neuen Nummer der Deutschen Wochenzeitung,
der die Todesstrafe fordert) ihn halten.
Der Doktor Kleist sei erkrankt, hieß es,
aber man habe vollwertigen Ersatz,
nämlich den Professor Doktor Wolfrum
von der Göttinger „Gesellschaft für freie Publizistik“.
Über zwei Stunden redete der Professor auf seine Gesinnungsfreunde ein,
machte ihnen noch mal klar, daß die Titelfrage seines Vortrages
„War der deutsche Osten ein Kolonialland?“
zu stellen sie verneinen heißt.
„Ohne den Osten können wir die Symphonie, die der Herrgott uns zu spielen aufgibt, nicht spielen.
Nur was man nicht aufgibt, hat man nicht verloren“, brüllte er,
und der Veranstalter dankte:
„Wir haben begriffen und sind ergriffen,
der verstorbene politische Dichter hätte seine helle Freude daran gehabt.
Im Kellergewölbe des Gutshauses war es,
und der Professor hieb an den Eichbalken:
„Hier fühlen wir uns wohl, wohler als unter den freischwebenden Konstruktionen aus Glas und Stahl...“
Was sagte er?
Echte Geistigkeit grabe in der Muttererde nach den Wurzeln ihrer Art.
Gott habe, als Goethe in Straßburg welschem Geiste näherkommen wollte,
seinen Daumen dazwischengeschoben,
nämlich in der Figur Herders.
Kant sei der Überwinder der Ratio schlechthin.
Hamann habe seine vernunftverseuchte Zeit Gefühl und Herz zu achten gelehrt,
und der Begriff der biologischen und ideellen Volksgemeinschaft
sei als Geistestat der französischen Revolution ebenbürtig.
All das – Verdienst des deutschen Ostens,
dem überdies die Erhaltung der Muttersprache zu danken sei.
Nach allen Seiten, nur nicht nach Westen, hätten sich,
zu Hause ein Volk ohne Raum,
die fruchtbaren Germanen ausgebreitet,
den Sumpf zum Garten Gottes gemacht
und seinen Einwohnern die überlegene deutsche Kultur vorgelebt.
Die Kolonisation sei im echten Sinne eine Verteidigungstat des Abendlandes gewesen,
ein „Vorfeldsichern“ gegen die periodisch anbrandenden asiatischen Wellen,
und habe schließlich verhindert, daß „der Russe“
schon früher an Ostsee und Elbe stand.
Er sei kein Nationalist, sagte der Professor,
er wolle seine Fahne nicht gleich in den Ostwind hängen, er habe Geduld.
Die Ostgrenze des deutschen Ostens verlor,
sich ihm in nebelhafte Ferne, Südtirol gehörte jedenfalls dazu.
Von zweifelhaften Fernsehsendungen
sprach er noch und vom welschen Spott,
den ein gewisses Nachrichtenmagazin,
dem stille Einfalt und edle Größe fehle,
über alle Dinge, vor allem über Volk, Gott und Vaterland ausgieße.
Juchzender Beifall dankte es ihm.
Der Professor ist Professor von des Dritten Reiches Gnaden,
war bei der SS
und ist heute Studienrat am Göttinger Felix-Klein-Gymnasium.
Seine Fächer: Sport, Deutsch, Geschichte.
Beim Hinausgehen fuhr mich einer an: „Sieh zu, daß du Land gewinnst.“
Das war alles eher lächerlich als ernstzunehmen,
eher brünstig als kalt-gefährlich, eher gemütvoll als gewalttätig,
hätte nicht ein zufälliges Nachspiel dieses Fest der Innigkeit und der steigenden Lerchen,
dieses Beschwören der Heimat und der Muttererde,
diesen ganzen ekelhaften Blut- und Bodendunst, der einlullt, eine dumpfe Emotion nach rückwärts lenkt,
mit der Tradition auch das Verbrechen feiert,
so die Bereitschaft zu neuer Untat birgt und erhält, zu eisiger Bedrohlichkeit gerinnen lassen.
Flöter, Chefredakteur des rechtsradikalen Deutschen Studentenanzeigers,
der gerade ein paar Packen seines Blattes gratis unter die Ab-
wandernden gebracht hatte, roch Linksintellektuelle und erbot sich, Fragen zu beantworten,
damit eine objektive Berichterstattung gesichert sei.
Fragen gab’s nicht, aber Streit. Schnell bildete sich eine Gruppe –
Studenten mit Professor Hartmut von Hentig,
dem Göttinger Ordinarius für Pädagogik,
zufällig in der Nähe, auf der einen, Flöter und Gesinnungsbrüder auf der anderen Seite.
Innerhalb einer halben Stunde fielen neben anderen folgende Bemerkungen,
die ich ihrem Zusammenhang entnehme, der sie aber nicht besser macht:
Man wird ja wohl noch über die Juden witzeln dürfen,
über die SS, Volk und Heimat
wird ja auch gewitzelt, und hier muß gleiches Recht für alle gelten.
Die bei der SS sind ja immerhin schneidige Soldaten und tapfer gewesen.
Warum ich Antisemit bin, das kann ich erklären.
Ich gehöre zu einer qualifizierten Minderheit.
Die Masse ist dumm. Das ganze deutsche Volk stand hinter Hitler, folglich war was dran.
Man muß die Verzichts Verbrecher bekämpfen.
Das ist ja ausländisches Geistesgut, mit dem Sie dis-– kutieren.
Die Gaskammern in Auschwitz, falls es die gab.
Daß sechs Millionen Juden umgebracht sind,
das ist eine Lüge der Juden und Engländer.
Daß es nur zwei- bis höchstens fünfhunderttausend gewesen sind,
das kann man betriebswirtschaftlich errechnen.
Für das, was die Nazis getan haben,
sind wir nicht verantwortlich.
Mit der Schuldlüge muß aufgeräumt werden,
es geht um Gegenwart und Zukunft.
Deutschland muß wieder stark werden,
und es wird wieder stark werden.
Wir sind heute schon viele, und wir werden immer mehr.
Solche waren also auch im trauten Lippoldsberger Klosterhof,
trübes Licht fällt auf die augenscheinliche Harmlosigkeit.
Ich kann an die Gewichtlosigkeit,
an die angebliche Zersplitterung des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik,
ob heimlich und schlimm oder erklärt und verniedlicht, nicht mehr glauben.
Solange solche Worte gesagt werden
und, was sie meinen, geglaubt wird –
stur, dumm und blind,
solange solche Dichter tagen,
ihre Verlage und ihre Zeitungen und das Geld dazu haben,
solange sie Einfluß nehmen können,
Studienräte in ihren Reihen haben,
sich gegenseitig protegieren
und die personellen Querverbindungen
Vereinzeltes im Stillen kitten –
solange ist der Glaube, daß dergleichen vorbei sei,
Wunschdenken und ein womöglich gefährliches Träumen.